Templer - Blog

Macht uns die Inflation jetzt alle arm?

Die Inflation ist allgegenwärtig. Wie lange steigen die Preise noch? Was bedeutet das für uns alle? Und sind die Hilfsmaßnahmen aus Sicht der Forschung sinnvoll?

Welche Gründe gibt es generell für Inflation?
Die Preise steigen, unser Geld ist nicht mehr so viel wert wie vorher. Das ist erst einmal nichts Ungewöhnliches: Die Europäische Zentralbank, die für die Stabilität der Preise sorgen soll, strebt für den Euro-Raum sogar eine Inflationsrate an. Diese soll etwa zwei Prozent betragen.
Doch derzeit ist diese Rate wesentlich höher. In Deutschland lag sie im Oktober 2022 bei 10,4 Prozent, gemessen als Veränderung des Verbraucherpreisindex (VPI) zum Vorjahresmonat. Der VPI misst jeden Monat die durchschnittliche Preisentwicklung aller Dienstleistungen und Waren, die private Haushalte in Deutschland konsumieren.

Damit erreiche die Inflation einen neuen Höchststand im vereinigten Deutschland, so der Präsident des Statistischen Bundesamtes, Georg Thiel. Aber warum sind die Preise so aus dem Ruder geraten?

Verschiedene Inflationsarten
Allgemein kann man sagen, dass Inflation immer etwas mit der Geldmenge und der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes zu tun hat. Letztere beschreibt die Häufigkeit, mit der das Geld in einer bestimmten Zeit den Besitzer wechselt.

Gründe für Inflation kann es verschiedene geben. Dabei unterscheidet man zwischen zwei „Arten“ von Inflation: der nachfragebedingten und der angebotsbedingten.

Bei der nachfragebedingten Inflation übersteigt die Nachfrage das Angebot. Es gibt eine Angebotsknappheit und entsprechend können Unternehmen für die Güter höhere Preise verlangen. Steigen die Preise, sinkt aber auch der Wert des Geldes. Es gibt verschiedene Gründe für diese Art der Inflation, zum Beispiel, dass private Haushalte mehr konsumieren, Unternehmen mehr investieren, staatliche Investitionen steigen oder weil es Exportzuwächse gibt. Oder mehrere Faktoren treffen gleichzeitig zu.

Die angebotsbedingte Inflation entsteht, wenn der Anstoß zu steigenden Preisen von der Angebotsseite ausgeht. Gründe dafür sind beispielsweise höhere Löhne oder steigende Preise für Rohstoffe und Energie. Oft wird in dem Zusammenhang auch von der „Kostendruck-Inflation“ geredet. Das heißt, das allgemeine Preisniveau steigt, weil die Produktionskosten höher sind.

Welche Gründe gibt es für die aktuelle Inflation?
Auch die jetzigen Preissteigerungen sind vor allem darauf zurückzuführen: auf hohe Preise für Energie. Dahinter steckt ein knappes Angebot von Gas, Öl und Co., unter anderem aufgrund des Kriegs gegen die Ukraine. Zudem habe das Auslaufen von 9-Euro-Ticket und Tankrabatt den Preisauftrieb im September 2022 verstärkt, erklärt Georg Thiel vom Statistischen Bundesamt. Diese zeitlich begrenzten Maßnahmen des zweiten Entlastungspakets hätten sich von Juni bis August 2022 dämpfend auf die Gesamtteuerung ausgewirkt.
Das Problem ist: Mit den Energiepreisen steigen auch sehr viele andere Preise – weil die Produktionskosten für viele Güter höher werden. Zum Beispiel für Nahrungsmittel.

Energie wird in der Produktion gebraucht
Mit den Energie-Preisen stiegen die Preise für andere Produkte auf breiter Linie. Denn in allen Produktionsprozessen wird Energie benötigt. Diese höheren Kosten geben die Unternehmen dann an die Verbraucher:innen weiter. Das passiert auch bei Produkten des täglichen Bedarfs wie Lebensmitteln, was für viele Haushalte zum Problem wird.

