Das Leben des 22. Templergrossmeisters
Tybaldus Gaudini (Thibaud Gaudin). 1291-16. April 1293
Der stark befestigte Templerpalast war die letzte Zuflucht für die Leute
aus Akko, nachdem die Führer der Streitkräfte beinahe alle ihr Heil
in der Flucht nach Zypern gesucht hatten. Die Templer hielten ihre
Stadt-Burg, die wehrhafteste der Stadt, zehn Tage lang; dann ergaben
sie sich „auf Treu und Glauben” (ä fiance). Als aber die durch die
geöffneten Tore eindringenden Mamlüken sich auf die Frauen stürzten,
begann der Kampf aufs neue. Alle Angreifer wurden erschlagen. Noch
einmal sagte der Sultan den Templern freien Abzug zu. Im Vertrauen
auf sein Wort verliessen sie unter der Führung ihres Marschalls fr. Petrus
de Sevry die Befestigung nur die Kranken blieben zurück; sie
wurden alle umgebracht. Die zurückgebliebenen Templer verschanzten
sich in einem Turm, der unterminiert zusammenbrach und Freund und
Feind unter sich begrub. Mit dem Fall Akkos hörte am 18. Mai 1291
das christliche Königreich Jerusalem für alle Zeiten zu bestehen auf.
Einigen Templern war es gelungen, nachdem der Grossmeister gefallen
war, nach Sidon zu entkommen, wo das gut befestigte Inselkastell
Schutz bot. Vielleicht hatte Guillaume de Beaujeu sie noch beauftragt,
die Urkunden und den „Schatz” des Ordens in Sicherheit zu bringen.
Der Rangälteste unter ihnen wurde zum Grossmeister erhoben: der Grosskomtur
des Landes, Thibaud Gaudin; eine reguläre Wahl hat wohl nicht
stattgefunden. Der Name des neuen Grossmeisters war am 28. Juli
noch nicht in Rom bekannt, als der Prokurator des Ordens an der Knrie
bestätigt wurde. Er entstammte wahrscheinlich einer Familie,
die „im 12. und 13. Jahrhundert in Chartres und Blois mächtig” war,
jedenfalls aus Francien; nach Renaud de Vichier verzeichnet das Obituar
von Reims zum ersten Mal wieder seinen Todestag. 1260 war er mit
Guillaume de Beaujeu in die Gefangenschaft der Turkomanen geraten,
aus der er, als Ritter von Stand, freigekauft wurde. Seine beiden Amtsvorgänger
hatten ihn mit Würden ausgezeichnet. Er ist Komtur von Akko
und vielleicht von Atlit gewesen, ehe er Grosskomtur wurde.
Um das Jahr 1279 wurde er mit Aufträgen nach Paris gesandt. Der
Verfasser der Gestes beschuldigt ihn der Feigheit und Trägheit, da er so
wenig seinem Vorgänger glich. Er habe das Inselkastell von Sidon mit
dem Versprechen verlassen, den Brüdern dort von Zypern aus Hilfe zu
senden, aber nichts unternommen, so dass die Besatzung schliesslich von
Brüdern aus Zypern gewarnt, das Kastell preisgegeben habe und nachts
nach Zypern geflohen sei. Am 3. August wurde Tortosa, am 14. Atlit,
die letzte Bastion, kampflos aufgegeben, weil keine Hilfe kam. Seine
uneinnehmbaren Mauern zerstörten die Mamlüken. Der Grossmeister
konnte mit den wenigen ihm gebliebenen Templern die Burgen nicht
halten.
Denselben Eindruck von der völligen Passivität des Templergrossmeisters
hatte auch der Berichterstatter des steirischen Chronisten Ottokar,
wenn er den Templermeister „Anne” von Guillaume de Beaujeu
weiss er nichts , Akko, das die Brüder halten und bis zum letzten Mann
verteidigen wollen, aufgeben und sich damit verteidigen und rechtfertigen
lässt: es sei sinnlos, sich hier in Gefahr zu hegeben, da sie auf die Dauer
ihren Besitz in Syrien doch nicht halten könnten. Der Orden hätte andere
Aufgaben in Spanien, und es sei sinnvoller, dafür die Kräfte zu schonen.
Allerdings, was den Wert der Aussage mindert, sagen, nach Ottokar,
die beiden anderen Grossmeister Entsprechendes; der Meister des Deutschen
Ordens verweist auf den deutschen Osten. Ottokar, der bald
nach der Eroberung Akkos seine Reimchronik schrieb, gibt wohl die
Meinung mancher seiner Zeitgenossen wieder.
Die Bedeutung der Eroberung von Akko ist an der Kurie offenbar
nicht sogleich erkannt worden. Nachdem Nikolaus IV. die Orden, die
Geistlichkeit und die Barone wiederholt zur Verteidigung des Heiligen
Landes aufgerufen hatte, forderte er noch im September 1290 einen
Tribut von den Orden für Neapel. Nach 1291 liess er noch einmal die
Möglichkeit einer Vereinigung des Templer- und Johanniterordens, die
schon 1274 erwogen worden war, prüfen. Seine Mahnung an die Grossmeister,
Armenien zu unterstützen, zeigt, dass er über die Lage der
Orden nicht unterrichtet war. Die streitbaren Brüder des Ordens waren
gefallen. 1292/93 reiste er mit dem Johannitergrossmeister Jean de Villiers
und Otho von Grandson nach Armenien. Während seiner kurzen
Amtszeit hat Thibaud Gaudin sonst keine Spuren seiner Wirksamkeit
hinterlassen. Er starb am 16. April 1293.