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Warum es so wichtig ist, auch andere Meinungen zu hören

Wie sehr kann ich meinen eigenen Meinungen trauen?
Meinungsbildung ist kein rein rationaler Prozess. Die psychologische Forschung zeigt, dass einige eher irrationale Aspekte dabei auch eine wichtige Rolle spielen. Ein Punkt: unsere Erinnerungen.
Woran wir uns erinnern, ist wichtig dafür, wie wir ein bestimmtes Thema sehen. Aber wir erinnern uns nicht immer an alle Fakten zu einem Thema, die wir jemals gelesen haben – sondern nur an das, was in unserem Gehirn eben gerade verfügbar ist. Zum Beispiel die Aspekte, die vor ein paar Tagen in den Nachrichten kamen.

Ein psychologisches Modell geht sogar davon aus, dass Menschen bei der Frage nach ihrer Meinung zu einem Thema einfach nur das abrufen, was sie früher dazu gedacht haben – und das gegebenenfalls anpassen, falls unser Gegenüber uns neue Informationen gegeben hat.

Ein zweiter Punkt in der Meinungsbildung sind die Gefühle zu einem Thema. Sie entscheiden mit darüber, ob man sich eine andere Meinung überhaupt anhört und welche Haltung man dazu entwickelt. Positive Gefühle können dabei helfen, einander zuzuhören, gerade wenn es um kontroverse Themen geht. Wer schon ärgerlich in ein Gespräch geht, wird nicht unbedingt offen für eine andere Meinung sein.

Der dritte Punkt: die Meinung der Mitmenschen. Vor allem wenn sie einer Gruppe angehören, zu der man sich selbst auch zählt. Das können Arbeitskolleg:innen oder die eigene Familie sein, aber auch die politische Gruppierung, der man sich zugehörig fühlt.

Diese Identifikation mit einer Gruppe hat einen erheblichen Einfluss auf die eigenen Meinungen und auch darauf, wem man überhaupt zuhört. Kritik beachten wir zum Beispiel viel eher dann, wenn sie von Menschen aus unserer eigenen Gruppe kommt und nicht sozusagen von außen.

Einfluss von kognitiven Verzerrungen
Der Prozess der Meinungsbildung ist aber nur ein Teil davon, wie irrational unsere Ansichten eigentlich sind. Eine Rolle spielen auch sogenannte kognitive Verzerrungen, oder Biases. Sie beeinflussen, wem wir zuhören und Glauben schenken, welche Informationen wir abspeichern und wie wir unser eigenes Wissen einschätzen. Oft liegen wir bei solchen intuitiven Einschätzungen nämlich daneben.

Dunning-Kruger-Effekt
Eine bekannte kognitive Verzerrung ist der Dunning-Kruger-Effekt. Demnach überschätzen Menschen vor allem dann ihr Wissen, wenn sie sich in dem speziellen Bereich gar nicht oder kaum auskennen.

Der Dunning-Kruger-Effekt wird häufig herangezogen, um sich über andere lustig zu machen. Eigentlich wollten die Forschenden damit aber zeigen: Wir überschätzen unser Wissen alle schnell mal. Der Dunning-Kruger-Effekt soll also zu mehr Selbstreflexion anregen, sagt die Sozialpsychologin Pia Lamberty: „Der Effekt besagt, dass wir schnell von Dingen überzeugt sind, obwohl wir vielleicht gar nicht so viel darüber wissen.“

Confirmation-Bias
Er ist eine andere bekannte und in der Forschung gut belegte Verzerrung – auf Deutsch: Bestätigungsfehler. Demnach hat unsere Weltsicht einen erheblichen Einfluss darauf, welche Informationen wir ernst nehmen. Was nicht in unser Weltbild passt, wird, solange das irgendwie möglich ist, erst gar nicht ernsthaft erwogen. Und wir suchen eher nach Informationen und Ansichten, die uns in unserem Weltbild bestätigen.

Es gibt noch viel mehr dieser kognitiven Verzerrungen, die unser Denken und unsere Meinungsbildung beeinflussen. Zum Beispiel den Optimismus-Bias. Er besagt, dass die meisten Menschen davon ausgehen, dass sie überdurchschnittlich viel Glück im Leben haben werden – auch wenn das unrealistisch ist.

Wir können uns natürlich trotz solcher kognitiven Verzerrungen die Fakten zu einem Thema anschauen, nachdenken und zu einer Meinung kommen – sollten dabei aber immer im Hinterkopf behalten, dass der Prozess nicht ausschließlich rational abläuft.

Warum streite ich mit meinen Freund:innen tendenziell weniger?
Oft ähneln sich Freund:innen: Man teilt dieselben Interessen, hat eine ähnliche Weltsicht, ähnliche Berufe – und schon dadurch gibt es weniger Potenzial für Streitereien. Das lässt sich sogar auf neuronaler Ebene beobachten.
Für eine Studie haben Forschende zunächst bei einer Gruppe Studierender analysiert, wer mit wem eng befreundet ist. Anschließend haben sie die Hirnaktivität der Studierenden beobachtet, während verschiedene Videos gezeigt wurden, wie Tierfilme oder Musikvideos.

Das Ergebnis: Die Studierenden, die enger befreundet waren, hatten deutlich mehr Übereinstimmungen in der Hirnaktivität als die, die sich nur wenig kannten. Das deutet darauf hin, dass unsere Freund:innen nicht nur ähnliche Interessen oder Ansichten haben, sondern dass wir uns sogar darin ähneln, wie wir die Welt wahrnehmen und auf sie reagieren.

