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Das letzte Todesurteil eines Hexenprozesses vor 250 Jahren

Am 30. März 1775 wurde auf deutschem Boden das letzte Todesurteil in einem Hexenprozess gesprochen – gegen die Magd Anna Maria Schwägelin. Zwar wurde das Urteil nie vollstreckt, doch die Anklage und Inhaftierung kosteten die Frau dennoch das Leben. Der Fall zeigt eindrucksvoll, wie tief mittelalterliche Vorstellungen auch noch im Zeitalter der Aufklärung verwurzelt waren – und welche Rolle persönliche Schicksale, gesellschaftliche Krisen und das damalige Rechtssystem spielten.

Der Fall Anna Maria Schwägelin – Begegnung mit dem Teufel

Anna Maria Schwägelin, geboren 1729 bei Memmingen, wuchs unter ärmlichen Verhältnissen auf. Früh verwaist, schlug sie sich als Magd durch. Später krank und mittellos, lebte sie ab 1769 im Armenhaus des Stifts Kempten. Ihr Leben nahm eine Wendung, als sie von einer Begegnung berichtete, die ihr schließlich den Ruf einer Hexe einbrachte.

Schwägelin erzählte dem Landrichter Franz Wilhelm Treuchtlinger, dass ihr während der Feldarbeit ein fremder Mann begegnet sei, der sich als Teufel zu erkennen gab. Mehrfach habe er sie danach aufgesucht, und sie berichtet gar von sexuellen Begegnungen mit ihm – sogenannte „Teufelsbuhlschaft“, ein zentraler Anklagepunkt in Hexenprozessen. Ihr Bericht entsprach damit klassischen Elementen, wie sie aus früheren Hexenverfolgungen bekannt sind.

Hexenverfolgung als Krisen- und Medienphänomen

Dass Schwägelin im 18. Jahrhundert noch einem Hexenprozess zum Opfer fiel, ist historisch bemerkenswert. Die großen Hexenverfolgungen waren längst abgeklungen – das Zeitalter der Aufklärung hatte begonnen. Doch Hexenverfolgung war nie nur eine Frage von Aberglauben, sondern immer auch Ausdruck gesellschaftlicher Krisen. Klimatische Veränderungen, Kriege, Hungersnöte und der massive Umbruch in Kirche und Staat führten immer wieder zu einer Suche nach Sündenböcken.

Ein weiterer Motor der Verfolgung war die Medienlandschaft jener Zeit. Schon im 16. und 17. Jahrhundert verbreiteten sich Berichte über Hexenprozesse durch Flugblätter und Druckwerke rasch im ganzen Land. Das verstärkte das Gefühl einer allgegenwärtigen Bedrohung.

Der konservative Landrichter und der letzte Prozess

Historiker wie Wolfgang Petz sehen im Fall Schwägelin aber auch ein persönliches Moment: Der zuständige Landrichter Treuchtlinger wird als konservativ und wenig von aufklärerischen Gedanken beeinflusst beschrieben. Während jüngere Richter den Hexenglauben zunehmend hinterfragten, hielt Treuchtlinger an den alten Vorstellungen fest – und nahm Schwägelins Geständnisse wörtlich.

Er verurteilte sie zum Tod durch das Schwert mit anschließender Verbrennung. Doch der damalige Fürstabt Honorius Roth von Schreckenstein, selbst den Ideen der Aufklärung nicht abgeneigt, ließ das Urteil letztlich nicht vollstrecken.

Ein psychologisches und religiöses Drama

Auffällig ist, dass Schwägelin ihr „Geständnis“ immer wieder selbst verbreitete, auch lange bevor jemand Anklage gegen sie erhob. Moderne Betrachter könnten hierin Anzeichen einer psychischen Erkrankung sehen. Doch Historiker Petz betont, dass im damaligen Kontext der Wechsel vom katholischen zum protestantischen Glauben – den Schwägelin einst für eine Heirat vollzogen hatte – schwere Gewissenskonflikte auslöste.

Ein Bruch mit der Religion bedeutete damals nicht nur sozialen Ausschluss, sondern wurde schnell als Bruch mit Gott selbst und als „Pakt mit dem Teufel“ gedeutet. Schwägelins eigenes Schuldgefühl könnte so den Grundstein für ihre Aussagen gelegt haben.

Das Ende: Kein Tod auf dem Scheiterhaufen, aber dennoch gestorben im Gefängnis

Lange galt Anna Maria Schwägelin als letzte hingerichtete „Hexe“ auf deutschem Boden. Doch ein Eintrag in einem Kemptener Kirchenbuch belegt, dass sie erst sechs Jahre nach dem Urteil, 1781, im Gefängnis starb – nachdem ihr sogar die Sterbesakramente erteilt worden waren.

Obwohl der Fürstabt das Urteil letztlich nicht umsetzen ließ, blieb Schwägelin in Haft. Wahrscheinlich aus praktischen Gründen: Das Armenhaus, in dem sie zuvor gelebt hatte, sollte aufgelöst werden. Eine Rückkehr in die Gesellschaft erschien unmöglich.

Ein letztes Opfer einer dunklen Zeit

Der Fall Anna Maria Schwägelin ist ein eindrückliches Mahnmal für die Spätfolgen einer Epoche, in der religiöse Angst, soziale Ausgrenzung und staatliche Macht Hand in Hand gingen. Auch wenn der Hexenwahn im 18. Jahrhundert bereits verblasste, zeigt dieser Prozess, wie tief sich solche Weltbilder in die Strukturen und Köpfe der Menschen eingebrannt hatten. Schwägelins Schicksal erinnert uns daran, wie gefährlich Aberglaube und Vorurteile werden können, wenn sie auf eine Gesellschaft in Unruhe treffen.

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