Ist unser Gottesbild menschengemacht?
Zweifel, Schmerz und die Frage nach dem wahren Wesen Gottes
Eine tiefe Erschütterung
Wenn sich Grausames ereignet – wie zuletzt der schreckliche Angriff auf Kinder in einer Grazer Schule oder die unaufhörlichen Amokdaten im sogenannten „Heiligen Land“ – dann erschüttert das nicht nur unser Herz, sondern auch unseren Glauben. Es stellt sich unweigerlich die Frage: Wie kann ein gütiger, allmächtiger Gott so etwas zulassen? Warum greift er nicht ein? Warum schweigt der Himmel angesichts von Leid, Unrecht und Zerstörung?
Diese Zweifel sind nicht neu. Sie begleiten die Menschheit seit Jahrhunderten – und doch scheinen sie heute lauter denn je.
Das Bild vom alten Mann mit Bart
Viele von uns tragen ein tief eingeprägtes Bild von Gott mit sich: ein alter, weiser Mann mit weißem Bart, thronend über den Wolken – gerecht, allmächtig und allwissend. Dieses Bild ist nicht zufällig entstanden, sondern wurde durch Kirchenlehre, Kunst und Erziehung über Generationen hinweg geformt. Es beruhigt, gibt Halt, schafft Ordnung. Doch genau dieses Bild gerät ins Wanken, wenn die Realität der Welt nicht mit diesem Ideal übereinstimmt.
Ist dieser Gott also vielleicht eine Projektion menschlicher Wünsche und Ängste? Ein geistiger Vaterersatz, geschaffen, um uns Trost zu spenden und moralische Kontrolle auszuüben?
Ein Gott, der auch schweigt?
Die Bibel selbst ist kein einheitliches Werk der Hoffnung und Liebe, sondern ein Buch voller Widersprüche: neben Barmherzigkeit auch Rache, neben Schöpfung auch Zerstörung. Gott schweigt oft, auch gegenüber seinen Auserwählten. Das Buch Hiob ist nur ein Beispiel für die Erfahrung des völligen Ausgeliefertseins gegenüber göttlicher Unergründlichkeit.
Vielleicht ist es an der Zeit, unsere Vorstellung von Gott zu hinterfragen. Nicht im Sinne eines völligen Ablegens, sondern eines Reifens. Ein Gott, der nur dann „gut“ ist, wenn er eingreift und unsere Wünsche erfüllt, ist ein Gott im Dienst des Menschen – kein überirdisches, lebendiges Mysterium.
Die Kirche als Teil des Problems?
Die Geschichte zeigt: Auch im Namen Gottes wurden Kriege geführt, Ketzer verbrannt, Andersgläubige verfolgt. Der Vatikan selbst hat in Jahrhunderten der Geschichte vielfach mit Gewalt und Machtpolitik agiert – entgegen dem eigentlichen Geist der Liebe und Vergebung. Das Gottesbild, das hier vermittelt wurde, war oft ein Herrschaftsinstrument, kein Ausdruck einer lebendigen, mystischen Wahrheit.
Gott – ein Mysterium, kein Konzept
Vielleicht ist Gott nicht der alte Mann mit Bart – sondern das unaussprechliche, allgegenwärtige Bewusstsein, das durch alles fließt, das Leben selbst, das Licht in uns, das wir oft überhören. Ein solches Gottesverständnis würde nicht die Illusion nähren, dass alles Leid sofort beendet wird – aber es würde Raum lassen für tieferes Verstehen, inneres Wachsen, und die Verantwortung des Menschen, aus Liebe statt aus Angst zu handeln.
Warum Leid?
Die Frage bleibt schmerzhaft: Warum Leid? Warum die toten Kinder, die Kriege, die Grausamkeit? Vielleicht nicht, weil Gott es will – sondern weil wir Menschen die Freiheit erhalten haben, zu handeln. Und mit dieser Freiheit gehen wir oft verantwortungslos um.
Ein Gott, der dem Menschen Freiheit gibt, verzichtet auf Kontrolle – um Raum für wahre Entwicklung zu schaffen. Das Leid ist keine göttliche Strafe, sondern oft die Folge menschlicher Entscheidungen – oder einfach Teil des großen Spiels von Leben und Tod, das wir mit unserem begrenzten Verstand kaum begreifen können.
Fazit: Ein Ruf zur inneren Neuorientierung
Vielleicht ist es an der Zeit, Gott nicht mehr im Himmel zu suchen – sondern im Menschen, im Herzen, im Mitgefühl, in der Stille zwischen den Gedanken. Nicht als Richter oder Weltenlenker, sondern als lebendige Quelle, die in uns wohnt – und durch uns wirkt, wenn wir es zulassen.
Nicht Gott hat die Kinder ermordet. Nicht Gott führt Kriege. Der Mensch tut es.
Und vielleicht liegt genau darin auch ein göttliches Geheimnis verborgen: dass wir selbst aufgerufen sind, die Welt zu heilen, statt auf ein Eingreifen von außen zu warten.
Morgen: An was glauben die Templer?