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Warum wir Menschen nicht einfrieren und in hundert Jahren aufwecken können

Menschen lassen sich einfrieren – in der Hoffnung, nach ihrem Auftauen in der Zukunft weiterzuleben. Klingt völlig abstrus, passiert aber regelmäßig. Was davon ist möglich?

Wieso sollte man Zellen überhaupt einfrieren?
Kryokonservierung heißt das Verfahren, mit dem Zellen durch Einfrieren ohne Schäden haltbar gemacht werden können. Oft angewendet wird es bei Keimzellen, also bei Eizellen und Spermien. Frauen und Männer können ihre Keimzellen zum Beispiel vor einer Chemotherapie einfrieren lassen. Denn Behandlungen wie Chemo- oder Strahlentherapie können zu Unfruchtbarkeit führen. Nach dem Auftauen können die Keimzellen ihre normalen Prozesse wieder aufnehmen.
Bisher ist es noch nicht möglich, ganze Organe einzufrieren. Ein solches Verfahren wäre ein Durchbruch – denn so könnte man etwa Spenderorgane langfristig lagern. Bislang müssen Spenderorgane oft innerhalb weniger Stunden verpflanzt werden.

Welche Zellen lassen sich gut einfrieren?
Es gilt die Regel: Große Zellen, die viel Flüssigkeit und viele Organellen – das sind die „Organe“ der Zelle – enthalten, lassen sich schwer einfrieren. Dies betrifft zum Beispiel Eizellen, weil sie viel Biomasse enthalten. „Das kann man sich vorstellen wie Dotter beim Hühnerei“, sagt Prof. Stefan Schlatt, Leiter des Centrums für Andrologie und Reproduktionsmedizin an der Universität Münster.
Auch ein komplexer Aufbau der Zelle mache das Einfrieren komplizierter, erklärt Dr. Julia Neubauer, Abteilungsleiterin des Fraunhofer-Instituts für Biomedizinische Technik IBMT in Würzburg. So besteht eine Nervenzelle aus einem langen, dünnen Axon, verbunden mit einem dicken, runden Zellkörper. Diese Bestandteile frieren – vereinfacht gesagt – unterschiedlich schnell ein.

Je simpler eine Zelle strukturiert ist, desto leichter kann man sie also einfrieren und ohne Schäden wieder auftauen. Ein Spermium hat beispielsweise kaum Organellen und wenig Wasser. Hier kann beim Einfrieren nicht viel kaputt gehen.

Seit dem 1. Juli 2021 ist das Einfrieren von Ei- und Samenzellen eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung für Menschen, denen eine keimzellschädigende Therapie, also beispielsweise eine Chemotherapie, bevorsteht.

Wie funktioniert das?
Gängige Methoden sind das sogenannte Slow-Freezing (zum Beispiel bei Spermien) und die Vitrifikation (etwa bei Eizellen). Bei beiden Verfahren benötigt man Kryoprotektiva – Frostschutzmittel, die die Bildung von Eiskristallen verhindern. Verwendet werden dabei etwa Glykol oder Dimethylsulfoxid, kurz DMSO.
Beim Slow-Freezing werden die Zellen schrittweise langsam heruntergekühlt – um minus 0,5 Grad Celsius pro Minute bis zu einer Lagertemperatur von minus 196 Grad Celsius. Damit stehen alle biologischen Prozesse in der Zelle still.

Bei der Vitrifikation werden die Zellen hingegen extrem schnell ’schockgefroren‘ – mit einer Kühlrate von minus 10.000 Grad Celsius pro Sekunde. Die Zellen werden dazu in minus 196 Grad Celsius kalten, flüssigen Stickstoff eingetaucht und sind in einer Millisekunde komplett gefroren. Dabei kommt es zur sogenannten Glasbildung oder Verglasung: Das Gewebe erstarrt.

Klappt das auch mit Organen oder ganzen Menschen?
Schon auf Zellebene ist das Einfrieren komplex: Werden Zellen nicht auf die richtige Weise eingefroren, können sich Eiskristalle bilden und die Zellen zerstören. So kann etwa die Membran kaputtgehen, wenn man eine Zelle zu langsam einfriert. Beim Auftauen dagegen muss man sehr schnell sein, um Eiskristalle zu verhindern. Das Problem: Eine kaputte Zelle kann dehydrieren. So wie eingefrorenes Obst, das nach dem Auftauen oft matschig ist.
Bei Organen kommt hinzu: Jedes Organ besteht aus ganz unterschiedlichen Zelltypen. Und all diese Zelltypen haben wiederum unterschiedliche Gefriereigenschaften.

Und: Bei multizelluären Systemen wie Organen ist das Gewebe dicker als bei einzelnen Zellen. Dadurch funktioniert die Thermik komplett anders – und die „Frostschutzmittel“, die man bei der Kryokonservierung verwendet, dringen schlechter ein.

Bisher gibt es deshalb noch keine Verfahren, um große Organe erfolgreich einzufrieren. Von kompletten Menschen ganz zu schweigen.