Neben dem Anstieg der Preise für alle Energieprodukte infolge der Kriegs- und Krisensituation beeinflussen laut dem Statistischem Bundesamt Lieferengpässe und deutliche Preisanstiege auf den vorgelagerten Wirtschaftsstufen die Inflationsrate.

Viele Ursachen für hohe Inflation
Dass die Inflation aktuell so hoch ist, hat insgesamt viele Ursachen. Schon vor dem Krieg in der Ukraine sind die Energie- und Lebensmittelpreise gestiegen. Expert:innen weisen auf die Lieferengpässe durch die Pandemie hin, bei gleichzeitig hoher Nachfrage nach Dienstleistungen und Konsumgütern.

Dazu komme die expansive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB), schreiben etwa Lena Dräger, Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Leibniz-Universität Hannover, Klaus Gründler und Niklas Potrafke, stellvertretender Leiter und Leiter des Ifo-Zentrums für öffentliche Finanzen und politische Ökonomie in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Angesichts sehr niedriger Zinsen sei die Nachfrage weiter gestärkt worden, sodass Unternehmen vermehrt mit Preissteigerungen reagiert hätten.

Wie lange steigen die Preise noch?
Mehrere bekannte Wirtschaftsforschungsinstitute geben eine sogenannte „Gemeinschaftsdiagnose“ heraus, so auch im Herbst dieses Jahres. Darin gehen die Forschenden davon aus, dass sich die Preise im Jahr 2024 wieder „normalisieren“. Letzteres denkt auch die Europäische Zentralbank. Bis dahin dürfte sich die Inflationsrate aber weiter erhöhen.
Und: „Die Unsicherheit ist groß“, sagt Michael Berlemann. Er ist Direktor am Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut (HWWI). Auch für Ökonomen und Ökonominnen sind es besondere Zeiten. „Typischerweise geht man bei den Prognosen so vor, dass man mit Daten aus der Vergangenheit in die Zukunft prognostiziert“, so Berlemann. „Das funktioniert auch gut – wenn man in Zeiten lebt, wo die Vergangenheit es erlaubt, etwas über die Zukunft zu lernen.“

Doch in solchen Zeiten befinden wir uns derzeit nicht. In Europa herrscht Krieg, auf der ganzen Welt grassiert eine Pandemie. „Wir haben lauter Schocks, die es lange nicht mehr oder noch nie gegeben hat.“

Die Sache mit der Lohn-Preis-Spirale
Entscheidend für den weiteren Anstieg der Preise ist auch, ob die Löhne erhöht werden. Gewerkschaften fordern das, damit Arbeitnehmer:innen die hohen Preise tragen können.

Einige Ökonomen und Ökonominnen begrüßen Erhöhungen. Denn höhere Löhne könnten die Nachfrage der Verbraucher:innen stabilisieren – und damit die Wirtschaft. Andererseits steht die Gefahr der „Lohn-Preis-Spirale“ im Raum.

„Wenn die Löhne erhöht werden, dann erhöht das auch die Produktionskosten von Unternehmen“, erläutert Michael Berlemann vom HWWI. Diese könnten dann wiederum die Preise erhöhen. Löhne und Preise schaukeln sich somit gegenseitig hoch. Die Inflation droht dann zu einer Dauerschleife zu werden.

Werden wir jetzt alle arm?
Zumindest haben wir wohl alle an Wohlstand verloren. „Wir müssen uns damit abfinden, dass wir durch die Krisen ärmer geworden sind“, sagt Michael Berlemann vom HWWI.
„Die Knappheit macht uns alle ärmer, und daran kann niemand etwas ändern“, sagt auch Friedrich Heinemann vom Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). „Diesen Wohlstandverlust muss die Gesellschaft hinnehmen.“

Heinemann verlangt, dass die Politik ehrlich ist und den Menschen in der Mittelschicht und Reicheren sagen muss: „Es gibt jetzt vermutlich zwei oder drei Jahre, in denen euer Wohlstand sinken wird.“ Das mag schade sein. Aber wirklich dramatisch wird es erst für die, die schon vorher schwierig über die Runden gekommen sind.

