Besser leben

Bedrohliche Folgen der Hygiene-Hysterie

Desinfektionsmittel gehörten während der Coronakrise zu den beliebtesten Substanzen, um die panische Angst vieler Bürger vor einer Ansteckung mit dem Virus zumindest oberflächlich zu lindern. Über deren Wirksamkeit lässt sich trefflich streiten, da sich die meisten Menschen über das Einatmen von virenbeladenen Tröpfchen in der Luft infizierten.

Die SPD-Fraktion hatte daher gute Gründe, Ende November die massive Verschwendung von Steuergeldern in Bayern zu beklagen. Satte 56 Millionen Euro ließ der Freistaat in Desinfektionsmittel fließen. Wie hoch diese Summe bundesweit ist, ist derzeit nicht bekannt.

Der exzessive Gebrauch der Desinfektionsmittel hat indes nicht nur finanzielle Konsequenzen. Was ursprünglich die Gesundheit schützen sollte, könnte ebendiese gefährden. Wissenschaftlern der Justus-Liebig-Universität Gießen und des Hessischen Landesamtes für Naturschutz, Umwelt und Geologie zufolge hat die massenhafte Verwendung zu einer starken Belastung der Böden geführt.

Laut der im Fachmagazin „Science of the Total Environment“ veröffentlichten Studie entdeckten die Autoren in 97 Prozent ihrer 65 entnommenen Bodenproben sogenannte Quartäre Alkylammoniumverbindungen (QAAV), die als Wirkstoff in Reinigungsmitteln zum Einsatz kommen. Die Forscher haben diese Stoffe indes nicht nur in Äckern und Wiesen nachgewiesen, betroffen waren auch Weinberge und Wälder.

RKI-Chef Wieler spricht von »schleichender Pandemie«
Der Gehalt der Desinfektionsmittel liegt teilweise zwei bis drei Größenordnungen oberhalb der Konzentrationen, wie sie für Arzneimittel und Antibiotika in Böden nachgewiesen wurden. Besonders beunruhigend: Einmal in die Umwelt gelangt, können die Alkylammoniumverbindungen zu gefährlichen Antibiotikaresistenzen führen, so die Wissenschaftler. Die Forschung dazu stehe allerdings noch am Anfang, da die Stoffgruppe der QAAV analytisch nur schwer zugänglich sei.

Gleichwohl sind die Gefahren enorm: „Aktuelle Vorhersagen gehen davon aus, dass bereits im Jahr 2050 jährlich zehn Millionen Menschen weltweit durch antibiotikaresistente Keime sterben werden“, schreiben die Studienautoren. Der Präsident des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, der immer wieder die Coronapanik schürte, sprach erst vor wenigen Wochen – es gehört offenbar zu seinen Lieblingstermini – von einer „schleichenden Pandemie“. Laut seinem Institut dürfen Antibiotika nur gezielt und sachgerecht eingesetzt werden.

Nach Angaben des RKI infizieren sich allein hierzulande ca. 50.000 Menschen mit antibiotikaresistenten Erregern. Etwa 2.500 Bundesbürger sterben Jahr für Jahr durch multiresistente Erreger, die oft aus Krankenhäusern stammen. Europaweit sterben nach Schätzungen der EU-Gesundheitsbehörde ECDC jährlich mehr als 35.000 Menschen aufgrund von Antibiotika-Resistenzen.

Diese Zahlen könnten künftig deutlich steigen. Denn Hessen dürfte nicht die einzige Region sein, in deren Böden Desinfektionsmittel in beunruhigend hoher Konzentration nachgewiesen wurden.

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