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Gott zum Gruße.
Non nobis Domine, non nobis, sed nomini tuo da gloriam.
Was den Templern fremd ist
Ein Blick auf Glaubensentwicklungen nach der Zeit des Ordens
Der Templerorden, gegründet im frühen 12. Jahrhundert, war tief in der mittelalterlichen katholischen Welt verwurzelt. Die Ritter lebten nach der Regel des Ordens, vereinten das Leben eines Mönchs mit dem eines Kämpfers und dienten unter dem Zeichen des Kreuzes. Doch viele Glaubensinhalte, die heute zum festen Bestandteil der katholischen Lehre zählen, wären den Templern entweder fremd oder in ihrer heutigen Form noch unbekannt gewesen.
Im Folgenden werfen wir einen Blick auf zentrale Glaubenssätze, Entwicklungen und Konzilsentscheidungen, die erst nach der Zeit der Templer entstanden und somit außerhalb ihres Glaubensverständnisses lagen.
1. Die Unbefleckte Empfängnis Mariens
Die Vorstellung, dass Maria ohne Erbsünde empfangen wurde, war zwar im Mittelalter bereits Gegenstand theologischer Debatten, wurde aber erst 1854 durch Papst Pius IX. als Dogma feierlich verkündet.
Für die Templer war Maria zweifellos die „Mutter Gottes“ und eine hochverehrte Gestalt – viele Kapellen und Kirchen des Ordens waren ihr geweiht. Doch das Dogma der Unbefleckten Empfängnis als verbindlicher Glaubenssatz war zu ihrer Zeit noch nicht definiert.
2. Die päpstliche Unfehlbarkeit
Das Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes, wie es 1870 auf dem Ersten Vatikanischen Konzil formuliert wurde, war den Templern nicht bekannt. Zwar betrachteten sie den Papst als geistliches Oberhaupt und oberste Autorität, doch ein dogmatisch begründeter Unfehlbarkeitsanspruch war in ihrer Epoche kein Bestandteil der Glaubenslehre.
Die mittelalterliche Kirche kannte noch ein viel stärkeres Ringen um die Autorität zwischen Kaiser, Papst und Konzilien – ein komplexes Gleichgewicht, das erst in späteren Jahrhunderten zugunsten des Papsttums verschoben wurde.
3. Die leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel
Auch das Dogma von der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel (Assumptio) wurde erst 1950 durch Papst Pius XII. festgelegt. Die Templer kannten diese Vorstellung möglicherweise aus frommen Überlieferungen und Legenden, aber sie war kein verpflichtender Glaubensinhalt.
Ihre Marienverehrung beruhte auf der Tradition ihrer Zeit – geprägt durch Liturgie, Wallfahrten und symbolische Darstellungen –, nicht jedoch auf späteren Dogmen.
4. Ökumenismus und interreligiöser Dialog
Der Begriff des Ökumenismus, also das Bemühen um Verständigung und Einheit zwischen den christlichen Konfessionen, ist ein Kind der Neuzeit, besonders gestärkt durch das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965).
Die Templer lebten in einer Epoche, in der der Konflikt mit dem Islam, aber auch mit „Häretikern“ wie den Katharern, den Alltag prägte. Ein Dialog im heutigen Sinn – auf Augenhöhe und mit gegenseitigem Respekt – wäre nicht vorstellbar gewesen.
5. Liturgische und theologische Reformen
Auch die liturgischen Texte, Riten und theologischen Ausformulierungen haben sich im Laufe der Zeit verändert. Die Templer feierten die lateinische Messe nach dem Ritus ihrer Zeit, häufig schlicht, aber ehrfürchtig. Die Liturgiereform des 20. Jahrhunderts mit landessprachlicher Messe, aktiver Teilnahme der Gemeinde und neuen theologischen Betonungen war ihnen natürlich unbekannt.
6. Soziallehre, moderne Moraltheologie und das Kirchenbild
Begriffe wie Menschenwürde, Religionsfreiheit, Solidarität oder Subsidiarität, wie sie heute in der katholischen Soziallehre verwendet werden, entwickelten sich lange nach dem Mittelalter. Auch das Bild der Kirche als „Volk Gottes“ (eine Schlüsselidee des Zweiten Vatikanischen Konzils) wäre einem Templer fremd. Seine Welt war hierarchisch, autoritär, klar gegliedert in geistlich und weltlich.
Fazit: Treue zum Glauben – aber in der Zeit verankert
Die Templer waren treue Söhne der Kirche – ihrer mittelalterlichen Kirche. Sie lebten in der Spannung zwischen Glaube und Schwert, zwischen kontemplativem Gebet und kämpferischem Einsatz. Doch viele Lehren und Dogmen, die heute selbstverständlich erscheinen, lagen außerhalb ihrer geistigen Welt.
Es zeigt sich einmal mehr: Die Kirche lebt in der Geschichte und entwickelt ihre Lehren über Jahrhunderte hinweg weiter. Wer die Templer verstehen will, muss ihre Spiritualität, Theologie und Liturgie im Licht ihrer Zeit betrachten – nicht durch die Brille moderner Dogmen.
Fiat voluntas Dei.
Ralph von Reichenberg