Templer - Blog

Ein Paradies verschwindet

Politische Parteien waren in Andorra verboten, und allen ging es gut.

Der grösste Zwergstaat Europas hat heute 75.000 Einwohner, von denen nur 41.000 Andorraner sind und nur 27.000 wählen dürfen. Nur vier von zehn Einwohnern sprechen die Landessprache Katalanisch als Muttersprache, viele überhaupt nicht.
Andorra ist ein Fürstentum ohne Fürst, dafür mit zwei Ausländern als Staatschefs:
Dem Bischof im spanischen Seo de Urgel und
dem jeweilige Präsidenten von Frankreich.

Bis Anfang der 1990er Jahre entschieden diese beiden Kofürsten. was in Andorra passierte und Hessen es dort durch Vögte umsetzen. Ein Bischof als Staatschef bedeutete: kein Glücksspiel, keine Prostitution – aber eben auch keine Steuern. Andorra war definitiv nicht das unterhaltsamste Land, aber ein guter Ort für Unternehmer. Hier machten nicht Ausländer steuerfrei Geschäfte im Ausland, wie in Panama oder Belize, sondern hier machten heimische
Bürger steuerfreie Geschäfte im In und Ausland. Für Andorraner und Ausländer mit Wohnsitz in Andorra gab es keine Steuern. Unternehmen zahlten eine jährliche Pauschale, und niemand wollte eine Buchführung sehen. So funktionierte es bis weit ins neue Jahrtausend.

Wenn man vor 45 Jahren hier ein Auto kaufte erhielt man den Führerschein gleich gratis dazu. Ohne Führerschein kann man ja nicht Autofahren. Man wohnte im Hotel Plaza, oder wenn man es billiger wollte, im Andorra Center in der Calle Dr. Negui. Essen ging man dann ins Papanico oder zu Don Denis.

Es gab keine Gewaltenteilung. was sich hier längst nicht so negativ auswirkte wie in Deutschland. Politische Parteien und Gewerkschaften waren verboten. Das Land werde von einer Handvoll Familien regiert, hiess es damals. Eine Art Gesellschaft nach privatem Recht also, und keiner begehrte auf, denn den Menschen ging es gut. Es gab Schulen in Katalanisch, Spanisch und Französisch.
Ein verlässliches Gesundheitswesen. Andorra war ein riesiger Duty-Free’-Shop. Jeden Freitag setzten sich Autokolonnen aus Spanien und Frankreich in Bewegung. Die Nachbarn kamen zum Einkauf nach Andorra, auf der einzigen Strasse gab’s kilometerlange Staus, und am Sonntag ging es wieder zurück, den Kofferraum voll mit Käse und Butter. Zigaretten und Elektronik.

Seit Andorra der UNO beitrat, geht es mit den Freiheiten bergab
Wer als Ausländer nach Andorra kam. musste eine Kaution hinterlegen und durfte steuerfrei dort wohnen. Oder er gründete eine Firma, stellte sich selbst an und durfte ohne Kaution wohnen und steuerfrei Geschäfte machen. Ausländer durften nur ein Drittel an einer Firma halten, also hielt zwei Drittel ein heimischer Strohmann, der sogenannte Frestanom.

Stichtag für den Niedergang ist der 28. Juli 1993. an dem das Land der UNO beitrat. Jetzt war Andorra ein souveräner Staat, das löste erstmal Jubel aus. Aber plötzlich gab es
Politiker und Parteien. Sie freuten sich über ihre neue Macht, wie Kinder über ein neues Spielzeug. Nach und nach zeigte sich, dass ein Staat kein Problem löst, sondern selbst
das Problem ist. Es folgte der langsame aber stetige Abstieg – zum Nutzen der Politik und zum Schaden der Bürger. Viele neue Gesetze, weniger Rechtssicherheit, mehr Überwachung
– und immer mehr Steuern, wo es früher gar keine gab.

Die Regierung, die Steuern einführte, hatte Wahlkampf gegen Steuern gemacht
Irgendwann wird es Steuern geben, das war jedem klar, seit es eine Regierung gab. Andorras Politiker gaben die Schuld der EU und der OECD, die das kleine Land unter Druck setzten. Das ist wahr. Aber die Begründung passte den Andorra- Regierungen ganz gut, denn sie verbrannte ja selbst immer mehr Geld.
Sogar vom EU-Beitritt war die Rede, als die Sozialisten 2010 kurz regieren durften. Das sozialistische Experiment dauerte nur 20 Monate, dann trat Toni Marti’ Petit, früher
Bürgermeister der Gemeinde Escaldes- Engordany. mit einer Plattform gegen Steuern zur Wahl an. Seine »Demokraten für Andorra«, ein Mischmasch aller politischen Richtungen, gewannen 20 der 28 Sitze.
Nicht mal ein Jahr nach ihrer Wahl beschlossen sie mit absoluter Mehrheit die Einführung einer Einkommensteuer ab 2015. Längst ist der Abstieg des Landes in den Augen vieler Andorraner mit dem Namen Toni Marti verbunden.

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