⚔️ Die geheime französische Bibelübersetzung der Tempelritter
Die Tempelritter waren nicht nur Krieger und Festungsbauer, sondern auch eine geistige Elite innerhalb der mittelalterlichen Gesellschaft. Ihre Nähe zur Spiritualität und zur Theologie führte dazu, dass sie sich intensiv mit der Heiligen Schrift auseinandersetzten. Eine der bemerkenswertesten und zugleich kontroversesten Errungenschaften des Ordens war eine Bibelübersetzung in französischer Sprache – eine Tat, die in der mittelalterlichen Kirche als Häresie galt.
Die verbotene Bibel der Templer
Im Mittelalter war es Laien – selbst Angehörigen des Adels oder Ritterorden – untersagt, die Bibel in der Volkssprache zu lesen. Die Heilige Schrift war ausschließlich in Latein (der Vulgata) zugänglich, und nur der Klerus hatte das Recht, sie zu interpretieren. Der Besitz einer Bibelübersetzung in der Volkssprache konnte bereits als Ketzerei gewertet werden, weshalb gefundene Übersetzungen umgehend vernichtet wurden.
Trotz dieses Verbots verfügten die Templer über eine französische Bibelübersetzung. Ihre Entstehung wird um das Jahr 1170 datiert und soll auf Veranlassung von Meister Richard und Meister Othon (vermutlich Odo von Saint-Amand) angefertigt worden sein.
Meister Richard wird als Komtur des Ordenshauses von Corbie in der Reimser Diözese erwähnt (1160–1163). Die Übersetzung selbst scheint insbesondere das Buch der Richter sowie Teile der fünf Bücher Mose und des Buchs Josua umfasst zu haben.
Der Zweck der Übersetzung
Laut dem Prolog des Übersetzers wurde „große Mühe“ darauf verwendet, den Text in die französische Sprache zu übertragen. Doch warum wagten die Templer eine solche Tat, wenn sie doch gegen das Verbot der Kirche verstieß?
Es gibt zwei mögliche Erklärungen:
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Praktischer Nutzen für die Ordensbrüder
Viele Templer waren Ritter ohne lateinische Bildung. Um ihnen eine direkte Auseinandersetzung mit der Bibel zu ermöglichen, könnte die Übersetzung als interne Schulungsgrundlage gedient haben. -
Mystische und esoterische Interessen
Der Templerorden war tief in die spirituelle und symbolische Auslegung der Bibel involviert. Nach Hans Prutz lassen sich in der Übersetzung zwei Hauptgruppen von Textvarianten erkennen:- Texte, die das sachliche Verständnis erleichtern – also eine direkte, verständliche Wiedergabe der biblischen Inhalte
- Texte, die den verborgenen, höheren Sinn der Bibelworte erschließen – Hinweise auf eine tiefere, möglicherweise mystische Interpretation
Obwohl die Templerbibel keine direkten häretischen Inhalte enthielt, wichen einige Einleitungen und Erläuterungen von der orthodoxen Theologie der Kirche ab. Diese Abweichungen, so naiv sie auch formuliert gewesen sein mögen, könnten dazu geführt haben, dass sie später als ketzerisch betrachtet wurde.
Die Bedeutung der Templerbibel in der Kirchengeschichte
Die Existenz einer Bibelübersetzung durch die Templer zeigt, dass der Orden einen eigenen, unabhängigen Zugang zur Heiligen Schrift suchte. In einer Zeit, in der die Kirche das Exklusivrecht auf die Bibelinterpretation beanspruchte, war dies ein bedeutender Schritt.
Es gibt keine erhaltenen Exemplare dieser Übersetzung – vermutlich wurden sie nach der Auflösung des Ordens 1312 systematisch vernichtet. Dennoch stellt ihre Existenz einen faszinierenden Hinweis auf das intellektuelle und spirituelle Leben der Tempelritter dar.
Fazit
Die französische Bibelübersetzung der Tempelritter war nicht nur ein bemerkenswerter Ausdruck ihrer Unabhängigkeit von der römischen Kirche, sondern auch ein Indiz für ihr tiefes spirituelles Interesse. Ob sie als Schulungsmaterial oder als esoterisches Studienwerk diente, bleibt offen. Doch sie zeigt, dass die Templer nicht nur Krieger, sondern auch geistige Sucher waren – eine Tatsache, die sie vielleicht umso gefährlicher für die kirchliche Obrigkeit machte.