✠ ASTO-Blog ✠

Gedanken am 18. Oktober

Ehrlichkeit ist, ebenso wie Geduld und Toleranz, eine oft
mißverstandene Tugend. Wir reden davon, »unsere Gefühle
ehrlich zu äußern«. Ich könnte mir sehr gut einen Film von
und mit Woody Allen über dieses Thema vorstellen. In einer
Szene könnte er sich etwa ausmalen, wie er auf der Straße auf
eine Frau zugeht, deren mürrischer Ausdruck ihn an seine
strenge Mutter erinnert, und sie anpflaumt: »Stell diese idiotische
Grimasse ab, du miese alte Hexe! Ist dir nicht klar, daß
du mir den ganzen Tag versaust?« Das heißt in der Pop-
Kultur »seine Gefühle ehrlich äußern«. Die Vorstellung,
unsere Gefühle seien etwas wie eine heilige Kuh, die eine
besonders rücksichtsvolle Behandlung verdient, ist eine der
peinlichsten Schöpfungen der Selbsthilfebewegung.

Tempelarbeit:
Verweile für ein paar Minuten im Frieden der Shamatha-Vipassana-
Meditation, des Eis aus Licht oder des Gebets der Sammlung.
Denke über das »ehrliche Äußern von Gefühlen« nach. Wenn du
irgendwelche negativen Gefühle äußerst, erwartest du, daß jemand
anders sie »in Ordnung bringt«, oder nicht? Wenn du
negative Gefühle äußerst, teilst du lediglich einen Sachverhalt
mit, oder versuchst du, jemandem ein schlechtes Gewissen zu
machen? Wenn die Äußerung von Gefühlen in der Regel bewirkt,
daß es dir oder anderen schlechter geht – wenn sie also verletzt –
versuche doch einmal, Gefühle als Lehrer zu betrachten statt als
Richter, die darüber befinden, wie die Welt dich behandelt.

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