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Was bringt es uns, optimistisch in die Zukunft zu schauen?

Darum geht’s:
All die Krisen sind gute Gründe, pessimistisch oder ängstlich zu sein
Krieg in der Ukraine, Erdbeben in der Türkei und Syrien, verschiedenste Klimakatastrophen auf der ganzen Welt und die Aussicht, dass es überall – auch in Deutschland – in den nächsten Jahren und Jahrzehnten immer schlimmer wird: Die Nachrichten sind oft alles andere als aufbauend. Da kann die Zukunft schnell entsprechend trostlos erscheinen und man kann sich fragen: Muss ich Angst vor der Zukunft haben?
Das zeigen auch Umfragen: Ende 2021 waren viele Menschen aus verschiedensten Ländern davon überzeugt, dass die Welt im vergangenen Jahr gefährlicher geworden war. In Deutschland stimmte etwa ein Fünftel der Befragten dieser Aussage stark zu, über die Hälfte zumindest teilweise. Insgesamt sahen der Umfrage zufolge fast 80 Prozent der Deutschen eine negative Entwicklung. Damit sind wir im Vergleich sogar noch unter den vier optimistischsten Ländern, auf einer Höhe mit Italien und Malaysia. Nur China zeigte weniger pessimistische Einstellungen. In Kolumbien hingegen fühlten sich 91 Prozent der Befragten mindestens etwas gefährdeter als im Vorjahr.

Dazu kommt: In Deutschland haben fast sechs von zehn Erwachsenen Zweifel an einer positiven Zukunft für unsere Gesellschaft oder glauben gar nicht an die Möglichkeit, dass sich die Dinge zum Guten wenden könnten.

Darum müssen wir drüber sprechen:
Ängste könnten noch zunehmen, wenn Gefahren greifbarer werden
Wenn wir zu düster in die Zukunft blicken, kann uns das allerdings lähmen und handlungsunfähig machen. In Bezug auf die Klimakrise hat sich dafür etwa der Begriff “Klima-Angst” (climate anxiety) etabliert. Besonders junge Menschen verspüren sie immer häufiger. Schon per Definition ist die Klima-Angst nicht zielführend, weil sie die psychische Gesundheit angreift und die Betroffenen im Alltag beeinträchtigt.
In Deutschland scheint sie immerhin noch nicht so oft vorzukommen. In einer Onlineumfrage im März 2022 bewerteten die mehr als 3000 Teilnehmenden ihre Sorge über die Klimakrise auf einer Skala von 1 (keine Ängste) bis 7 (starke Angst) im Durchschnitt mit 2 – also recht niedrig. Allerdings war die Klima-Angst bei jungen Menschen eher ausgeprägt als bei älteren. Und: Wer mehr Sorge um das Klima verspürte, machte sich oft auch um andere Dinge wie das Coronavirus und mögliche Kriege Gedanken.

Immer mehr Menschen sagen, sie haben “Klima-Angst”. Warum das keine Krankheit ist und was an dem Begriff problematisch ist, liest du hier.

Selbst wenn es hierzulande noch nicht so deutlich ist, stellt die Klima-Angst ein gesellschaftliches Problem dar, das potenziell immer größer werden kann, warnt Dr. Gerhard Reese, Professor für Umweltpsychologie am Institut für Sozial-, Umwelt- und Wirtschaftspsychologie der Universität Koblenz-Landau und Sprecher der Fachgruppe Umweltpsychologie in der Deutschen Gesellschaft für Psychologie: “Diese Ängste werden aller Voraussicht nach durch kaskadenartige Steigerungen weiter verstärkt. Etwa dann, wenn durch stärkeren Temperaturanstieg extremere Wetterereignisse auftreten und auch bisher wenig betroffene Gruppen erreichen.”

Aber:
Eine optimistisch-realistische Grundhaltung kann helfen, die Probleme anzupacken
Fachleute betonen immer wieder, dass wir die Dinge zum Guten ändern können – wenn wir nicht länger zögern. Und das haben auch viele Menschen in Deutschland erkannt. Einer Umfrage zufolge sehen 80 Prozent der Teilnehmenden “die Anpassung an die Krisen als große Chance, wenn wir jetzt anfangen zu handeln”.
Dafür brauchen wir sowohl schnelle als auch langfristige Lösungen – und eine Vorstellung davon, wie eine positive Zukunft aussehen kann. Schließlich müssen wir wissen, wofür wir uns anstrengen und verändern.

Von großen und kleinen Visionen
An großen Zielen für die Menschheit mangelt es tatsächlich nicht. Da wären beispielsweise die 17 Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen. Sie lesen sich teilweise wie eine Science-Fiction-Welt: ohne Armut, Hunger und Krieg, dafür mit Gleichberechtigung, hochwertiger Bildung, sauberem Wasser und einem nachhaltigen Umgang mit der Natur und uns selbst. Das sind natürlich sehr lobenswerte Ziele, und sollten wir es tatsächlich schaffen, sie umzusetzen, wäre die Welt ein deutlich besserer Ort.