Wen trifft die Inflation besonders?
Gerade für Haushalte mit geringem Einkommen ist es hart, wenn Energiepreise steigen. Denn sie müssen einen hohen Anteil ihres Gehalts für Strom, für Wärme und Lebensmittel aufbringen.
Und viele Geringverdienende haben oftmals noch ein weiteres Problem: Sie können sich keine gut isolierten Wohnungen und keine neuen, sparsamen Haushaltsgeräte leisten. Das macht es für sie schwieriger, ihren Energieverbrauch zu verringern.

Energiearmut ist ein Problem
Dadurch treffen sie die hohen Energiepreise noch schwerer. In vielen anderen EU-Ländern gelten diese Menschen daher als energiearm. Sie geben einen verhältnismäßig großen Anteil ihres Nettoeinkommens für Energie aus. Doch in Deutschland gibt es keine Definition für dieses Problem.

„Unsere Regierung weigert sich seit Jahren, Energiearmut als eigenen, sozialen Tatbestand anzuerkennen“, kritisiert Katrin Großmann. Die Professorin für Stadt- und Raumsoziologie forscht seit langem zu dem Thema. Dabei könne man Energiearmut nicht einfach unter Einkommensarmut subsummieren. Sie sei eine eigene Form der Armut. „Eine, die an die Substanz geht.“

Stecken wir in einer Rezession?
In einer Umfrage des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) haben Geringverdienende am häufigsten angegeben, ihren Konsum aufgrund der gestiegenen Preise einschränken zu müssen. Aber: In den vergangenen Monaten taten dies auch vermehrt Menschen mit mittlerem Einkommen.
„Inzwischen haben sich die Konsumaussichten stark eingetrübt“, heißt es auch in der Gemeinschaftsdiagnose der Wirtschaftsforschungsinstitute. Das hat Auswirkungen für die gesamte Wirtschaft. Laut Expert:innen steuert Deutschland auf die Rezession zu oder steckt sogar schon drin. „Leider ist momentan kein Licht am Ende des Tunnels zu sehen“, sagt Guido Baldi vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz erwartet, dass die deutsche Wirtschaft im Winterhalbjahr 2022 / 2023 in eine Rezession rutschen dürfte.

Wie stark der Rückgang wird, dazu gibt es unterschiedliche Schätzungen. Sie liegen für 2023 etwa zwischen 0,5 und zwei Prozent. Das Institut der deutschen Wirtschaft schätzt, dass im nächsten Jahr über 300.000 Deutsche ihren Job aufgrund der Energiekrise verlieren könnten.
Artikel Abschnitt: Kann die EZB nichts gegen die Inflation tun?
Kann die EZB nichts gegen die Inflation tun?
Die Sicherung stabiler Preise ist eine zentrale Aufgabe der EZB. Wenn die Inflation durch eine gestiegene Nachfrage getrieben ist, ist es oft üblich, dass die Zentralbank die Zinsen erhöht. Die Theorie dahinter:
Kredite werden teurer und daher seltener aufgenommen.
So wird weniger „auf Pump“ konsumiert und investiert.
Also sinkt die Nachfrage wieder – und damit auch der Druck auf die Preise.
Aber in der Realität ist es oft komplizierter. Und: Wir haben ja bereits festgestellt, dass die Inflation insbesondere von einem knappen Angebot getrieben wird. „Eine Zinserhöhung ändert nichts an dem geringen Angebot von Erdgas, Erdöl und Weizen“, sagt der Ökonom Thieß Petersen von der Bertelsmann Stiftung.

