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Der Hochstapler, der ganz Europa faszinierte

1786 ist Cagliostro – Alchemist, Magier, Esoteriker und Meister der Freimaurerei – auf dem Höhepunkt seines Ruhms. Da greift ein gewisser Bernard zu Briefpapier und Feder.

Am Morgen des 1. Juni 1786 trat Graf Alessandro Cagliostro nach neun Monaten im Kerker als freier Mann aus der Bastille. Erst am Abend zuvor hatte ihn ein Pariser Gericht von jedem Vorwurf in der Halsbandaffäre freigesprochen – einem possenhaften Betrugsskandal, in den auch die Königin Marie Antoinette ohne jede persönliche Schuld geraten war und mit ihr das gesamte Königshaus. Nun bejubelten seine Anhänger und Schaulustige den Grafen auf den Straßen der französischen Hauptstadt. Cagliostro war auf dem Gipfel seines Ruhms, und die Aussicht war prächtig. Sein Ruf als exotischer Magier eilte ihm ohnehin stets voraus, nun aber kannte ihn die ganze Welt.

Mit ungeahnter Leidenschaft hatten die Zeitungen von London bis Wien, von Lissabon bis Berlin über die Affäre berichtet, hatten jedes Detail des Skandals rund um ein ungeheuer teures Diamantcollier, einen Kardinal von hohem Adel und mäßigem Urteilsvermögen und eine so gewiefte wie falsche Gräfin vor der europäischen Öffentlichkeit ausgebreitet. Am Ende des Spektakels war Cagliostro, der allem Anschein nach tatsächlich schuldlos in diese Angelegenheit und ins Gefängnis geraten war, völlig rehabilitiert. Mehr noch: Er galt als ein unschuldig von einem despotischen Herrscherhaus Verfolgter, dem es gelungen war, der Tyrannei zu widerstehen. Für die Gegner der Monarchie, derer es in Frankreich Mitte der 1780er Jahre wahrlich nicht wenige gab, war er ein Held.

Auf Befehl des Königs mussten er und seine Frau Frankreich zwar binnen drei Wochen verlassen, doch in London, wo die beiden sich vorerst niederzulassen gedachten, wurde der Wunderdoktor schon ungeduldig erwartet. Die britische Presse feierte ihn vorauseilend in den höchsten Tönen. So pries ihn der »Daily Universal Register«, das Vorgängerblatt der »Times«, als einen »herausragenden Gelehrten« und einen »dem Grundsatz der Humanität und der Zuneigung zu seinen Mitgeschöpfen« verpflichteten Arzt. Zudem war seine Verteidigungsschrift aus dem eben zu Ende gegangenen Prozess bereits ins Englische übersetzt und veröffentlicht worden, was die Stimmung zusätzlich zu seinen Gunsten beeinflusste.

Der Graf aus dem Orient
Cagliostro hatte darin unter anderem von seiner Herkunft aus dem Orient erzählt, hatte seiner früh verstorbenen Eltern gedacht, von denen er wenig mehr wisse, als dass sie von »Adel und Christen« gewesen seien, von seiner Kindheit »in der arabischen Stadt Medina« berichtet, wo er »im Palaste des Muphti Salahaim« gelebt habe, von ausgedehnten Reisen durch Asien und Afrika erzählt sowie sich der Bekanntschaft »mit den Priestern der unterschiedlichen Tempel« gerühmt. Der Empfang in England geriet denn auch zu einem beachtlichen Erfolg. Unter den ersten Besuchern, die das Paar in London empfing, waren der britische Thronfolger George und zwei seiner Brüder, allesamt Freimaurer wie der Graf. Es konnte kaum besser laufen für Cagliostro.

Hätte er nur ein Fünkchen jener hellseherischen Fähigkeiten besessen, derer er sich seit Jahren rühmte, wäre er schon am Tag nach seiner Entlassung aus der Bastille weit weniger zuversichtlich gewesen. Am 2. Juni nämlich machte sich in Palermo ein gewisser, nicht weiter bekannter Bernard an die Niederschrift eines Briefs an die Pariser Polizei, in dem er die wahre Identität des vermeintlichen Grafen enthüllte: Der geheimnisvolle Alchemist Cagliostro hieß eigentlich Giuseppe Balsamo. Der Gründer und Meister mehrerer Freimaurerlogen, der Magier, Menschenfreund und Mediziner, der Graf aus Tausendundeiner Nacht war 1743 als Sohn eines bankrottgegangenen Juweliers in der Albergheria zur Welt gekommen, einem der elendsten Viertel der sizilianischen Hauptstadt.

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