Wieso lassen sich trotzdem Menschen kryokonservieren?
Aus Hoffnung, irgendwann in der Zukunft aufgetaut zu werden – und weiterzuleben. Allein im Juni 2022 haben sich in Russland und den USA fünf Menschen kryokonservieren lassen. Der erste bekannte Fall eines Menschen, der sich dem Verfahren unterzogen hat, stammt aus dem Jahr 1967. Kryokonservierung bei Menschen nennt man Kryonik, deren Anhänger Kryoniker:innen.
Sie sind bei weitem nicht die Einzigen: Über 500 Menschen (Stand Juni 2022) liegen insgesamt in den USA und in Russland im „Kälteschlaf“. Nur: Tatsächlich schlafen sie nicht. Bevor sie eingefroren werden, müssen sie klinisch tot sein, das bedeutet: kein Herzschlag und keine Atmung mehr. Klingt völlig abstrus. Kryoniker:innen hoffen aber, dass es in der Zukunft eine Möglichkeit gibt, diese toten Menschen zurückzuholen, wenn ihre Körper möglichst gut konserviert werden. Dazu wird ihnen direkt nach dem Tod ein Frostschutzmittel injiziert. Gekühlt wird vor allem der Kopf, da es primär um den Erhalt des Gehirns geht.

Ob das Wiederbeleben dieser Menschen eines Tages wirklich klappt, ist völlig ungewiss. Die Kryoniker:innen argumentieren: Vor 120 Jahren galten auch Flugzeuge und Raumfähren als unvorstellbar – wer weiß, was man in 120 Jahren kann.

Wie läuft das Einfrieren von Menschen ab?
Es gibt vier Anbieter im Ausland: Die kommerzielle Firma KrioRus aus Russland, das chinesische Yinfeng Life Science Research Institute, das Cryonics Institute in Detroit und die Alcor Life Extension Foundation in Arizona. Die beiden letzteren sind Non-Profit-Organisationen.
Alle vier führen eine ähnliche Prozedur mit ihren frisch verstorbenen Mitgliedern durch. Wichtige Schritte dabei sind: Das Blut wird durch Frostschutzmittel ersetzt, der Körper wird immer weiter heruntergekühlt und dann in einem speziellen Container („Kryostat“) in einem Tank mit flüssigem Stickstoff gelagert.

Die Kryokonservierung selbst könne auch problemlos in Deutschland durchgeführt werden. Eine Langzeitlagerung der kryokonservierten „Patient:innen“ sei hingegen derzeit nur im Ausland möglich, sagt David Peter-Gumbel, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Angewandte Biostase e.V. (DGAB) und somit ein Befürworter der Kryonik. Die DGAB besteht seit mehr als 10 Jahren und ist mit mehr als 140 Mitgliedern die größte Kryonikorganisation in Deutschland.

Was kostet das?
Es kommt ganz darauf an, wie viel man einfrieren will: Das Gehirn wird nach Angaben der Kryonik-Institute schon ab etwa 80.000 US-Dollar kryokonserviert – für 200.000 US-Dollar wird der ganze Körper eingefroren. Inklusive: der Transport zum Institut und eine „Wiederbelebungsgebühr“. Das Cryonics Institute berechnet hingegen rund 30.000 US-Dollar Grundgebühr fürs Einfrieren, hier kommen aber weitere hohe Kosten für den Transport und die „Erste-Hilfe-Maßnahmen“ nach dem Tod hinzu. Kryoniker:innen finanzieren das teilweise über ihre Lebensversicherung.
Artikel Abschnitt: Was sagen Wissenschaftler:innen zur Kryonik?
Was sagen Wissenschaftler:innen zur Kryonik?
Fakt ist: Nach heutigem Stand der Technik ist das Erwachen aus der Kryostase nicht möglich. Denn: Nach dem Tod starten Verfallsprozesse im Körper, die man nach heutigem Stand nicht wieder rückgängig machen kann. Hinzu kommt die Problematik des Einfrierens und Wiederauftauens ohne Schäden. So müsste etwa das toxische Frostschutzmittel wieder aus allen Zellen entfernt werden. Außerdem müsste man die tödlichen Krankheiten heilen können, an denen viele der Kryoniker:innen gelitten haben – und andere bräuchten einen ganz neuen Körper.
So gibt es unter Wissenschaftler:innen starke Zweifel daran, dass Kryoniker:innen in Zukunft aufgetaut werden und weiterleben können – vor allem dann, wenn nur der Kopf eingefroren wird. Stefan Schlatt von der Universität Münster sieht Kryonik als nicht durchführbar an, weil die empfindliche Blut-Hirn-Schranke, die Barriere zwischen blutdurchströmten Gefäßen und dem Hirngewebe, beim Einfrieren kaputt geht.

Auch weitere renommierte Wissenschaftler:innen haben sich öffentlich schon ähnlich kritisch geäußert. Eckhard Nagel, Transplantationsmediziner und Professor für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften an der Universität Bayreuth, hält Kryonik für „reine Science-Fiction“. Biophysiker Prof. Günter Fuhr, früherer Leiter des Fraunhofer Instituts für Biomedizinische Technik, bezeichnete sie als Fantasterei und „reine Zukunftsmusik“. Sogar Aaron Drake, Mediziner der Kryonik-Organisation Alcor Life Extension Foundation, räumte in einem Interview ein, das Ganze sei vielleicht nur ein „ewig fortlaufendes Wissenschaftsexperiment“.

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