Gleichzeitig sind diese Visionen aber weit entfernt von der Realität – und es fehlen Antworten auf die Frage, wie genau wir dorthin gelangen wollen. “Was es braucht, ist ein Konsens über bestimmte gesellschaftliche Ziele und über die Mittel, die wir zu ihrer Erreichung einsetzen”, sagt Thomas Lemke, Professor für Soziologie an der Universität Frankfurt und Sprecher des Graduiertenkollegs “Fixing Futures”.

Unsere Entscheidungen sind oft nicht sehr weitsichtig. Der Grund dafür ist nicht nur unser innerer Schweinehund, sondern auch verzerrte Wahrnehmung.

Dafür seien auch verschiedene Zukunftsszenarien gut, wie sie etwa das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) in seinen Berichten analysiert. “Die Idee ist, bestimmte Entwicklungspfade oder wahrscheinliche Entwicklungen vorherzusagen und dann gegebenenfalls Maßnahmen in der Gegenwart zu ergreifen, um unerwünschte Entwicklungen zu verhindern oder zumindest ihre Auswirkungen zu minimieren.”

Das IPCC nutzt bisher verfügbare wissenschaftliche Daten, um Wenn-dann-Szenarien aufzustellen: Wenn wir weiterhin auf fossile Energien setzen, wird diese oder jene Klimafolge auftreten. Wenn wir hingegen Solar- und Windenergie voranbringen, hat das diese und jene Konsequenz. Allerdings gibt es da keine definitiven Sicherheiten. In den Berichten ist daher angegeben, mit welcher Wahrscheinlichkeit bestimmte Ereignisse eintreten werden und wie sicher sich die Forschenden dabei sind.

Das ist einerseits wichtig, um keine falschen Hoffnungen oder Ängste zu schüren, sondern genau darzulegen, was wir wissen. Andererseits ist es damit schwieriger, positive Visionen zu entwickeln, weil wir eben nicht eindeutig vorhersagen können, ob eine Handlung wirklich zu dem gewünschten Ergebnis führen wird. Noch komplizierter dürfte das etwa bei gesellschaftspolitischen Themen sein, wo der Erfolg einer Veränderung auch von der Reaktion mehrerer oder einzelner Menschen abhängt – und Individuen sind manchmal unberechenbarer als die Natur.

Selbstwirksamkeit als Motivation
Besser greifbar sind kleinere, lokale Aktionen. Dabei können die Leute direkt die positiven Auswirkungen ihres Tuns sehen und daraus vielleicht weitere Ziele und Vorstellungen ableiten. Sie spüren außerdem, dass sie selbst etwas bewirken können – diese Selbstwirksamkeit sorgt ebenfalls für einen optimistischen Blick in die Zukunft, weil wir so unser Schicksal zumindest ein Stück weit in der Hand haben.

“Ich glaube, wir brauchen sowohl große Visionen, die versuchen, viele Bereiche miteinander zu verknüpfen, als auch die lokalen, sehr detaillierten Visionen, bei denen man die konkrete Bedeutung für das eigene Leben sehen kann”, sagt Thomas Lemke. Außerdem könnten Erfolge auf lokaler Ebene sich auf globale Projekte ausweiten. Das gelingt beispielsweise, wenn Veränderungen in einer Stadt so positiv sind, dass andere Städte die Ideen nachmachen oder auf ihre eigenen Möglichkeiten anpassen. Oder wenn durch eine Erfindung etwa erneuerbare Energien günstiger oder effizienter werden und die neue Technik weltweit eingesetzt werden kann. Zudem können gute Beispiele “anstecken”, indem sie sich vom Lokalen schnell global ausbreiten.

Die Chancen in den Fokus nehmen
Damit das funktioniert, kommt es aber auch auf eine positive Kommunikation an. Denn Menschen mögen es oft nicht, etwas zu verlieren. Daher ist es kontraproduktiv, ständig auf Verzicht zu plädieren oder Angst vor Knappheiten zu machen. Stattdessen könnten wir darüber sprechen, was wir gewinnen, wenn wir unser Verhalten oder bestimmte Umstände ändern. “Ich könnte beispielsweise sagen, dass ich in einer autofreien Stadt auf das Auto verzichten muss, ein Verlust ist”, sagt Thomas Lemke, “oder ich denke im Gegenteil an das, was ich dadurch gewinne: an mehr Platz für Spaziergänger, Fahrräder und Pflanzen. Das ist eine stressfreiere, lebenswertere, interessantere Perspektive, und neue Formen von städtischem Leben werden so überhaupt erst möglich.”

Dabei geht es nicht darum, unrealistische Erwartungen zu schüren. Dass der Krieg in der Ukraine schnell und unkompliziert beendet werden kann oder wir in zwei Jahren nur noch erneuerbare Energien verwenden, ist momentan nicht zu erwarten. Wer das behauptet, hilft niemandem. Unrealistischer Optimismus sorgt im schlimmsten Fall eher dafür, dass die Leute entmutigt werden, wenn wir die Ziele nicht erreichen. Außerdem führen positive Zukunftsfantasien dazu, dass wir uns entspannen und die für die Wunscherfüllung notwendige Anstrengung nicht mehr aufbringen.

