Templer - Blog

Die Herkunft der Sindone ist noch unbekannt, war aber weder geheim noch skandalös

Nachdem kein stichhaltiger Hinweis auf den Besitz des Grabtuchs durch die Templer existiert und auch die Namensgleichheit zwischen dem Templer und dem Burgunder Geoffroy als bedeutungslos erkannt ist, bleibt schließlich noch eine nicht unwesentliche Voraussetzung zu besprechen, welche für die Herkunft der Sindone von den Templern unverzichtbar ist: ihre angeblich skandalöse und geheime Provenienz. Grund für diese weit verbreitete Ansicht ist die Tatsache, dass der Burgunder Geoffroy sich trotz seiner reichen literarischen Produktion über das Grabtuch nie geäußert hat und seine Erben nur wenige Andeutungen gemacht haben. Geoffroy (11.) de Charny, der gleichnamige Sohn des Erstbesitzers, erklärte 1389 gegenüber dem Papst in Avignon bzw. seinem Legaten a latere Pierre de Thurey, die Sindone sei seinem Vater geschenkt worden. Kurial prägnant lautete das: sibi liberaliter oblatam. Daran ist nichts Besonderes: liberalitas spielte auch 1453 bei der Weitergabe des Objekts von Marguerite de Charny, der Enkelin des Erstbesitzers, an die Familie Savoyen die wesentliche Rolle. Auch dieser zweite Transfer wurde zur Vermeidung des Simonievorwurfs nicht in einer Schenkungsurkunde festgehalten. Vorher war Marguerite seit längerem im Streit mit den Kanonikern von Lirey um den Besitz des Grabtuchs gelegen. Dabei hatte sie betont, dass die sainct Suaire . .. fut conquis par Jeu messire Geoffroy de Charny, mont grant pere. Diese Formulierung löste bei ihren späteren Interpreten eine Verwirrung aus, die erst jetzt langsam zu schwinden beginnt. Im frühen 17. Jahrhundert hatte nämlich Jean-Jacques Chiffiet Marguerites Aussage interpretiert als Sindonem illam asseruit ab avo suo Gaufrido bello partam sed ubi et qua tempore minime aperit. Seither werden das “wo” und “wann” der Eroberung des Grabtuchs eifrig diskutiert. Das geht so weit, dass diese Kriegsbeute (“bottina di guerra”) sogar von den Templern selbst gemacht worden sein soll. Neuerdings wird für den Erwerb der Sindone durch den Burgunder Geoffroy allerdings wieder einmal das Passagium nach Smyrna von 1345-1347 favorisiert, an dem der angesehenste Ritter Frankreichs nachweislich teilgenommen hat. Nun konnte aber conquerir im Französischen noch bis ins 16. Jahrhundert dasselbe wie acquerir (und zwar auch ohne Waffengewalt) bedeuten, und wenn es um Nachlässe ging, lag seine Verwendung sogar nahe. Denn in Testamenten unterschied man zwischen dem ererbten Besitz (eritage), dem persönlichen Besitz (muebles) und dem individuell erworbenen Besitz (conques) des Erblassers. Im Altfranzösischen bezeichnete conques „real property which was not inherited by the person holding it, but acquired through such means as gift or purchase for money.” Marguerite hat also das auf ihren Großvater zurückgehende, legitime
Besitzrecht ihrer Familie am Grabtuch betont. Ihre Aussage bestätigt mithin die
ihres Vaters. Sie stimmt damit überein, dass das Grabtuch erst von dem Burgunder Geoffroy erworben wurde; es war ein Geschenk und kein schon vorher in der Familie vorhandenes, auf dem Erbweg weiter gereichtes Objekt. Dies schließt
zugleich seine Weitergabe vom Templer Geoffroy an seinen angeblich Verwandten, den Burgunder Geoffroy, aus.

