⚔️ Die Geheimstatuten
Mythos, oder verborgene Wahrheit?
Seit dem Untergang des Templerordens im 14. Jahrhundert ranken sich zahllose Legenden und Spekulationen um seine wahre Natur, seine verborgenen Lehren und mögliche Geheimbünde innerhalb des Ordens. Einen besonders umstrittenen Teil dieser Legenden bilden die sogenannten Geheimstatuten – ein Begriff, der in verschiedenen historischen, mystischen und pseudowissenschaftlichen Kontexten Verwendung findet. In diesem Artikel soll der Ursprung, die Entwicklung und die problematische Authentizität dieser angeblichen geheimen Regelwerke beleuchtet werden.
Frühe Spekulationen über einen „Orden im Orden“
Die Vorstellung, dass der Templerorden neben seiner offiziellen, kirchlich anerkannten Regel auch geheime Lehren und Rituale pflegte, lässt sich bis in die Aufklärung zurückverfolgen. Einer der frühesten Vertreter dieser These war der Aufklärer Friedrich Nicolai, der 1783 die Idee eines „Ordens im Orden“ formulierte – eine Art esoterische Elite innerhalb des Templerordens, die sich von der offiziellen römisch-katholischen Lehre distanzierte. Solche Vorstellungen fanden besonders im freimaurerischen und romantischen Umfeld des 18. und 19. Jahrhunderts fruchtbaren Boden.
Gerard de Sède und die Entdeckung eines verschollenen Manuskripts
Ein neuer Impuls für die Legende um die Geheimstatuten ging von Gerard de Sède aus, der 1962 in seinem Buch „Die Templer sind unter uns“ behauptete, der dänische Bischof und Freimaurer Friedrich Münter habe im Jahr 1780 im Vatikanischen Archiv eine Handschrift mit offiziellen Ordensregeln und geheimen Zusatzstatuten entdeckt. Besonders brisant: Diese angeblich von einem „Meister Roncelin“ redigierten Texte seien anschließend auf „unerklärliche Weise verschwunden“. In einem späteren Brief an den deutschen Templerforscher Wilcke habe de Sède dies als historische Tatsache dargestellt – ohne überprüfbare Belege.
Die Wiederentdeckung durch Theodor Merzdorf
Erst fast ein Jahrhundert später – 1877 – will der deutsche Historiker Theodor Merzdorf in Hamburger Privatarchiven die verschollene Handschrift „wiederentdeckt“ haben. Der Weg des Dokuments lässt sich allerdings nur bruchstückhaft und mit vielen Unsicherheiten rekonstruieren. Angeblich gelangte die Handschrift über den Nachlass des russischen Staatsrats Böber, einem hochrangigen Freimaurer, nach Hamburg. Merzdorf äußerte zwar Zweifel an der Herkunft und Authentizität, hielt den Text aber dennoch für möglicherweise echt.
Der Historiker Heinrich Prutz widersprach Merzdorf vehement. In seiner 1878 veröffentlichten Untersuchung bewies er akribisch, dass es sich bei den sogenannten Merzdorfschen Geheimstatuten um eine Fälschung aus dem freimaurerischen Umfeld des 19. Jahrhunderts handelt – eine These, die bis heute unter seriösen Historikern als wahrscheinlich gilt.
Der Inhalt der „Merzdorfschen Geheimstatuten“
Die angeblichen Statuten bestehen aus vier Teilen:
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Teil 1: Die reguläre Ordensregel mit den bekannten 72 Punkten, ergänzt um Anweisungen zur Gefangenenbefreiung und Gehorsam gegenüber dem Patriarchen von Jerusalem.
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Teil 2: Statuta Secreta, angeblich erstellt von Roger de Montaigu und Robert de Barris, enthält deistische Elemente, Gleichheitsvorstellungen der Religionen und antikirchliche Tendenzen.
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Teil 3: Liber Consolamenti, benannt nach einem katharischen Initiationsritus.
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Teil 4: Enthält Anweisungen zu geheimen Erkennungszeichen, Passwörtern und alchemistischen Inhalten, angeblich vom mysteriösen „Meister Roncelin“ verfasst.
Besonders auffällig ist die Sprache des Textes: Zwar in Latein abgefasst, weicht sie deutlich vom mittelalterlichen Kirchenlatein ab. Inhaltlich wird die römische Kirche als „Synagoge des Antichrist“ bezeichnet. Der Text integriert Elemente aus den Inquisitionsprotokollen (wie etwa das sogenannte Baphomet-Gebet) und verknüpft sie mit freimaurerischem und gnostischem Gedankengut. Die Erwähnung von Trivium und Quadrivium sowie alchemistischen Praktiken lässt eine humanistisch-aufklärerische Prägung erkennen – typisch für das 19. Jahrhundert, aber kaum für die Zeit der Templer.
Verwirrung um den Begriff „Geheimstatuten“
Zusätzliche Verwirrung stifteten im 19. Jahrhundert Autoren wie Maillard de Chambure, die auch innerordentliche Anweisungen, sogenannte Retrais, als „Statuts secrets“ bezeichneten. Diese Texte standen jedoch vollständig im Einklang mit der kirchlichen Lehre und enthielten keinerlei ketzerische oder esoterische Elemente. Die Gleichsetzung mit den angeblich häretischen Geheimstatuten ist daher irreführend und historisch inkorrekt.
Quellenhinweise:
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Gerard de Sède: Les Templiers sont parmi nous, 1962
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Theodor Merzdorf: Die geheimen Statuten des Templerordens, 1877
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Heinrich Prutz: Geheime Statuten des Templerordens – Eine Fälschung des 19. Jahrhunderts, 1878
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Maillard de Chambure: Les Statuts secrets
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Friedrich Münter: Statuten und Geschichte des Templerordens, 1794