1.700 Jahre Konzil von Nizäa – Einig sein statt Einheit
Geschichten aus der Geschichte für heute
Ein historisches Jubiläum mit Gegenwartsbezug
Vor 1.700 Jahren, im Jahr 325 n. Chr., versammelten sich in der kleinasiatischen Stadt Nizäa – dem heutigen Iznik in der Türkei – christliche Bischöfe aus dem gesamten Römischen Reich zu einem Ereignis, das tiefgreifende Auswirkungen auf Theologie, Kirche und Politik hatte: das Erste Ökumenische Konzil von Nizäa.
Einberufen wurde das Konzil von Kaiser Konstantin dem Großen, der in der jungen und wachsenden Kirche ein Mittel zur Einigung seines Reiches sah. Er hoffte, dass eine einheitliche christliche Lehre zur politischen Stabilität beitragen würde. Doch was als Einheitsprojekt gedacht war, offenbarte einen tiefen Riss – und eine Lehre für die Zukunft: Einig sein ist nicht dasselbe wie Einheit.
Der Streit um das Wesen Jesu
Im Mittelpunkt des Konzils stand die grundlegende Christusfrage:
Wer ist Jesus Christus – ein erschaffenes Wesen oder wahrer Gott?
Der alexandrinische Presbyter Arius lehrte, Christus sei zwar göttlich, aber nicht wesensgleich mit Gott dem Vater. Er sei „geschaffen“, also dem Vater untergeordnet – eine Sichtweise, die aus heutiger Sicht als „Arianismus“ bekannt ist. Arius fand viele Unterstützer, insbesondere im Osten des Reiches.
Dem gegenüber stand unter anderem der energische Theologe Athanasius, der darauf bestand, dass Christus „wahrer Gott vom wahren Gott“, also wesensgleich (griechisch: homoousios) mit dem Vater sei.
Eine Entscheidung mit klarer Mehrheit
Nach intensiven Debatten kam es zur Abstimmung. Von den rund 300 anwesenden Bischöfen unterstützten die allermeisten das antiarianische Bekenntnis.
Nur zwei Bischöfe verweigerten die Unterschrift unter das Glaubensbekenntnis, das mit der bekannten Formel schloss:
„…gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater…“
Arius selbst wurde verurteilt, exkommuniziert und ins Exil geschickt.
Doch diese formale Einigkeit bedeutete noch lange keine tatsächliche Einheit. Der Streit um das Wesen Christi ging weiter – teils offen, teils im Untergrund – und prägte die Kirchengeschichte für Jahrhunderte.
Wer stand auf Seiten des Arius?
Arius war nicht allein. Eusebius von Nikomedia, ein einflussreicher Bischof am kaiserlichen Hof, unterstützte ihn ebenso wie viele Bischöfe aus Kleinasien, Syrien und Palästina.
Kaiser Konstantin selbst schwankte nach dem Konzil und ließ Arius sogar später wieder aus dem Exil zurückkehren.
In den Jahrzehnten danach förderten mehrere oströmische Kaiser den Arianismus, vor allem Konstantius II., der ihn im Osten zur dominanten Lehre machte. Auch germanische Stämme wie die West- und Ostgoten übernahmen durch Missionare wie Wulfila den arianischen Glauben – ein Erbe, das in Europa noch bis ins Frühmittelalter nachwirkte.
Einheit durch Macht – oder durch Geist?
Die Entscheidung des Konzils wurde mit kaiserlicher Autorität durchgesetzt – wer nicht mitstimmte, wurde verbannt. Doch Einheit, die durch Zwang entsteht, ist fragil.
Die Geschichte zeigt: Theologische Einigkeit lässt sich nicht erzwingen. Wahre Einheit entsteht durch Vertrauen, Offenheit und gelebte Gemeinsamkeit – nicht durch politische Druckmittel.
Warum das Konzil heute noch Fragen aufwirft
Auch 1.700 Jahre später ist die damalige Debatte hochaktuell:
Wie monotheistisch ist das Christentum?
Für Muslime ist das Konzept der Dreieinigkeit schwer nachvollziehbar, da der Islam den Tauhīd, die absolute Einheit Gottes, betont – ohne Sohn, Geist oder Teilhaber.
Selbst innerhalb des Christentums wird immer wieder gefragt:
Ist die Trinitätslehre biblisch fundiert oder ein späterer philosophischer Zusatz?
Wie können Christen ihren Glauben heute glaubwürdig erklären – in einer zunehmend säkularen und pluralen Welt?
Einig sein in Vielfalt – eine Botschaft für unsere Zeit
Das Konzil von Nizäa zeigt: Einheitlichkeit ist kein Garant für Einigkeit. Und doch kann aus dem ehrlichen Ringen um Wahrheit etwas entstehen, das tiefer verbindet als Dogmen – nämlich ein gemeinsamer Geist des Glaubens, der Demut und der Dialogbereitschaft.
In einer Welt, die religiös wie kulturell zersplittert erscheint, ist die Botschaft von Nizäa aktueller denn je:
Wie führen wir den Dialog – ohne andere zu verurteilen?
Wie können wir Unterschiede aushalten – ohne unsere Überzeugung zu verlieren?
Fazit: Geschichte, die bewegt
Das Konzil von Nizäa ist keine Fußnote kirchlicher Vergangenheit – es ist ein Lehrstück über Macht und Glauben, über Dogma und Freiheit, über Einheit und Vielfalt. Es fordert uns auch heute heraus, Glaubensfragen nicht mit Angst, sondern mit Verständnis und Gesprächsbereitschaft zu begegnen.
Denn wer nur Einheit will, riskiert Spaltung.
Wer jedoch Einigkeit sucht, kann Brücken bauen – über Jahrhunderte hinweg.