Klima, Corona, Gendern: Darüber lässt sich gut streiten. Oft hat man aber gar keine Lust mehr, die andere Seite zu hören. Warum es trotzdem sinnvoll ist, erfährst du hier.

Die mentalen Bilder verführen uns dazu, dass wir “uns bereits am Ziel wähnen”, sagt die Psychologie-Professorin Gabriele Oettingen von der New York University. Mit mangelnder Anstrengung sei man auch nicht mehr so erfolgreich darin, die Veränderungen umzusetzen. Wenn wir uns aber nach den positiven Zukunftsfantasien die kritische Hürde zur Wunscherfüllung vor Augen führten, verstünden wir, dass wir noch nicht angekommen sind, und erkennen zudem, was zu tun ist, um den Wunsch zu erfüllen. Ist das Hindernis zu aufwendig oder nicht überwindbar, können wir unsere Energie für die Erfüllung von erfolgversprechenderen Wünschen einsetzen.

Soziale Normen lenken das Verhalten – und können verändert werden
Eine Art Trick, die Menschen zum Umdenken zu bringen, sehen manche Forschenden in “dynamischen Normen”. Soziale Erwartungen in einer Gesellschaft sind für viele eine große Motivation, sich auf die erwünschte Art zu verhalten. Man könnte also vorgeben, dass sich eine Norm bereits verändert hat, glaubt ein deutsches Forschungsteam.

Die Forschenden untersuchten das an dem Thema der Wegwerfbecher in einem Café: Mit einem Schild suggerierten sie, dass immer mehr Kund:innen nachhaltige Alternativen wählen, und riefen dazu auf, sich diesem Trend anzuschließen. Tatsächlich entschieden sich daraufhin über 17 Prozent mehr Leute für wiederverwendbares Geschirr als vor der Studie. Die Forschenden schlossen daraus, dass sich soziale Normen verändern können und dass die Menschen sich entsprechend anpassen.

“Generell schauen wir gerne nach links und rechts, wenn wir über Veränderungen nachdenken”, meint Thomas Brudermann, Klimapsychologe an der Universität Graz. Das sehe man etwa an Solaranlagen auf Hausdächern: Wo jemand mit der Installation beginnt, tauchen nach und nach häufig weitere Anlagen auf. “Das hat eine ganz einfache Logik”, erklärt Brudermann. “Selbst etwas auszuprobieren, ist immer riskant. Sehen wir aber, wie positive Beispiele funktionieren, können wir leichter nachziehen.”

Im Gegenzug brauchen wir Vorreiter:innen und Visionär:innen, die uns zeigen, wie wir die Welt besser machen können – damit die restliche Bevölkerung sich auch traut.

Und jetzt?
Sollten wir über greifbare Lösungen sprechen
Eigentlich wissen wir, was zu tun ist: positive Ziele setzen, uns die Hürden verdeutlichen und gemeinsam handeln. Klingt einfach, ist es aber natürlich nicht – zumal verschiedene Kulturen, Gesellschaften oder Individuen sehr unterschiedliche Vorstellungen davon haben können, was genau ein positives Ziel überhaupt ist. Trotzdem gibt es viele Menschen, die sich für eine gute, lebenswerte Zukunft für alle einsetzen.
Über solche Beispiele, neue Ideen, schnelle und langfristige Lösungen können die Medien berichten, um auch lokale Projekte weiterzuverbreiten und Hoffnung zu wecken. Das geschieht immer mehr, mit lösungsorientierten Podcasts, konstruktivem Journalismus und generell mit Beiträgen, die zeigen, was sein könnte. Dabei soll natürlich der Ist-Zustand nicht verschwiegen werden, Katastrophenmeldungen und düstere Szenarien wird es weiterhin geben. Wir können sie aber ergänzen durch Wege, die aufzeigen, wie wir bereits etwas an ihnen ändern oder was wir in Zukunft tun können.

Einzelpersonen können ihre Selbstwirksamkeit stärken, indem sie sich in Bereichen engagieren, die ihnen liegen, Spaß machen oder in denen sie Fortschritte sehen – sei es, in einer Umweltorganisation mitzuhelfen, Geflüchtete zu unterstützen oder in Pandemiezeiten Essen auszufahren. Tatsächlich verspüren Menschen, die sich sozial engagieren, mehr Optimismus und weniger Hoffnungslosigkeit und Einsamkeit. Das legt zumindest eine langfristig angelegte Studie mit älteren Menschen nahe.

Zuletzt sollten wir unseren Humor nicht verlieren. Denn auch der kann die Hürden ein wenig kleiner und schaffbarer aussehen lassen und den Stress und die Angst verringern. Das zeigte sich beispielsweise, als Klinik-Clowns in der Pandemie nicht mehr zu den Patient:innen durften – damit fiel besonders bei kranken Kindern eine wichtige Stütze zum Stressabbau weg. Vergessen wir also zwischen den Krisen und negativen Entwicklungen nicht, trotzdem zu lachen und Spaß zu haben. Dann sind wir besser dafür gewappnet, mit den verschiedenen Situationen umzugehen und dort zu handeln, wo es in unserer Macht liegt.

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