Warum werden bei den Templern historische Beweise verlangt – bei Religionen jedoch nicht?
Es ist eine eigenartige und zugleich tief aufschlussreiche Beobachtung: Während man bei den Tempelrittern immer wieder nach historischen Beweisen, Quellen und greifbaren Fakten verlangt, akzeptiert man religiöse Überlieferungen – etwa biblische Erzählungen – häufig ohne diesen Anspruch. Doch woran liegt das? Und was sagt das über unseren Umgang mit Geschichte, Glaube und Wahrheit aus?
Die Templer – zwischen Mythos, Macht und Misstrauen
Der Templerorden wurde 1119 im Heiligen Land gegründet, ursprünglich mit dem Ziel, Pilger zu beschützen. Schnell entwickelte sich der Orden zu einer mächtigen Institution mit enormem Einfluss, Landbesitz und Vermögen. Nach ihrer gewaltsamen Auflösung 1307 durch Philipp IV. von Frankreich wurde aus dem realen Orden ein Mythos – gefüllt mit Geheimnissen, Verschwörungen und Legenden.
Gerade weil die Templer zwischen historischer Wirklichkeit und sagenumwobener Überhöhung stehen, fordern Historiker und Kritiker gerne „harte Fakten“: Urkunden, Inschriften, archäologische Funde. Es geht darum, Geschichte von Spekulation zu trennen. Doch wird dieser Maßstab auch auf religiöse Traditionen angewendet?
Die Bibel – keine Geschichtsschreibung, sondern Glaubenszeugnis
In Diskussionen wird häufig übersehen, dass die Bibel kein Geschichtsbuch im modernen Sinn ist, sondern ein theologisch motiviertes Werk. Sie will nicht nüchtern über Ereignisse berichten, sondern „Glaubenswahrheiten“ verkünden. Sie „wirbt“ für den Glauben, erzählt in Bildern und Symbolen – und häufig mit einer bestimmten Absicht.
Ein besonders markantes Beispiel findet sich in der Darstellung des römischen Statthalters Pontius Pilatus. Die Evangelien – insbesondere das Matthäusevangelium – zeichnen ihn als zögernden, fast philosophisch denkenden Mann. Er wäscht sich die Hände in Unschuld und überlässt das Schicksal Jesu dem „Willen des Volkes“. Eine filmreife Szene, emotional und dramatisch – aber historisch zweifelhaft.
Pilatus – zwischen historischer Realität und theologischer Fiktion
Die historische Forschung zeichnet ein anderes Bild: Pontius Pilatus war ein harter, kompromissloser Vertreter der römischen Ordnung, bekannt für seine Brutalität gegenüber Aufständischen. Es erscheint unwahrscheinlich, dass er sich von jüdischen Autoritäten hätte bevormunden lassen. Vielmehr ist es wahrscheinlich, dass er Jesus als politischen Unruhestifter hinrichten ließ – jemand, dem nachgesagt wurde, sich als „König der Juden“ auszugeben.
Dass die Evangelien Pilatus von der Schuld freisprechen und die Verantwortung auf „die Juden“ schieben, ist kein Zufall. Die ersten Christen waren bemüht, sich mit der römischen Ordnung nicht zu überwerfen. Antijüdische Tendenzen in den Evangelien – besonders bei Matthäus – spiegeln diese Strategie wider: die Schuld wird den jüdischen Autoritäten zugeschoben, nicht dem römischen Staat. Eine Entwicklung, die Jahrhunderte später verhängnisvolle Folgen hatte.
Die Szene mit dem Wasser – ein Detail mit doppeltem Boden
Die Szene, in der Pilatus sich die Hände wäscht, kann auch anders gelesen werden: War es vielleicht gar kein symbolischer Akt der Unschuld, sondern Teil der Morgenroutine? Immerhin spielt sich die Szene frühmorgens ab, und die soziale Dynamik im Hintergrund wird nicht beschrieben. Die symbolische Deutung liegt im Interesse des Evangelisten – aber das macht sie noch lange nicht zu einem historischen Fakt.
Jesus, der Messias – oder ein von anderen zum Messias gemachter?
Ein weiterer Aspekt ist der Messiasanspruch Jesu. Die historische Forschung legt nahe, dass Jesus sich selbst nicht ausdrücklich als Messias (Christus) bezeichnet hat. Vielmehr war es Paulus, der in seinen Briefen – also noch vor den Evangelien – den Titel „Christus“ theologisch auflud und zur Grundlage des Glaubens machte. Erst das spätere Johannesevangelium erklärt: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“ Damit wird Jesus aus dem politischen Kontext herausgelöst und in eine metaphysische Dimension erhoben – mit dem Ziel, ihn vor dem Verdacht eines Aufrührers zu entlasten.
