8,88 Euro für ein Schnitzel – und schon sind Sie ein Nazi?
Wenn der Preis zum politischen Pranger wird – der Fall der Metzgerei Barner in Halle
Ein Schnitzel, eine Zahl – ein Skandal?
In Halle (Saale) sorgt derzeit ein Vorgang für Aufsehen, der symptomatisch für eine zunehmende gesellschaftliche Schieflage steht: Eine traditionsreiche Metzgerei gerät ins Fadenkreuz medialer und politischer Aufmerksamkeit – nicht wegen Verstößen gegen Hygienevorschriften, nicht wegen Lebensmittelskandalen oder Betrug. Sondern wegen des Preises eines Schnitzels. 8,88 Euro. Diese drei Ziffern genügen offenbar, um einen Betrieb öffentlich zu verdächtigen, rechtsextreme Botschaften zu verbreiten.
Denn: In bestimmten Kreisen gilt „88“ als Chiffre für „Heil Hitler“, da der achte Buchstabe des Alphabets das „H“ ist. Diese Lesart stammt aus der Neonazi-Szene – und ist außerhalb davon kaum geläufig. Für die meisten Menschen ist „88“ schlicht eine Zahl. Ein Geburtsjahrgang vielleicht. Oder eben ein Angebotspreis für ein paniertes Stück Fleisch mit Beilage. Und doch hat ein Artikel der Mitteldeutschen Zeitung, ausgelöst durch Hinweise aus linken Netzwerken, den Stein ins Rollen gebracht.
Verdacht ohne Grundlage – aber mit Wirkung
Die Zeitung schrieb, dass der Preis „viele Fragen aufwerfe“ und fragte bei der Metzgerei Barner „nach“. Allein durch diesen Akt des journalistischen „Hinsehens“ wurde ein Zusammenhang konstruiert, der geeignet ist, einen über Jahrzehnte aufgebauten Betrieb ins Zwielicht zu rücken. Kein Beweis, kein Motiv, kein Zusammenhang – nur eine Zahl und ein diffuses Gefühl, das offenbar reicht, um eine Nazi-Vermutung öffentlich zu machen.
Ein Leser brachte es in einem Brief auf den Punkt:
„Ein Journalist hat auf die Vermutung von Leuten aus dem linken Spektrum einen Artikel verfasst, der aus der Luft heraus das Potential hat, einen seit den 70er-Jahren existierenden Familienbetrieb samt Mitarbeitern zu zerstören. (…) Er beschäftigt Syrer, bildet vier Vietnamesinnen aus und unterstützt soziale Projekte.“
Symbolhysterie statt Realitätssinn
Was wir hier erleben, ist kein Einzelfall. Es ist Teil eines besorgniserregenden Trends. Immer häufiger werden Menschen und Institutionen nicht mehr für ihr Handeln, sondern für mutmaßlich symbolhafte Details an den Pranger gestellt. 2019 wurde ein Karussell in einem Freizeitpark beschuldigt, aus der Luft wie ein Hakenkreuz auszusehen – mit der Folge, dass es geschlossen wurde. 2022 wurde die Trikotnummer 44 bei der Fußball-WM aus dem Sortiment genommen, weil jemand meinte, die Ziffern erinnerten an SS-Runen.
Was bleibt, ist ein Klima der Angst. Der Angst davor, falsch interpretiert zu werden. Der Angst, dass das eigene Tun, Denken oder sogar die Preisgestaltung durch eine ideologisch aufgeladene Brille gelesen wird – und zur moralischen Verurteilung führt.
Wenn der Pranger zum Alltag wird
Die Metzgerei Barner hat inzwischen den Preis auf 8,89 Euro erhöht. Nicht, weil sich die Kalkulation verändert hätte – sondern aus Schutz vor weiterer Denunziation. Das ist mehr als traurig. Es ist bezeichnend für eine Zeit, in der der öffentliche Pranger wiederauferstanden ist – nur diesmal mit Hashtags, Screenshots und Artikeln, die Empörung statt Aufklärung bedienen.
Es ist eine neue Form der Hexenjagd. Nur dass heute keine vermeintlichen Zauberinnen verfolgt werden – sondern Unternehmer, Lehrer, Künstler, Sportler, Bürger. Wer nicht in das Weltbild eines bestimmten Lagers passt oder zufällig ein „verdächtiges“ Zeichen sendet, wird zum Fall.
Das Ende der Aufklärung?
Der Umgang mit der Metzgerei Barner zeigt, wie weit wir uns von den Prinzipien eines rationalen, aufklärerischen Diskurses entfernt haben. Statt Fragen zu stellen, wird verdächtigt. Statt zu prüfen, wird markiert. Statt zu differenzieren, wird pauschalisiert.
Wenn eine Zahl reicht, um jemanden zum Nazi zu machen, dann ist es nicht mehr der Rechtsextremismus, der die größere Gefahr für die freiheitliche Gesellschaft darstellt – sondern ein ideologisch aufgeladener Zeitgeist, der mit Denunziation, Alarmismus und moralischem Hochmut arbeitet.
Das gefährdet nicht nur einzelne Existenzen. Es zerstört das Vertrauen in den öffentlichen Diskurs, in Medien, in Meinungsfreiheit und in die Idee einer offenen Gesellschaft.
Fazit:
Ein Schnitzel für 8,88 Euro ist kein politisches Statement. Es ist ein Mittagessen. Wer mehr darin sehen will, sollte nicht beim Metzger nachfragen – sondern bei sich selbst.