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Konnte man im Mittelalter tatsächlich schon Antibiotika herstellen?

Ein uraltes Rezept mit Zwiebel, Knoblauch, Wein und Ochsengalle – Mythos oder medizinische Sensation?

Antibiotika – ein Begriff, den wir mit moderner Medizin und wissenschaftlicher Forschung verbinden. Seit der Entdeckung des Penicillins durch Alexander Fleming im Jahr 1928 hat sich die Behandlung von bakteriellen Infektionen revolutioniert. Doch immer wieder taucht eine faszinierende Behauptung auf: Schon im Mittelalter soll es ein rezeptähnliches Heilmittel gegeben haben, das antibiotische Wirkung besaß – und aus einfachen Zutaten bestand: Zwiebel, Knoblauch, Wein und Ochsengalle.

Klingt unglaublich? Ist es aber nicht. Die moderne Forschung hat dieses alte Rezept tatsächlich untersucht – mit erstaunlichen Ergebnissen.

1. Ursprung des Rezepts – „Bald’s Leechbook“

Die Quelle dieses bemerkenswerten Heilmittels ist ein angelsächsisches Medizinbuch aus dem 10. Jahrhundert: „Bald’s Leechbook“, benannt nach seinem angeblichen Verfasser „Bald“. Es enthält zahlreiche Anleitungen zur Behandlung von Krankheiten – darunter ein Rezept gegen „Augenentzündung“, das wie folgt aussieht:

„Nimm gleichen Anteil von Lauch und Knoblauch, zerkleinere sie fein. Mische sie mit Wein und der Galle eines Rindes. Lasse das Ganze neun Nächte lang in einem Messinggefäß reifen. Danach seihe es ab, bewahre es in einem Horngefäß auf – und träufle es in das Auge.“

Was auf den ersten Blick wie ein typischer mittelalterlicher Kräutertrank wirkt, entpuppte sich in moderner Analyse als medizinisch wirksam – sogar gegen resistente Bakterien.

2. Moderne Studien bestätigen Wirkung

Im Jahr 2015 untersuchte ein Forscherteam der University of Nottingham das Bald’sche Rezept in einem mikrobiologischen Labor. Ziel war es, herauszufinden, ob alte Naturheilmittel tatsächlich gegen moderne Keime wirken können.

Das Ergebnis war verblüffend:

  • Die Mischung tötete bis zu 90 % der MRSA-Bakterien (Methicillin-resistente Staphylococcus aureus) – ein hochresistenter Krankenhauskeim
  • Die Wirkung trat nur auf, wenn alle Zutaten genau nach Vorschrift kombiniert wurden – einzeln hatten sie keine oder nur geringe Wirkung
  • Auch die Reifung über mehrere Tage war entscheidend – vermutlich durch die Entstehung bestimmter chemischer Reaktionen
  • Die Kombination wirkte bakterienabtötend, ohne gesundes Gewebe zu schädigen

Die Forscher vermuten, dass die Mischung eine Art Synergieeffekt erzeugt: Die Schwefelverbindungen aus Knoblauch und Zwiebel (z. B. Allicin), die Gallensäuren, der Alkohol aus dem Wein und die Metallionen aus dem Messinggefäß könnten gemeinsam eine Art natürliches Antibiotikum bilden.

3. Was bedeutet das für die Medizin?

Diese Entdeckung ist bahnbrechend – nicht, weil sie Penicillin ersetzen kann, sondern weil sie zeigt:

  • Das mittelalterliche Heilwissen war oft weitreichender, als lange angenommen
  • Naturstoffe können in bestimmten Kombinationen hochwirksam gegen Krankheitserreger sein
  • Die Synergie aus mehreren Zutaten spielt eine größere Rolle als einzelne Wirkstoffe – ein Prinzip, das auch in der traditionellen chinesischen oder ayurvedischen Medizin bekannt ist
  • Alte Manuskripte können wertvolle Hinweise für neue Therapien liefern – besonders im Zeitalter von Antibiotikaresistenzen

4. War das im Mittelalter schon bekannt?

Die Menschen im Mittelalter wussten natürlich nichts von Bakterien im heutigen Sinn – aber sie hatten Erfahrung. Sie wussten, was heilt und was nicht, was „die Wunde rein macht“, was „den Eiter zieht“ oder was „entzündet“. Und sie beobachteten genau.

Dass ein Augentrank aus dieser Mixtur eine bakterielle Infektion linderte, war damals wohl empirisch belegt – auch wenn man die genauen Zusammenhänge nicht verstand. Die Wirkung war bekannt – die Ursache noch nicht.

5. Fazit: Ein natürliches Antibiotikum im Mittelalter? Ja – zumindest in der Wirkung!

Das Rezept aus Bald’s Leechbook zeigt, dass mittelalterliche Medizin mehr war als Aberglaube und Blutegel. Sie basierte oft auf praktischer Erfahrung und Beobachtung – und vereinzelt auf Kombinationen, die sogar mit modernen Maßstäben überzeugen können.

Natürlich war nicht jeder mittelalterliche Heiltrank wirksam – viele waren wirkungslos oder gar gefährlich. Aber dieses Beispiel belegt:
Die Natur bietet Wirkstoffe, die wir bis heute noch nicht vollständig verstanden haben – und manchmal lohnt sich ein Blick zurück, um in der Zukunft neue Wege zu gehen.

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