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Das Turiner Grabtuch

Die Sindone di Torino, deutsch präjudizierend Turiner Grabtuch genannt, ist ein
farbloses Leinen in einer seltenen Webart (Köper 3: 1 ). Das Tuch ist etwa 4,40 m lang und 1, 10 m breit. Auf einer Seite (die andere ist leer) ist – Kopf gegen Kopfdas frontale Bild eines nackten, offenbar gegeißelten und gekreuzigten Mannes in Vorder- und Rückansicht zu erkennen. Das Körperbild ist monochromatisch und nur ein bisschen dunkler als das Leinen selbst. Innerhalb des Bildbereichs, besonders an den Händen, Füßen und in der Seite, finden sich Spuren prä- und postmortalen Bluts der Gruppe AB in größeren und kleineren Mengen.

Die Sindone di Torino erinnert auf Anhieb an die wirkmächtigste Kreuzigung
der Weltgeschichte. Im Neuen Testament wird ein vergleichbares Objekt indessen
nicht genannt. Das steht ihrer Echtheit zwar nicht unbedingt entgegen, aber es
fehlen eben urkundliche Beweise für sie, ehe sie bald nach 1350 in Lirey, knapp
20 km südlich von Troyes, im Besitz einer Adelsfamilie Chamy wie aus dem
Nichts auftauchte. Wenige Monate vor dem Fall Konstantinopels (1453) wechselte das Leinen in die Obhut der Familie Savoyen und wird seit 1578 im Dom
zu Turin aufbewahrt. 1983 wurde es dem Papst geschenkt, der es 2015 zum 200.
Geburtstag Don Boscos wieder ausgestellt hat.

Bei der ersten Fotografie der Sindone 1898 kamen eindrucksvolle und detailreiche Schwarz-Weiß-Bilder zum Vorschein, mit denen sich Ärzte der verschiedensten Fachrichtungen beschäftigten. Kaum einer davon hat dieses Bild für das Werk eines Künstlers gehalten, und die meisten zweifelten nicht daran, dass das Tuch einen wirklich Gekreuzigten von etwa 25 bis 40 Jahren in vollendeter anatomischer Richtigkeit zeigt. Die Füße verschwinden vorne im Stoff. Die Hände sind vor der Scham überkreuzt, was auf einen angehobenen Kopf und leicht angewinkelte Beine verweist. Die Leichenstarre des Abgebildeten wurde vor einigen Jahren durch bemerkenswerte Experimente in Turin bewiesen. Hingegen ist es bis heute trotz stereotyp wiederholter Beteuerungen noch nicht gelungen, die Entstehung des Abbilds zu erklären. Ein mittelalterliches Kunstwerk ist ziemlich sicher auszuschließen. Ein namhafter Kunsthistoriker bemerkte einmal: „ Wirkennen mittelalterliche Fälschungen, aber wir kennen keine Fälschung, die so aussieht wie diese.”

Für eine mögliche Frühgeschichte des Objekts vor dem 14. Jahrhundert gibt es
lediglich Hypothesen.4 Ein Historiker, der sich daran stößt, begeht den Kardinalfehler, von den Quellen zu verlangen, was er gerade erwartet.5 Das beliebte Verfahren, historischen Hypothesen die Beweiskraft abzusprechen, ist methodisch belanglos, bekanntlich muss man sie widerlegen. Tatsächlich wurde die Sindone nach den Spuren im Tuch immer gerollt oder zusammengelegt aufbewahrt. Man kann sie so falten, dass sie ohne weiteres in eine Aktentasche passen würde und von den Bild- und Blutspuren nicht das Geringste zu erkennen wäre. Daher ist das Argument, man habe ein solches Objekt nicht Jahrhunderte lang geheim halten können, nicht überzeugend.

Die Deutungen dieser in religiöser Hinsicht „heißen” Realie gehen von Anfang
an weit auseinander, besonders seit 1898. Die anlässlich der Fotografien ausgebrochene Euphorie wurde rasch gedämpft durch die rund zwanzig zwischen 1900 und 1903 veröffentlichten Arbeiten von Ulysse Chevalier, der namhafte Unterstützung durch Leopold Delisle erfuhr. Chevaliers Studien waren für Historiker und Theologen viele Jahrzehnte lang autoritativ. Bestens zu ihrem Ergebnis passte, wie es schien, ein mehrfacher Radiokarbontest, welcher vor rund einem Vierteljahrhundert das Leinen der Sindone in die Zeit zwischen 1260 und 1390 datiert hat.
Indessen waren Voraussetzungen und Durchführung dieses Experiments höchst
fragwürdig, 8 zudem wurden jüngst auch die teilweise fundamentalen Mängel der
Arbeiten Chevaliers korrigiert.9 Die Diskussion um die Entstehung der Sindone
ist also offen, und seitens der Naturwissenschaften werden stets neue Hypothesen vorgetragen. 10 Da aber das Bild auf dem Tuch, wie erwähnt, nur sehr schwer in den Kontext mittelalterlicher Kunstproduktion passt, ist seit dem 14C-Test die geisteswissenschaftliche Auseinandersetzung um die Sindone teilweise verbissen und absurd geführt worden. Der Diskurs, sofern die Debatte diese Bezeichnung verdient, trägt geradezu postmoderne Züge. Vor diesem Hintergrund wird auch das Thema des vorliegenden Beitrags verständlicher.

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