Dialog der Religionen
Lassen Sie uns heute ein Problem herausgreifen, das gerade uns Christen eine
engagierte Position abverlangt. Ich meine die Stellung zu unseren islamischen Brüdern und Schwestern, die in immer grösserer Zahl in unserer Mitte leben, die
häufig, viel mehr als wir, in und aus dem Glauben leben, und deren religiöses Oberhaupt, zumindest soweit sie schiitischen Glaubens sind, einen engagierten
Feldzug gegen grosse Teile der Welt in Gang gesetzt hat.
Welche Stellung kann nun der Christ angesichts einer so kämpferischen Bruderreligion einnehmen, wo hegen die Hauptprobleme des Miteinanderlebens?
Vergegenwärtigen wir uns einige Besonderheiten des islamischen Glaubens im Vergleich zum Christentum.
Als das Judentum in seiner Frühzeit Jahwe, den einen Gott, allen anderen Naturgöttern und Götzen vorzuziehen begann, da war dieser gewaltige und in vielen
Kämpfen, die uns die Thora schildert, immer wieder schmerzhafte Schritt Voraussetzung für die jüdische Hochreligion, auf die das junge Christentum aufbauen
konnte, ohne diesen Kampf um den einen Gott neu kämpfen zu müssen. Das Christentum konnte sich sogar gewissermassen den „Luxus” des trinitarischen Denkens leisten, also das wieder ausfalten, um dessen strenge Einheit das Judentum Jahrhunderte hatte kämpfen müssen.
Der Islam musste im arabischen Raum seinerseits den Kampf um den einen Gott gegen die Einzelgottheiten der Nomadenvölker neu kämpfen und musste sich zugleich, waren Mekka und Medina doch Schnittpunkte von Handelswegen und damit vielfältigen kulturellen und religiösen Strömungen – er musste sich also zugleich gegen die Macht von Judentum und Christentum durchsetzen. Das kämpferische Moment dieser Bruderreligion, ihre Beziehung auf archaische vorstaatliche Formen der Auseinandersetzung musste also ungleich grösser sein als in Judentum und Christentum.
Das Christentum hatte sich inmitten der Welt des römischen Staates entwickelt, vielfach befruchtet von den geistigen Grundlagen der versunkenen Welt des
Griechentums. Zwar soll die Phase der Gesetzesreligion – bei Paulus wird dies am deutlichsten – durch diejenige der Liebe überwunden und überstiegen werden, als tragender Boden gleichsam bleiben Gesetz, staatliche Ordnung und Gemeinschaftlichkeit der individuellen christlichen Existenz vorausgesetzt – „gebet
dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist”, heisst es – , und solcher Ordnung kann sich nur entziehen, wer seine soziale Existenz aufgibt, als Anachoret
und Einsiedler, oder wer seine physische Existenz aufs Spiel setzt, als Märtyrer.
Die Geschichte des Abendlandes ist geprägt von der Auseinandersetzung zwischen den beiden mächtigen Polen von Kirche und Staat, eine wirkliche Theokratie
hat es allenfalls in Ansätzen im inquisitorischen Spanien der Barockzeit gegeben.
Ganz anders im Islam, hier ist die „Umma”, die um den religiösen Kern des Lebens gescharte Gemeinschaft, gerade die Vereinigungsgestalt von Religionsgesetz
und sozialem Leben, der säkulare Staat bildet für den Moslem einen Widerspruch in sich. Ist es nicht, so lassen Sie uns bereits an dieser Stelle fragen, gerade diese geschlossene Einheit von Religion, Staat und Welt, die uns gegenüber dem Islam manchesmal so hilflos und ratlos macht?
Während, spätestens seit Luthers Lehre von den Zwei Reichen und seit dem Fortgang von Säkularisierung und Aufklärung, Christen ihren Ort in der nationalen und politischen Realität immer schwerer mit Kriterien religiöser Selbstverständlichkeit und glaubenden Einverständnisses bestimmen können, beschämen uns in
dieser Hinsicht die monotheistischen Bruderreligionen fast, jede in ihrer Weise.
Das, in der Zahl seiner Gläubigen, kleine Judentum, die Mutterreligion der Christen, hat sich bald zwei Jahrtausende gegen, in der Weltgeschichte einzigartige,
Feindschaft, Verfolgung und Vernichtung bewahren können, und der Islam, heute tragischerweise in schärfstem Gegensatz zu den jüdischen Brüdern und Schwestern stehend, der Islam entfaltet eine Kraft aus dem Glauben, die das Christentum seit den Kreuzzügen nicht mehr aufgebracht hat. Gewiss, im fundamentalistischen Iran beruht der Eifer vielfach auf Feindbild- und Fanatisierungsmechanismen des totalitären
Staates, aber könnte – sind wir einmal ganz ehrlich – der Einsatz der Menschen für ihren Gott und ihre Religion nicht manchen laschen Christen beschämen, manchen Geistlichen angesichts leerer Kirchenbänke neidisch machen?
