Wollte Jesus eine eigene weltweite Kirche gründen?
Eine Untersuchung seiner Lehren und ihrer Auswirkung auf die moderne Kirche
Die Frage, ob Jesus eine neue weltweite Kirche gründen wollte, die sich von den jüdischen Wurzeln löst und eine hierarchische, mächtige Organisation wird, ist Gegenstand intensiver theologischer und historischer Diskussionen. Diese Frage berührt nicht nur die Ursprünge des Christentums, sondern auch die Entwicklung der Kirche im Laufe der Jahrhunderte. Der folgende Artikel untersucht, was für und gegen die Idee spricht, dass Jesus eine solche Kirche gründen wollte, und was dies für die heutige katholische Kirche bedeutet.
Historischer und theologischer Kontext
Jesus und das Judentum
Jüdische Wurzeln:
Jesus war ein Jude, der in einem jüdischen Kontext lehrte und predigte. Seine Botschaft war tief in der jüdischen Tradition verwurzelt und richtete sich zunächst an seine eigenen Landsleute.
Viele seiner Lehren beziehen sich auf die Tora und jüdische Schriften, und er sprach oft in Synagogen und anderen jüdischen Versammlungsorten.
Reformatorische Intention:
Jesus kritisierte häufig die religiösen Autoritäten seiner Zeit und die Art und Weise, wie das Gesetz praktiziert wurde. Seine Botschaft der Liebe, Barmherzigkeit und inneren Umkehr zielte darauf ab, den jüdischen Glauben zu erneuern und zu vertiefen, nicht notwendigerweise, ihn zu ersetzen.
Die Frage der Kirchengründung
Die Rolle der Jünger:
Jesus wählte zwölf Jünger, um seine Botschaft weiterzutragen, was einige als Hinweis auf die Gründung einer neuen Gemeinschaft sehen könnten. Diese Zahl symbolisiert die zwölf Stämme Israels und könnte als Versuch gedeutet werden, ein neues Israel zu schaffen.
Der Missionsauftrag:
Nach der Auferstehung erteilt Jesus seinen Jüngern den Auftrag, alle Nationen zu Jüngern zu machen (Matthäus 28,19-20). Dies wird oft als Hinweis auf eine universale Ausbreitung seiner Botschaft verstanden, nicht jedoch als Befehl zur Gründung einer hierarchischen Institution.
Die Entwicklung der Kirche
Entstehung der Christlichen Kirche
Frühe Christen:
Die ersten Christen betrachteten sich oft noch als Teil des Judentums und besuchten Synagogen. Die Trennung vom Judentum vollzog sich schrittweise und wurde durch historische Ereignisse wie die Zerstörung des Tempels in Jerusalem (70 n. Chr.) beschleunigt.
Institutionalisierung:
Im Laufe der Jahrhunderte entwickelte sich die christliche Kirche zu einer organisierten Institution mit einer komplexen Hierarchie, die in der katholischen Kirche ihren Ausdruck fand. Diese Struktur half, die Einheit und Lehre zu bewahren, führte aber auch zu Machtmissbrauch und Verfolgung Andersdenkender.
Zwangsmissionierung und Kreuzzüge
Missionierung:
Während der Ausbreitung des Christentums kam es in verschiedenen Epochen zu Zwangsmissionierungen, die im Widerspruch zu den Lehren Jesu stehen könnten, der Gewalt und Zwang ablehnte.
Der Satz „Gott will es“ wurde während der Kreuzzüge benutzt, um Gewalt im Namen der Religion zu rechtfertigen. Dies steht im Kontrast zu Jesu Botschaft der Liebe und Feindesliebe.
Die Kreuzzüge:
Die Kreuzzüge wurden von der Kirche als heilige Kriege dargestellt, um das Heilige Land zu befreien. Diese Ereignisse zeigen eine Instrumentalisierung der Religion zur politischen und territorialen Machterweiterung.
Was würde Jesus zur heutigen katholischen Kirche sagen?
Kritik und Reform:
Angesichts der Evangelien könnte Jesus die katholische Kirche dafür loben, das Evangelium weltweit verbreitet zu haben und karitative Werke zu leisten. Jedoch könnte er auch Kritik an Machtmissbrauch, Korruption und der Entfernung von seiner ursprünglichen Botschaft üben.
Aufruf zur Rückbesinnung:
Jesus könnte die Kirche dazu aufrufen, sich auf ihre Kernaufgaben zu besinnen: Verkündigung, Dienst an den Armen und Bedürftigen sowie Förderung von Liebe und Gerechtigkeit.
Betonung der Gemeinschaft:
Jesus betonte in seinen Lehren die Bedeutung der Gemeinschaft und der Liebe zueinander. Eine Kirche, die diese Werte in den Mittelpunkt stellt, würde seiner ursprünglichen Botschaft eher entsprechen.
Ob Jesus tatsächlich eine neue, weltweite Kirche gründen wollte, bleibt eine offene Frage. Was jedoch klar ist, ist, dass seine Botschaft von Liebe, Barmherzigkeit und persönlicher Umkehr weiterhin zentral in der christlichen Theologie steht. Die Entwicklung einer hierarchischen und mächtigen Kirche ist eine historische Folge, die sowohl positive als auch negative Aspekte mit sich bringt. Eine Rückbesinnung auf die ursprünglichen Lehren Jesu könnte dazu beitragen, die Kirche in der modernen Welt zu erneuern und zu stärken.