Pfingstpredigt des h.e. Grossmeisters

Wir begehen heute Pfingsten, einen der bedeutendsten
Festtage der Christenheit, den Tag der Ausgießung des
göttlichen Geistes auf die Menschheit.

Nun hat der biblische Pfingstbericht, wie alle Schlüsseltexte
der Heiligen Schrift der Christen, eine Bedeutungsvielfalt,
die es immer wieder neu zu erschließen
gilt, damit ein Leben, das sich gerade vor den immer
neuen Problemen und Fragestellungen der Menschheit
offenbart.

Lassen Sie uns deshalb heute Pfingsten vor dem Hintergrund
eines Ereignisses sehen, das heute in vierzehn
Tagen bevorsteht, dem Weltumweltschutztag der Vereinten
Nationen nämlich.

Kann man denn, so werden Sie fragen, den biblischen
Bericht von der höchsten Vergeistigung des Menschen
einerseits und einen Tag, der geradezu ein Spiegel der
Versündigung des Menschen genannt werden muß andererseits,
aufeinander beziehen, ohne beiden Anlässen
Gewalt anzutun?

Ich meine, der innere Zusammenhang drängt sich geradezu
auf. Was vollzieht sich denn in dem Pfingstwunder,
das uns allen in seiner bildlichen Aussagekraft so
plastisch vor Augen steht?

Da ist einmal der innere Bezug, die innere Verweisung
auf die Geschehnisse um den Turmbau zu Babel, ein
Bezug, der sich in das Bild von den „Zungen” kleidet,
in denen die Apostel plötzlich sprechen. Damit wird jene
Sprachverwirrung aufgehoben, die Gott über die
Bewohner von Babel kommen ließ, um sie für ihren
Hochmut, ihr frevelhaftes Hinausgehen über ihre natürlichen
Grenzen zu strafen. Dieser Turm ist geradezu
zum Symbol geworden für den technizistischen Allmachtswahn
des Menschen, für das Überschreiten der
ihm durch Natur und Schöpfungsordnung gesetzten
Grenzen.

Hören wir uns den Bericht zu Beginn des elften Buches
im ersten Mose noch einmal an:
„Wohlauf, lasst uns Ziegel streichen und brennen und
sie nahmen Ziegel zu Stein und Ton zu Kalk und sprachen:
Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm
bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, damit
wir uns einen Namen machen, denn wir werden vielleicht
zerstreut in alle Länder”.

Man sieht förmlich die Steinwüste erstehen, jenen ungeheueren
Koloß, der dem natürlichen Ort des Menschen im Ganzen der
Schöpfung Hohn sprechen sollte;
die großen Maler haben uns durch die Jahrhunderte
eindrucksvolle Darstellungen dieser Gigantomanie gegeben.

Dieser Turm ist zugleich Symbol eines abgebrochenen
echten Dialoges, Versteinerung jener feinen und zugleich
unendlich großen Distanz zwischen Gott und
dem Wesen „nach seinem Bilde”, die uns am sinnenfälligsten
wohl Michelangelo zwischen die Hand Gottes
und diejenige des sich aufrichtenden Adam in der
Sixtina gelegt hat.

Der Turmbau zu Babel symbolisiert die Vergewaltigung
des Dialoges, das gierige Ergreifen statt des dankbaren
Empfangens und damit genau jenes Verhältnis, das in
der Gegenwart unseren gestörten Bezug zu Natur und
Umwelt bestimmt: Ausbeutung, Gewaltsamkeit,
Selbstherrlichkeit, am schärfsten gefaßt in die Worte:
„auf daß wir uns einen Namen machen”, Worte der
Ruhmsucht und des Trotzes.

Die Sprachengabe der Apostel, von der uns die
Pfingsterzählung berichtet, heilt nun den zerfallenen
Dialog, überwindet das Sprachengewirr, mit dem die
Völker für ihren Griff zur Sphäre des Himmels gestraft
worden waren, sie soll den Einklang vorbereiten, der
mit der christlichen Botschaft den Völkern als Verheißung
für das Ende aller Tage prophezeit wurde.