Natürlich gibt es längst, besonders in den Vereinigten Staaten, fundamentalistische Eiferer christlicher Prägung, und auch einzelne Gruppen im Judentum bilden
einen radikalen, unversöhnlichen Flügel angesichts der massiven Bedrohung von aussen.
Ich meine, der Geist keiner der drei monotheistischen Bruderreligionen hat die Form des Fundamentalismus verdient, die, unter Ausserachtlassung der tiefen Gemeinsamkeiten aller Religionen, auch der Religionen Asiens, in Streit und Feindschaft die Ausgrenzung mehr als die Verständigung sucht.
Wie tragisch ist es doch, wenn die Kraft einer Religion sich im Gegeneinander zeigt und wenn die Fruchtbarkeit eines exemplarischen, religiös fundierten Lebens
dahinter zurücktritt!
Aber werden wir nicht ungerecht!
Der Fundamentalismus ist doch selbst eine Reaktion auf Gleichgültigkeit, Laschheit, Missachtung gegenüber tragenden religiösen Weisheiten und Wahrheiten.
Wer den Glaubensverbundenen eine ihren Überzeugungen immer fremdere Welt voller Kälte, Ironie und Spott gegenüber ihren religiösen Gefühlen schafft, muss sich nicht wundern, wenn die so Verletzten sich eine Gegenwelt schaffen.
Es ist deshalb zu billig, den islamischen Fundamentalismus damit abzutun, er sei eben ein Zeichen dafür, dass die Moslems, zumindest schiitischer Prägung, noch im Mittelalter stehengebüeben seien.
Haben wir denn Anlass, auf die moderne Welt, die wir geschaffen haben, in all ihrer Zwiespältigkeit so stolz zu sein?
Wenn wir heute allenthalben nach Lebenssinn, nach der inneren Mitte, nach einer organischen Welt- und Naturbeziehung suchen, wenn sich immer mehr Menschen
in Therapien, Ersatzreligionen und Drogen flüchten, kann daraus eine glaubwürdige Antwort auf die Strömungen des Fundamentalismus in den Religionen erwachsen?
Wohl kaum.
Auch wenn wir Gestalt und Taten des islamischen Fundamentalismus vielfach missbilligen und verurteilen müssen, orientieren wir uns dabei einzig am Leitbild
der Menschlichkeit und nicht an unserer ach so untadeligen Welt, und bedenken wir, dass eine dogmatische Begründung der Werte der Menschlichkeit selbst in die Irre führen muss.
Was bleibt, das sind Begegnung, Dialog, Offenheit und Respekt vor dem Anderen und seinen Überzeugungen.
Glauben wir nicht, es gebe wirklich dialogunfähige Brüder und Schwestern anderen Glaubens.
Nehmen wir einmal den Koran zur Hand – es gibt gute Übersetzungen – und lassen wir uns auf die innere Welt unserer islamischen Mitbürger ein.
Wir werden gewiss viel Fremdes, schwer Verständliches finden, und doch wird es überraschend viel Vertrautes, Verbindendes geben. Vergessen wir nie, wie schwer verständlich unsere Bibel
Und ist nicht gerade das Andere, Besondere ein Anlass zum Fragen, zum Sichversammeln um ein Stück religiöser Weisheit, die gerade in ihrer Dunkelheit und Befragbarkeit das Wichtigste schenken kann, das wir in unserer Gegenwart von ihr erwarten können, Gemeinsamkeit zu stiften, Offenheit und Lernbereitschaft zu
fördern.
Um es nochmals deutlich zu sagen, wir dürfen und wir können nicht mehr hinter unser aus dem christlichen Liebesgott und der abendländischen Tradition gewachsenes Humanitätsverständnis zurückgehen. Deshalb dürfen Intoleranz, Hass, Verfolgung und Mord in unseren Herzen keinen Platz finden.
Aber wir müssen uns auch abverlangen, zwischen Kern und Schale, zwischen dem Geist und seiner speziellen historisch bedingten Erscheinungsweise zu unterscheiden.
Hier dürfen uns die islamischen Brüder und Schwestern in unserer Mitte kein Ärgernis sein, ihre Anwesenheit muss eher Anlass zur Selbstprüfung sein, zur historisch einmaligen Chance einer Begegnung im gemeinsamen Alltagsleben.