Besser leben

Fadenscheinige Begründungen

Die verschiedenen Autoren geben nur zum Teil Begründungen für ihre Empfehlungen,
und häufig widersprechen diese den wissenschaftlichen Erkenntnissen. Insbesondere
ihre Ansichten zu Milch und Milchprodukten sind nicht nachvollziehbar.
Sie behaupten, daß Milch und Milchprodukte den Verdauungstrakt verkleistern und
verkleben und daß Calcium aus der Milch nicht verfügbar sei.

Milch und Milchprodukte sind jedoch eine Lebensmittelgruppe, die uns mit essentiellen
Nahrungsinhaltsstoffen versorgt, von denen besonders Calcium und Vitamin
B, nur schwer aus anderen Quellen geliefert werden können. Die Aktivität der
Lactase, ein Enzym, das für die Verdauung des Milchzuckers notwendig ist, nimmt
zwar mit steigendem Lebensalter und nachlassendem Milchkonsum ab, was zu
Milch-unverträglichkeiten führen kann. Jedoch wird Lactose in unseren Breiten
auch mit zunehmendem Alter meist gut vertragen.

Die Rohkost-Vertreter behaupten darüber hinaus, daß erhitzte Produkte soweit geschädigt
würden, daß Mineralstoffe schlechter oder gar nicht resorbierbar seien.
Als Begründung wird angeführt, daß Mineralstoffe in Lebensmitteln organische
Substanzen seien, durch den Erhitzungsprozeß in einen anorganischen Zustand
übergingen und dann nicht resorbiert werden könnten. Mineralstoffe sind jedoch
von Natur aus anorganische Substanzen. Sie können allerdings in biologischen Systemen
wie z. B. in Lebensmitteln oder im menschlichen Organismus an organische
Substanzen gebunden sein. Und diese Bindungsform kann tatsächlich einen
Einfluß auf die Resorbierbarkeit haben. Es gibt einerseits organische Bindungspartner
von Mineralstoffen, die sich positiv auswirken (z. B. Hämoglobin-Eisen),
andererseits existieren aber auch organische Bindungsformen, die die Aufnahme
negativ beeinflussen können, z. B. die Bindung an Phytin, Oxalsäure oder Gerbstoffe.
Speziell zur Calciumaufnahme liegen zudem Untersuchungen vor, die zeigen,
daß dieser Mineralstoff aus erhitzter und unerhitzter Milch gleich gut aufgenommen
werden kann.

Trinkwasser ungeeignet?

Da viele Sonnenkostautoren davon ausgehen, daß anorganische Mineralstoffe für
den Menschen nicht verfügbar sind, behaupten sie, daß der Mensch die Mineral-
Abdruckaus UGB-Forum 1/93
Rohkost
Stoffe aus Trink- oder Mineralwasser nicht aufnehmen könne. Aus diesem Grund
empfehlen sie, destilliertes oder gefiltertes Wasser zu trinken. Damit könne auch
dem Problem der Schadstoffaufnahme – insbesondere von Nitrat über das Trinkwasser
entgangen werden. Die Nitratbelastung des Trinkwassers soll hier keineswegs
verharmlost werden. Aber gerade durch einen sehr hohen Gemüseverzehr
wird mengenmäßig deutlich mehr Nitrat aufgenommen als durch Trinkwasser.

Destilliertes Wasser ist darüber hinaus als Getränk nicht empfehlenswert. Denn die
Aufnahme größerer Mengen (mehr als ein Liter täglich) kann zu starken Mineralstoffverlusten
führen. Übelkeit, Erbrechen, Bewutlosigkeit, sogar Herzstillstand
können die Folge sein. Vor allem Personen in besonderen Stoffwechselsituationen
wie z. B. Schwangere, Säuglinge, Fastende oder Kranke sind durch eine solche
Empfehlung gefährdet. Selbstverständlich sollte beim Konsum von Mineral- oder
Trinkwasser auf die Schadstoffbelastung geachtet werden. Aber durch einen Blick
auf das Etikett bzw. einen Anruf bei den zuständigen Wasserwerken kann die Aufnahme
von z. B. stark nitrathaltigem Wasser vermieden werden. Darüber hinaus
können die Mineralstoffe aus Trink- bzw. Mineralwasser durchaus zur Mineralstoffversorgung beitragen.

Kurzfristig möglicherweise erfolgreich
Als Dauerkostform ist eine ausschließlich aus roher Frischkost zusammengestellte
Ernährung nicht geeignet, selbst wenn 30 Prozent an konzentrierter und zum Teil
erhitzter Nahrung erlaubt sind. Längerfristig muß man mit erheblichen Unterversorgungen
rechnen, wenn die Lebensmittel nicht sehr gezielt ausgewählt und zusammengestellt
werden. Insbesondere bei Kindern und Heranwachsenden sowie
bei Personen in besonderen Stoffwechselsituationen kann es zu bedenklichen Mangelerscheinungen
kommen. Allerdings existieren bisher keine gesicherten Studien
über den tatsächlichen Gesundheits- und Versorgungszustand von Sonnenköstlern.
Kurzzeitig durchgeführt verursacht diese Ernährungsform bei Erwachsenen jedoch
vermutlich keinen Schaden, sondern wirkt sich durch den Verzehr vieler frischer
Lebensmittel und die Gewichtsregulation eher positiv aus. Sicher ist es auch für jeden
eine interessante Erfahrung, eine gewisse Zeit einmal völlig unabhängig vom
Kochtopf zu sein.
10 Hans-Helmut Martin

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