An dieser Stelle wird eine zweite Beobachtung bedeutsam, weil sie einer
wichtigen Voraussetzung der Templerhypothese den Boden entzieht. Die reichlich vagen Provenienzangaben der Erben119 waren schwerlich dazu bestimmt, die
wirkliche Herkunft des Grabtuchs zu verschleiern und Nachforschungen auf falsche Fährten zu führen. Letzteres hat bereits Ulysse Chevalier, der entschiedenste Gegner der Sindone, geglaubt, und kurioserweise folgen ihm darin viele Sindonophile. Sie vermuten hinter den Schreiben des Bischofs von Troyes und des Papstes aus der Zeit um 1390 “hidden agenda” und beziehen diese wenigstens teilweise eben auf die angebliche Herkunft des Grabtuchs von den Templern, die skandalös gewesen sei und geheim bleiben sollte. Nüchtern betrachtet, ließ es die Brevitas des Kurialstils überhaupt nicht zu, in Eingaben an den Papst für dessen Entscheidung unnötige Details vorzubringen, und auch Marguerite de Charny musste ihr Eigentumsrecht in ihrem Brief an die Kanoniker von Lirey nicht mit Einzelheiten rechtfertigen. Schließlich sollte nicht übersehen werden, dass die Erben des Burgunders Geotfroy möglicherweise über die genauen Umstände des Grabtucherwerbs wirklich nicht besonders gut Bescheid wussten. Als der Burgunder Geoffroy 1356 fiel, war sein Sohn gerade einmal zwei Jahre alt, und als dieser 1398 starb, seine Tochter zwischen sechs und acht. Das meiste, was sie wussten, werden sie ihren Müttern verdankt haben, und da stellt sich die Frage, was diese selbst erfahren haben.
Was nun Pierre d’ Arcis, den Bischof von Troyes, angeht, so widerspricht sein
sogenanntes Memorandum, das im Entwurf und in der an maitre Guillaume Fulconis, seinen Prokurator in Avignon, gesandten Reinschrift, aber nicht in kurialer
Form vorliegt, geradezu der Herkunft des Tuches von den Templern. Der Bischof war im Frühjahr 1389 gegen die vom päpstlichen Kardinallegaten Thurey
erlaubte Ausstellung des Grabtuchs in Lirey vorgegangen, ohne vorher die Meinung des Heiligen Stuhls einzuholen. Kein geringerer als Guillaume Mollat hat bereits daraufhingewiesen, dass Geoffroy de Charny d. J. diesen Verstoß gegen die Regeln der kirchlichen Gerichtsbarkeit geschickt ausnutzte, einen königlichen Schutzbrief erwirkte und an den Papst appellierte. Clemens VH. bestätigte im Sommer 1389 ex certa scientia die Entscheidung seines Kardinallegaten und bedrohte den Bischof mit ewigem Stillschweigen, wenn er weiter dagegen intervenierte. Auf erste Gerüchte hin machte Pierre d’ Arcis sehr wortreich von seinem Einspruchsrecht Gebrauch. Er argumentierte, der Kardinallegat habe ex proposito entschieden und sei zu seinem Indult per veri suppressionem et falsi suggestionem gelangt. Es liege also eine erschlichene Urkunde (litterae subrepticiae) vor.
Tatsächlich waren unter Verschweigung der Wahrheit (veritate tacita) erwirkte
Papstprivilegien ungültig. Ihren Widerrufhatte Pierres Prokurator inAvignon zu
erreichen versucht, und tatsächlich blieben, entgegen der verbreiteten Meinung,
die Einwände aus Troyes nicht ganz ohne Wirkung, handelten dem Bischof aber
zum ewigen Stillschweigen (perpetuum silentium) in dieser Angelegenheit noch
die Exkommunikationsandrohung ein. Die unterschlagene Wahrheit aber bezieht
sich ganz eindeutig nicht auf die Provenienz des Grabtuchs aus sinisteren, nur
hinter verschlossenen Türen zu nennenden Kanälen. Vielmehr sagt Bischof Pierre
offen und unmissverständlich, dem Kardinallegaten und dem Papst sei ein früherer Eklat um die Sindone verheimlicht worden. Denn etwa 34 Jahre vorher habe der damalige Bischof von Troyes die Herkunft des Tuches untersucht und danach seine Ausstellung schon einmal verboten; durch die Auffindung des Malers habe er es als Menschenwerk entlarvt, als non miraculose corifectum vel concessum.

Für die Herkunft von den Templern lässt diese Angabe des Pierre d’ Arcis überhaupt keinen Raum. Schließlich stellt sich, wie bereits Malcom Barber bemerkte, generell die Frage, ob das Schicksal der Templer „retained a latent power to arouse deep passions as late as 1389.” Eine einfache Beobachtung zeigt, dass dies ziemlich unwahrscheinlich ist. Denn die aragonesische Fassung der Chronik der Morea, wie sie in einer 1393 vermutlich in Avignon vollendeten Handschrift erhalten blieb, ist dafür ein aufschlussreiches Zeugnis. Der auf Geheiß des 32. Großmeisters des Johanniterordens, Juan Fernandez de Heredia, aus vielfältigen und vielsprachigen Quellen kompilierte Text bietet für die Zeit nach 1305 eine unabhängige Tradition.
Zum Jahr 1315 wird erzählt, Ludwig von Burgund habe seinem Freund Dreux de
Charny, dem leiblichen Bruder von Herrn Geoffroy de Charny (hermano de micer
Jufre de Charni), die Tochter des Herrn von Vostitsa zur Frau gegeben. Die Sache selbst spielt im Moment keine Rolle, bemerkenswert ist jedoch, dass Dreux nicht als Sohn des Jean de Charny vorgestellt wird, wie dies übliche Praxis auch in dieser Zeit war, sondern durch die Nennung seines Bruders Geoffroy de Charny charakterisiert wird. Eine unbekannte Person durch den Hinweis auf eine bekanntere zu präsentieren, war ein Verfahren, dessen sich schon die alten Römer auf Inschriften bedienten, um den Glanz einer Familie auch auf die weniger hervorragenden Mitglieder in hellem Lichte strahlen zu lassen. Der Hasardeur von Calais und gefallene Träger der Oriflamme war den Kompilatoren der aragonesischen Chronik offenbar ein Begriff, an eine Verwechslungsmöglichkeit mit dem 1314 hingerichteten Templer Geoffroy scheint indessen am Jahrhundertende niemand gedacht zu haben, noch nicht einmal im Johanniterorden!

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