Zinserhöhung soll ein Signal senden
Trotzdem hat die Zentralbank den Leitzins, mit dem sie Einfluss auf die Zinsen von „normalen“ Banken (Geschäftsbanken) nimmt, erhöht. Warum? Um ein Signal zu senden. „Es ist wichtig, dass die EZB jetzt mit sanft steigenden Zinsen – um die Wirtschaft nicht abzuwürgen – signalisiert, dass sie bereit ist, gegenzusteuern“, sagt Michael Berlemann vom HWWI.

Welche Hilfsmaßnahmen gibt es?
Der Staat hat mittlerweile mehrere Entlastungspakete verabschiedet, um Verbraucher:innen und Unternehmen zu unterstützen. Manche Maßnahmen stoßen bei Forschenden auf Begeisterung, andere nicht.
Ein kurzer Maßnahmen-Überblick
Zur Erinnerung – diese Maßnahmen gab es bereits:
+ eine Energiepauschale
+ diverse Einmalzahlungen
+ Aufschlag auf den Kinderzuschlag
+ 9-Euro-Ticket und Tankrabatt
+ weniger Sozialabgaben für Geringverdiener
+ schnellerer Wegfall der EEG-Umlage
+ Senkung der Mehrwertsteuer auf Gas

Diese Hilfen gibt’s mit der Steuererklärung:
+ Anhebung des Grundfreibetrags
+ erhöhte Pendlerpauschale
+ Pauschale der „Werbungskosten“ steigt

Das soll noch kommen:
+ Mehr Kindergeld (Erhöhung soll zum 1. Januar 2023 erfolgen)
+ günstigeres ÖPNV-Ticket (voraussichtlich ab 2023)
+Heizkostenzuschuss für Wohngeld-Empfänger (voraussichtlich bis Ende Januar 2023 / Anfang Februar 2023)
+ Einmalzahlung für Studierende sowie für Rentner (ab Anfang Dezember 2022)
+ Gaspreisbremse (voraussichtlich ab März 2023)
+ Strompreisbremse (voraussichtlich ab Januar 2023)

Wie bewerten Forschende die Maßnahmen?
„Die beiden ersten Pakete entpuppten sich mehr als ein Potpourri kleinerer Wählergeschenke denn als zielführende Politikmaßnahmen, schreiben die DIW-Ökonomen Alexander Kritikos und Alexander Kriwoluzky.
Die Sache mit den Wählergeschenken ist übrigens auch öfter ein Problem bei Subventionen, wie ihr hier lest: Wie sinnvoll sind Subventionen?

Und auch wenn es laut den Forschenden nun „manch sinnvollen Vorschlag“ im dritten Paket gibt, werde es nicht die benötigten Signale setzen, um durch den Winter zu kommen. Denn: Es würden nicht genug Anreize zum Sparen gesetzt. Weil es Maßnahmen gebe, mit denen der Lenkungseffekt der Preise verwässert werde.

Preise zeigen Knappheiten an
Einige Energieträger sind derzeit knapp. Und wenn ein Gut knapp ist, dann steigt sein Preis. Das ist tatsächlich auch gut so. Denn Preise zeigen Knappheiten an und sind für Konsumentscheidungen relevant. Ist Gas knapp und entsprechend teuer, wird davon weniger verbraucht. Es gibt also einen Anreiz zum Sparen.

Daher sollte man „den Preisanstieg wirken lassen“, sagt Oliver Holtemöller. Er forscht am IWH in Halle, das auch an der Gemeinschaftsdiagnose beteiligt ist. Fehler wie der Tankrabatt dürften sich indes nicht wiederholen. Er hat fossile Energie billiger gemacht und Anreize für mehr Mobilität statt fürs Sparen gesetzt.

Tank-Rabatt war nicht zielgerichtet
Maßnahmen wie der Tank-Rabatt haben noch einen weiteren Nachteil: Sie kommen auch denen zugute, die sie gar nicht brauchen. Oft bemüht wurde das Bild vom „armen“ SUV-Fahrer, der billiger tanken wollte. Das Instrument war also nicht zielgerichtet genug.