Zwei Maßstäbe – zwei Wahrheiten?
Warum aber wird beim Templerorden auf Quellenkritik und Fakten bestanden, während man in der religiösen Überlieferung oftmals bereit ist, narrative Aussagen zu akzeptieren? Die Antwort ist vielschichtig:
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Religiöse Texte beanspruchen keine historische Objektivität, sondern Glaubenswahrheit*).
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Die Templer jedoch sind Teil der weltlichen Geschichtsschreibung – und damit automatisch dem Zugriff der Historiker unterstellt.
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Es ist leichter, den Glauben zu „glauben“, als sich mit dem fragmentarischen, oft widersprüchlichen Charakter von Geschichte auseinanderzusetzen.
Fazit: Wahrheit, wie sie uns gefällt?
Die Geschichte der Templer zeigt, wie sehr sich Fakt und Fiktion miteinander vermischen können – genau wie in der religiösen Überlieferung. Doch während man bei den Templern unermüdlich auf „Beweise“ pocht, akzeptiert man bei den Evangelien und religiösen Schriften oft ein ganz anderes Maß.
Es bleibt also die Frage: Warum glauben wir bereitwillig an Geschichten mit tiefer symbolischer Bedeutung – solange sie aus der Bibel stammen –, verlangen aber die kalte, harte Wirklichkeit, wenn es um weltliche Akteure wie die Templer geht?
Vielleicht, weil Glaube mehr erlaubt als Geschichte – aber auch mehr Verantwortung trägt, wenn er sich als Wahrheit präsentiert.
*) Was ist eine Glaubenswahrheit?
Der Begriff „Glaubenswahrheit“ wird meist in religiösem oder theologischen Zusammenhang verwendet. Damit meint man eine Überzeugung, die als wahr angenommen wird, ohne dass sie beweisbar ist – zumindest nicht mit den Mitteln empirischer Wissenschaft oder Logik.
Beispiele dafür sind:
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Der Glaube an einen Schöpfergott
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Die Auferstehung Jesu Christi
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Die Unsterblichkeit der Seele
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Die Existenz eines göttlichen Plans
Diese Aussagen sind nicht verifizierbar, sie beruhen auf Offenbarung, Tradition oder persönlicher religiöser Erfahrung. Man „weiß“ sie nicht im wissenschaftlichen Sinn – aber man glaubt sie mit innerer Überzeugung. Und genau das wird im religiösen Kontext als „Wahrheit“ bezeichnet.
Gibt es eine Wahrheit des Nichtwissens?
Rein erkenntnistheoretisch ist „Glauben“ das Gegenteil von „Wissen“:
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Wissen ist das, was durch Beweise, Erfahrung oder logische Herleitung als verlässlich gilt.
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Glauben ist das Für-wahr-Halten ohne sicheren Beweis.
Aber: Menschen handeln seit jeher auf der Grundlage von Glauben – im religiösen wie im alltäglichen Leben. Niemand „weiß“ mit absoluter Sicherheit, was morgen passiert, ob Freundschaften halten, ob die Welt gerecht ist. Und doch glauben wir es oft – und richten unser Leben danach aus.
In diesem Sinne ist „Glaubenswahrheit“ eine Wahrheit des Herzens, nicht des Verstandes. Keine „objektive“, sondern eine existenzielle Wahrheit. Sie hat Geltung für den Glaubenden, nicht notwendigerweise für alle.
Gibt es also „Wahrheiten“ außerhalb des Wissens?
Manche Philosophen – etwa Kierkegaard oder Karl Jaspers – würden sagen: Ja. Für sie beginnt die Wahrheit genau dort, wo das Wissen endet. Wo der Mensch sich dem Nichtwissen stellt, aber trotzdem handelt und sich entscheidet – aus innerer Überzeugung, trotz aller Zweifel.
Das Christentum nennt diesen Weg „Glauben“. Es ist kein Wissen – aber eine Form der Wahrheit, die im Vertrauen, in der Treue und im existenziellen Ernst wurzelt.
Fazit:
Eine Glaubenswahrheit ist keine wissenschaftlich beweisbare Wahrheit, sondern eine, die im Innersten des Menschen lebt – als Antwort auf das, was größer ist als das Wissen. Ob man sie als gültig anerkennt, hängt davon ab, ob man bereit ist, sie zu tragen – trotz des Nichtwissens.
„Glaube ist der Mut, das Nichtwissen nicht als Leere, sondern als Geheimnis zu verstehen.“