Der Kampf zwischen König und Papst (Januar bis Juni 1308)
Der Zeitraum von Januar bis Juni 1308 markiert eine entscheidende Phase im Konflikt zwischen König Philipp IV. von Frankreich und Papst Clemens V. über die Kontrolle des Templerprozesses. Während der Papst versuchte, das Verfahren unter seine direkte Kontrolle zu bringen und eine faire Untersuchung einzuleiten, nutzte Philipp seine politischen und propagandistischen Werkzeuge, um den Papst unter Druck zu setzen und den Prozess zu seinen Gunsten zu lenken.
1. Die Ausgangslage: Kontrolle und Machtkampf
Nach den Verhören im Dezember 1307 durch zwei päpstliche Kardinäle kamen bei Clemens V. erhebliche Zweifel an den erhobenen Vorwürfen gegen die Templer auf. Der Papst hatte formal die Kontrolle über das Verfahren, doch die Templer befanden sich weiterhin in königlicher Haft, und Philipp war nicht gewillt, sie oder ihre Güter herauszugeben.
- Am 13. Februar 1308 flüchtete der päpstliche Geheimkämmerer Olivier von Penna aus seiner Herberge. Diese Flucht sorgte für große Aufregung am päpstlichen Hof. Clemens sah darin eine Schwächung seiner Position und reagierte nervös, da sie den Eindruck von Unfähigkeit und Kontrollverlust vermittelte.
- Clemens suspendierte im Februar 1308 das Verfahren der französischen Inquisition und entzog Wilhelm Imbert, dem Großinquisitor, die Befugnisse. Dies sollte die Macht Philipps begrenzen, verschärfte jedoch den Konflikt weiter.
2. Propaganda und Manipulation durch Philipp IV.
Philipps Berater, allen voran Wilhelm von Nogaret und Wilhelm von Plaisians, starteten eine systematische Kampagne, um die öffentliche Meinung gegen die Templer und den Papst zu wenden.
Anonyme Traktate und Pamphlete
- In Traktaten wurde Papst Clemens als korrupt dargestellt, der seine Verwandten begünstigte und nicht im Sinne der Kirche handelte.
- Ein weiteres Traktat attackierte die Templer direkt und bezeichnete sie als „Mörder, Ketzer und gottlose Verbrecher“.
Die Universität von Paris
- Philipp wandte sich an die Theologen der Universität Paris und legte ihnen sieben Fragen zur Klärung vor, ob der König das Recht hatte, gegen die Templer vorzugehen.
- Die Antworten fielen diplomatisch aus: Während die Juristen grundsätzlich die kirchliche Gerichtsbarkeit betonten, hielten sie auch fest, dass bei akuter Gefahr weltliche Fürsten handeln dürften.
- In Bezug auf das Eigentum der Templer sprachen sie sich dafür aus, die Güter zweckgebunden für das Heilige Land zu verwenden.
3. Die Einberufung der Ständeversammlung
Philipp berief eine Ständeversammlung ein, um Unterstützung von Adel, Klerus und Bürgertum zu erhalten. Diese Versammlungen hatten bereits in den Konflikten mit Bonifatius VIII. ihre Wirkung gezeigt.
- In öffentlichen Reden wurden die Templer als „Feinde des Glaubens“ und „abscheuliche Ketzer“ dargestellt.
- Die Bevölkerung wurde aufgefordert, sich gegen die Templer zu stellen und die königliche Autorität zu unterstützen.
- Städte und Gemeinden mussten Delegierte entsenden, die an Beratungen teilnahmen und anschließend die königliche Propaganda in ihre Heimatorte trugen.
Im Mai 1308 fand ein Reichstag in Tours statt, der die öffentliche Meinung weiter gegen die Templer mobilisierte und das geplante Treffen zwischen Philipp und Clemens in Poitiers vorbereitete.
4. Das Treffen in Poitiers (Mai/Juni 1308)
Ende Mai 1308 traf Philipp IV. mit großem Gefolge, darunter seine Söhne, Karl von Valois, hohe Adelige und zahlreiche Bewaffnete, in Poitiers ein. Die gewaltige Machtdemonstration beeindruckte den Papst, der ohne militärischen Schutz in der Stadt verweilte.
Die Reden von Wilhelm von Plaisians
- In einer öffentlichen Rede am 29. Mai 1308 präsentierte Wilhelm von Plaisians die Position des Königs.
- Er stellte Philipp als „Stellvertreter Christi auf Erden“ dar und betonte, dass der König die Pflicht gehabt habe, gegen die Templer vorzugehen.
- Plaisians beschuldigte die Templer, geheime Übereinkünfte mit dem Sultan geschlossen und Almosen veruntreut zu haben.
- Er forderte den Papst ultimativ auf, den Orden aufzulösen, die Inquisition wieder einzusetzen und die Ermittlungen voranzutreiben.
Der Widerstand von Clemens V.
- Trotz des enormen Drucks blieb Clemens zunächst standhaft.
- Er betonte, dass er keine Autorisierung zur Verhaftung der Templer erteilt habe und dass alle weiteren Schritte seiner Gerichtsbarkeit unterstehen müssten.
- Er versuchte, den König zu beschwichtigen, indem er versicherte, die Güter der Templer für einen zukünftigen Kreuzzug nutzen zu wollen.
5. Die Eskalation im Juni 1308
Am 14. Juni 1308 hielt Wilhelm von Plaisians eine zweite, noch aggressivere Rede. Er drohte offen damit, dass, falls der Papst nicht handeln würde, die weltliche Macht und sogar das Volk eingreifen würden.
- Plaisians zeichnete das Bild eines drohenden Aufstands der Gläubigen, falls Clemens weiterhin zögerte.
- Er unterstellte dem Papst, die Templer beschützen zu wollen, und zog Parallelen zu historischen Päpsten, die wegen Untätigkeit von Gott gestürzt worden seien.
6. Der Kompromiss
Beide Seiten waren in eine Sackgasse geraten. Der Mord an Kaiser Albrecht am 1. Mai 1308 verschaffte Clemens eine politische Gelegenheit: Philipps Bruder Karl von Valois hatte Ambitionen auf den deutschen Thron und benötigte dafür die Unterstützung des Papstes.
- Philipp lenkte ein und ließ am 27. Juni 1308 72 Templer nach Poitiers bringen, um sie dort unter päpstlicher Aufsicht verhören zu lassen.
- Clemens akzeptierte die Wiederaufnahme der Inquisition durch die Bischöfe und Wilhelm Imbert, was er am 5. Juli 1308 in einem Schreiben festhielt.
Fazit: Eine erzwungene Übereinkunft
Der Konflikt zwischen Philipp und Clemens endete in einem fragilen Kompromiss:
- Philipp behielt die Kontrolle über die Templer und ihre Güter.
- Clemens konnte die Verhöre unter päpstlicher Autorität fortsetzen.
Beide Parteien hatten Zugeständnisse gemacht, doch Philipp hatte durch seine Machtdemonstration und die geschickte Manipulation der öffentlichen Meinung einen erheblichen Vorteil erlangt. Die Weichen für den weiteren Verlauf des Templerprozesses waren gestellt, und die endgültige Auflösung des Ordens rückte näher.