Besser wäre es, die Haushalte gezielt zu unterstützen, die kaum über die Runden kommen. Das wird nun im dritten Entlastungspaket besser gemacht als mit den beiden anderen, sagen Forschende vom Institut der deutschen Wirtschaft. Sie nennen als positive Beispiele die Einmalzahlungen für Studierende, den Heizkostenzuschuss und das veränderte Wohngeld. Auch die Hilfen, die mit der Steuererklärung geltend gemacht werden können, loben die Forschenden.

Höherer Zuschlag für Geringverdienende
Sie haben ausgerechnet, dass die Entlastungen „die Inflationsrate für Haushalte mit einem Nettoeinkommen zwischen 1.300 und 5.000 Euro um 2,8 bis 3,0 Prozentpunkte drücken“ dürften. Bei höheren Einkommen wären es 2,1 Prozent.

Sinnvoll finden Forschende außerdem, dass einige der Maßnahmen, wie beispielsweise der Bonus pro Kind, steuerpflichtig sind. So kriegen Geringverdienende einen hohen Zuschlag, während dieser bei Besserverdienenden schrumpft.

Preisbremse
2023 sollen zudem eine Gaspreisbremse und eine Strompreisbremse kommen. Auch solche Bremsen können die Lenkungswirkung der Preise verzerren.

Eine Experten-Kommission hat vorgeschlagen, dass es eine Preisgarantie auf einen festgelegten Grundbedarf geben soll. Das Grundkontingent soll bei 80 Prozent des Verbrauchs liegen, der der Abschlagszahlung für September 2022 zugrunde lag. Auf dieses Kontingent soll dann beim Gas ein staatlich garantierter Bruttopreis von maximal 12 Cent je Kilowattstunde gelten, für Strom ein Preis von 40 Cent.

Verbraucht man mehr, wird es teuer. Denn alles, was darüber an Gas verbraucht wird, wird dann nach Marktpreis abgerechnet. Das hatten auch viele Ökonomen und Ökonominnen als Umsetzungsweg vorgeschlagen. So bleibe ein Anreiz, nicht zu viel Gas zu verbrauchen und zu sparen.

Es gibt Kritik
Schon bei der Vorstellung der Pläne hat die Expertenkomission eingeräumt, dass die Pläne nicht ideal sind. Aber: Man wolle schnell helfen.

Diese Preisbremse für Strom soll im Januar, die für Gas im März 2023 in Kraft treten. Das ist ein großer Kritikpunkt an den Plänen. Forschende befürchten, dass gerade die Gaspreisbremse damit zu spät kommt.

Fratzscher hält Preisbremse für „unsozial“
DIW-Chef Marcel Fratzscher bezeichnet die Gaspreisbremse in der Zeit gar als „unsozial“. Denn Unternehmen, Geringverdienende und Besserverdiener würden sehr ähnlich entlastet, indem sie eben für die ersten 70 bzw. 80 Prozent des Verbrauchs circa zwölf Cent pro Kilowattstunde Gas und Fernwärme zahlen müssen.

Alle werden also relativ gleich behandelt. Nur: Das führt nicht zu mehr Gerechtigkeit. „Der Wohlstandsverlust einer einkommensschwachen Rentnerin durch 100 Euro Einsparungen beim Heizen ist sicherlich höher als der für einen Topverdiener durch 100 Euro beim Heizen der Sauna“, kritisiert Fratzscher. Er hätte daher Direktzahlungen an Geringverdienende bevorzugt.

Gaspreisbremse mit Zuschüssen kombinieren
Solche Pro-Kopf-Zahlungen wirken ausgleichend auf die Verteilung. Einen ähnlichen Vorschlag macht auch IMK-Chef Dullien. Es will den Gaspreisbremse mit Zuschüssen für ärmere Haushalte kombinieren. Das sei auch wichtig, um die Bandbreite zwischen den Haushalten besser widerspiegeln – schließlich sind Wohnungen unterschiedlich isoliert und effizient.