Eine zweite Lehre des Pfingstgeschehens für unseren
Umgang mit der Natur eröffnet der innere Sinn des
Naturbegriffes selbst: Natur, das meint – besonders
dort, wo der Naturbegriff aus seinen griechischen
Quellen gespeist wird -, „Aufgang, Öffnungsgeschehen,
Hervorgang”, d.h. das Sichentwickeln der Blüte
aus der Knospe, des Schmetterlinges aus der Puppe,
des Tages aus der Nacht. Dieses Hervortreten, Sichselbstoffenbaren
in der Gestalt auf die hin ein Wesen
geschaffen ist, das findet wiederum im Pfingstwunder
seine symbolische Entsprechung. Die Begeisterung der
Apostel setzt sie erst eigentlich in ihr Wesen, läßt aus
ihnen das hervortreten, was sie zu Menschen ganz allgemein
und zu Heilszeugen im besonderen macht,
Geist, Sprache und ihre Tradierung und Weitergabe.

Pfingsten ist ein einmaliges Geschehen und doch ein
Geschehen, das den Menschen auf Wiederholung,
Selbstleistung, Einlösung hin fordert, ein Geschehen,
das die Flammen in die Geister der Apostel senkt, wie
die kostbaren ersten Körner eines Saatgutes in den
Acker, ein fruchtbringendes Wachstum und ein immer
wieder sich erneuerndes und vervielfältigendes Aussähen
und Aufgehenlassen erhoffend.

Pfingsten ist seinem Bilde nach ein reines Geistgeschehen
und doch bliebe dieses Geschehen entrückt, esoterisch
und in letzter Konsequenz – mit dem Bilde der
Natur gesprochen – unfruchtbar, fände es nicht seine
Entsprechung in einem neuen Bezug der Menschen untereinander
und eben auch zu ihrer Umwelt. Erst dort,
wo der Dialog mit der Schöpfung in allen ihren Formen
neu aufgenommen wird, kann sich Pfingsten erfüllen.

Schließlich verbindet ein drittes Moment das Pfingstgeschehen
mit dem Naturbezug des Menschen.

Es ist der Auftrag zur Missionierung, der in den Evangelien
dem sich in der Apostelgeschichte anschließenden
Pfingstwunder unmittelbar vorangeht.

Diese Missionierung ist zugleich ein Kultivierungsgeschehen,
ein Überführen aus dem heidnischen Barbarenzustand
in die Weltgestalt des „Reiches Gottes”.
Aber es sollte – jenseits all’ seiner barbarischen Ausprägungsformen
– eine Überführung wiederum in der
Weise des Dialoges sein. Die Apostel sprechen in der
Sprache jedes einzelnen Volkes, sie sollen nicht, wie es
später die radikalisierte Aussage des Islam formulieren
wird, mit „Feuer und Schwert” missionieren, sondern
mit dem Wort und der ihm innewohnenden Spiritualität
und Überzeugungskraft.

„Weide meine Lammer”, heißt es bei Johannes, wo
sich der Missionsauftrag in seine behutsamste Gestalt
kleidet.
„Kultivierung”, d.h. immer Umgestaltung, Umformung,
Umsetzung, aber doch zugleich Pflege und Bewahrung
mit dem schönen Bild von den zu Pflugscharen
umgeschmiedeten Schwertern und dem Schatten
der Ölbäume, unter dem jeder Mensch und jedes Volk
seinen Platz findet in seiner eschatologischen Erfüllung.

Die Welt soll durch den Missionsauftrag hindurch zur
Heilswelt werden, damit aber erst eigentlich zur Welt
des Neuen Menschen, wie der Gottessohn ihn will, damit
zugleich zur Umwelt, in der und aus der heraus der
Neue Mensch seinem ewigen eigentlichen Leben entgegensieht.

„Weide meine Lämmer”, dieses Wort, das der Sprachbegeisterung
des pfingstlich beschenkten Menschen ihren
besonderen Sinn verleiht, bedient sich eines Bildes
aus der Natur, es fordert Einklang, Behutsamkeit,
nicht Eingriff und Gewalt.

Lassen Sie uns, wenn wir diesen Feiertag in der frühlingshaften
Natur verbringen und wenn wir in zwei
Wochen den Tag der Umwelt begehen, den Geist von
Pfingsten in uns lebendig werden, der da Verlebendigung,
Aufgang und behutsame Pflege und Bewahrung
fordert.