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Was passiert in meinem Kopf, wenn ich andere Meinungen höre?
Das lässt sich in Hirnscans beobachten. Beim Confirmation-Bias, also der Verzerrung, dass wir Informationen eher beachten, wenn sie in unser Weltbild passen, haben Forschende beobachtet: Sobald jemand unbewusst begreift, dass das Gegenüber nicht dieselbe Meinung hat wie man selbst, lässt die Hirnaktivität im präfrontalen Kortex nach.
Das ist ein Hirnbereich, der an der Informationsverarbeitung beteiligt ist. Die Forschenden interpretieren das so, dass eine konträre Meinung wie ein Signal fürs Gehirn wirken könnte: Was jetzt kommt, ist nicht so wichtig.

Bei einer anderen Studie sollten die Versuchspersonen Argumente lesen, die ihrer eigenen politischen Überzeugung entgegenstanden. Die Forschenden beobachteten die Amygdala, also den Teil im Gehirn, der für Gefühle zuständig ist, unter anderem für Angst. Dabei sahen sie, dass das Lesen dieser Gegenargumente negative Emotionen bei den Versuchspersonen ausgelöst hat. Eine andere Meinung zu hören, kann also regelrecht stressig sein.

Von daher ist es eigentlich nicht erstaunlich, dass wir anderen Meinungen gerne mal aus dem Weg gehen, wenn wir die Chance dazu haben. In einer US-amerikanischen Studie wurden liberale sowie konservative Versuchspersonen gefragt: Würdet ihr euch anhören, was die jeweils andere Seite zum Thema Ehe für alle zu sagen hat? Die meisten haben abgelehnt – obwohl sie Geld hätten gewinnen können, wenn sie zugestimmt hätten.

Und wenn wir dann doch mit einer anderen Meinung konfrontiert werden, die vielleicht sogar die besseren Argumente hat, fällt es trotzdem schwer, von der eigenen Meinung abzuweichen. Denn psychologische Studien zeigen: Meinungsänderung ist anstrengend oder geradezu schmerzhaft.

So mussten Versuchspersonen in einer Untersuchung beispielsweise eine Entscheidung treffen – und hatten später die Chance, die Entscheidung noch mal zu ändern. Wer sich später umentschieden hat, hat das aber deutlich häufiger bereut, und zwar unabhängig davon, welche Entscheidung die richtige gewesen war.

Warum sollte ich mir andere Meinungen trotzdem anhören?
Dafür gibt es gleich mehrere Gründe. Einer davon: Die eigene Meinung ist längst nicht so gefestigt, wie man glauben würde. Wir ändern unsere Meinungen zwar immer wieder, erinnern uns oft aber nicht daran, dass wir das getan haben. Sondern gehen davon aus: So habe ich das doch schon immer gesehen.
Dabei stimmt das gar nicht, hat eine Studie gezeigt. Im Nachhinein vergisst man nur, was man früher über ein Thema gedacht hat. Wenn man glaubt, man ändert seine Meinung sowieso nie, gibt es auch keinen Grund, sich andere Meinungen anzuhören. Nur ist diese Annahme eben falsch, und ab und zu kann man seine Ansichten eben doch mal ändern.

Wir denken oft: Unsere Meinung entspricht der Mehrheit
Ein zweiter Grund: Wir gehen zwar oft davon aus, dass wir wissen, wie unsere Mitmenschen über ein Thema denken – mit diesen Vermutungen liegen wir aber häufig daneben. Beispielhaft zeigt das eine Studie aus der Klimakommunikation. Demnach sprechen wir das Thema Klimawandel oft gar nicht erst an, weil wir denken, wir wüssten schon, welche Meinung unser Gegenüber dazu hat. Wir glauben: Die Diskussion lohnt sich sowieso nicht. Aber damit liegen wir eben häufig falsch. Und das finden wir nur heraus, wenn wir das Thema doch ansprechen.

Außerdem gibt es noch den sogenannten False-Consensus-Effect. Bei einigen Themen glauben wir, unsere eigene Meinung sei die der Mehrheit. Wir denken: So wie ich denke, sehen das die meisten anderen auch. Studien zeigen, dass dieser Effekt deutlich geschwächt wird, wenn man die Themen eben doch mit anderen bespricht – und so ein realistischeres Bild davon bekommt, was andere von einem bestimmten Thema halten.

Und jetzt?
Es lohnt sich also, andere Meinungen anzuhören, selbst wenn es anstrengend sein kann. Aber gibt es auch einen Punkt, an dem Schluss sein sollte? Die Sozialpsychologin Pia Lamberty sagt dazu: „Ich glaube, man sollte da auf das eigene Bauchgefühl hören. Wann wird es mir zu viel, wann habe ich das Gefühl, dass Grenzen überschritten werden? Wo ist meine persönliche Grenze erreicht? Nicht nur inhaltlich, sondern auch im Umgang miteinander.“
Denn auch auf den Tonfall kommt es an, wenn Meinungen ausgetauscht werden. Wenn eine Person nicht mehr zuhört, nur wieder und wieder auf ihrer eigenen Meinung beharrt oder sogar aggressiv wird, hat es vermutlich wenig Sinn, weiterzudiskutieren. Solange sich beide zuhören und Grenzen respektieren, kann es aber sehr sinnvoll sein, sich auch andere Meinungen anzuhören – selbst wenn man danach dann doch bei seiner eigenen Meinung bleibt.

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