Soforthilfe als Überbrückung
Als Überbrückung bis zur Gaspreisbremse soll es eine Soforthilfe geben. Der Staat übernehme dann die Gas- und Wärme-Abschlagszahlungen aller Kunden für Dezember. Die Höhe der Entlastung im Dezember orientiere sich an dem im Monat September 2022 prognostizierten Jahresverbrauch, so die Bundesregierung.

Preisbremsen auch für Unternehmen
Die Preisbremsen sollen auch für Unternehmen kommen. Betriebe, die viel Energie benötigen, würden zudem steuerlich entlastet. Und dann gibt es noch ein Maßnahmenpaket, das die Unternehmen unterstützen soll, die von den Sanktionen oder dem Kriegsgeschehen betroffen sind.

Bei der Unterstützung von Unternehmen gibt es immer ein Problem: Es kann passieren, dass mit Hilfsmaßnahmen nicht-rentable Firmen am Leben gehalten werden. Schon bei den Corona-Hilfen wurde die Gefahr von einer „Zombie-Wirtschaft“, in der kranke Unternehmen künstlich am Leben gehalten, diskutiert.

Versorgungsengpässe möglich
Aber: Auch für Betriebe, die eigentlich gut im Geschäft wären, sind es mit Corona und Energie-Krise herausfordernde Zeiten. Es bestünde die Gefahr, dass viele ihr Geschäft gleichzeitig aufgeben – und es bei bestimmten Gütern zu Versorgungsengpässen kommt. „Befristete allgemeine Unternehmenshilfen und zielgenaue Stützungsmaßnahmen im Einzelfall können daher sinnvoll sein“, heißt es in der Gemeinschaftsdiagnose der Wirtschaftsinstitute.

Artikel Abschnitt: Was kann man gegen die Ursachen tun?
Was kann man gegen die Ursachen tun?
So oder so: Mit den Entlastungspaketen bekämpft man bislang nur die Symptome. Um die Krise an der Wurzel zu behandeln, müsste theoretisch das Energie-Angebot erweitert werden.
Kurzfristig würde das zum Beispiel bedeuten, Gas von anderen Anbietern einzukaufen. Auch AKWs bleiben vorerst am Netz, um die Strom-Versorgung zu sichern. Ihr Ende war eigentlich für 2022 geplant.

Wie sinnvoll eine Verlängerung der AKW-Laufzeit ist, erklären wir hier.

Kanzler Scholz beschloss aber, dass die drei verbliebenen deutschen Kernkraftwerke noch bis April 2023 weiterlaufen sollen. Auch die Institute hatten in ihrer Gemeinschaftsdiagnose gefordert, dass die AKWs am Netz bleiben sollen. Mittel- und langfristig helfe laut den DIW-Forschenden Kritikos und Kriwolluzky allerdings nur der Ausbau der erneuerbaren Energien.

Erneuerbare Energien kamen lange zu kurz
„Wir haben den Ausbau der Erneuerbaren nicht genügend vorangetrieben, weil wir lieber fossile Rohstoffe billig irgendwo eingekauft haben. Dafür werden wir jetzt bestraft“, sagt auch Michael Berlemann vom HWWI in Hamburg. „Hätten wir das getan, was Klimaforscher seit 20 Jahren propagieren, hätten wir diese Probleme gar nicht.“

Wann wir endlich unseren Strom zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien beziehen, erklären wir hier.

Doch waren lange Zeit „fossile Brennstoffe billig und leicht zugänglich, während Strom der kostbarere und teurere Energieträger war“, sagt Gunnar Luderer vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung. Mittlerweile dreht sich dieses Verhältnis aber. Erneuerbare Energien seien inzwischen in atemberaubendem Tempo billiger geworden – und fossile Energieträger unter anderem durch Krieg und Corona teurer.

Schreibe einen Kommentar