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Über Einsamkeit, Entfremdung und die Kraft der Verbundenheit

In den letzten Jahren hat sich eine stille Epidemie breitgemacht – nicht nur in Österreich, sondern weltweit. Die Einsamkeit. Besonders betroffen sind Arbeitslose, ältere Menschen, Einkommensarme und Jugendliche. Laut Statistik fühlen sich rund 700.000 Menschen in Österreich – fast acht Prozent der Bevölkerung – in den vergangenen vier Wochen „meistens oder immer“ einsam. Das ist nicht einfach nur ein Zustand der Stille. Es ist ein Zustand des inneren Rückzugs, des Abgeschnitten-Seins.

Einsamkeit ist nicht gleich Alleinsein

Es ist wichtig, Einsamkeit nicht mit Alleinsein zu verwechseln. Alleinsein kann eine bewusste Entscheidung sein – zur Einkehr, zur Stille, zur spirituellen oder schöpferischen Regeneration. Einsamkeit dagegen ist das, was bleibt, wenn man das Gefühl hat, niemanden mehr zu haben – und wenn man dabei auch sich selbst verliert.

Die Philosophin Hannah Arendt formulierte diesen Unterschied treffend:
„Ich nenne diesen existenziellen Zustand, in dem ich mit mir selbst umgehe, ,Alleinsein’, im Unterschied zur ,Einsamkeit’, in der man auch allein ist, aber nicht nur der Gesellschaft anderer Menschen entbehrt, sondern auch der möglichen eigenen.“

Einsamkeit ist also mehr als nur das Fehlen sozialer Kontakte. Sie ist die Abwesenheit der inneren Stimme, die einem sonst Halt gibt. Wer sich einsam fühlt, verliert das Gefühl der Zugehörigkeit. Die Verbindung zur Welt wird porös, das Selbstbild verschwimmt, das Vertrauen in die Gesellschaft bröckelt.

Von allen guten Geistern verlassen?

Das alte Sprichwort „von allen guten Geistern verlassen“ beschreibt nicht bloß geistige Verwirrung – es beschreibt oft auch die emotionale Leere, die Menschen in der Einsamkeit verspüren. Wer sich allein gelassen fühlt, verliert oft nicht nur das Vertrauen in andere, sondern auch in sich selbst. Die Welt draußen scheint weiterzulaufen – bunt, laut, schnell –, während die eigene Innenwelt zu einer stillen Kammer wird.

Besonders Jugendliche spüren diese Trennung schmerzhaft. In einer Zeit, in der sie sich selbst und ihren Platz in der Welt finden wollen, tut soziale Ausgrenzung besonders weh. In der Tiefe klingt die Botschaft: Ich bin nicht mehr Teil dieser Welt. Ich bin vergessen. Ich bin abgelegt.

Doch Einsamkeit ist nicht nur ein individuelles Leiden. Sie ist ein kollektives Phänomen, das die Gesellschaft verändert. Wer einsam ist, verliert leichter das Vertrauen in demokratische Prozesse, in soziale Institutionen, in das Miteinander. Wo Isolation herrscht, wächst Misstrauen. Wo Misstrauen wächst, schrumpft der soziale Kitt.

Einsamkeit ist ein gesellschaftliches Thema

Wir leben in einer Zeit, in der digitale Netzwerke immer stärker werden – und dennoch fühlen sich viele Menschen isolierter denn je. Es ist eine paradoxe Entwicklung: technisch vernetzt, aber seelisch getrennt. Umso mehr braucht es bewusste Orte der Begegnung, der Nähe, der Offenheit. Räume, in denen man gesehen wird. Wo jemand zuhört. Wo man wieder spürt: Ich bin da. Ich zähle. Ich gehöre dazu.

Denn jede Handlung gegen die Einsamkeit – sei sie noch so klein – ist auch ein Beitrag zur sozialen Wärme, zum Zusammenhalt, zur Demokratie. Jeder Mensch, der wahrgenommen wird, fühlt sich eingebunden. Jeder Blick, jedes Wort, jede echte Begegnung kann heilsam sein.

Was wir brauchen: Alle guten Geister

Vielleicht ist es an der Zeit, den alten Spruch umzudrehen. Wir brauchen alle guten Geister – im Sinne von Mitgefühl, Empathie, Solidarität. Wir brauchen den Mut, hinzusehen, wo Menschen sich zurückziehen. Wir brauchen ein neues Bewusstsein dafür, dass es keine Privatsache ist, wenn jemand im Stillen leidet.

Einsamkeit geht uns alle an.
Denn wo Menschen sich wieder verbunden fühlen – mit sich, mit anderen, mit der Welt –, da beginnt ein neues Vertrauen zu wachsen. Und mit diesem Vertrauen kehren sie zurück:
Die guten Geister.

Die des Miteinanders. Die der Hoffnung. Die des menschlichen Herzens.

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