Ein Lichtstrahl in Auschwitz
Die Entscheidung der Ottla Kafka
Am 7. Oktober 1943, im Vernichtungslager Auschwitz, geschah etwas, das mitten im Grauen der Geschichte fast unvorstellbar bleibt. Dort, wo der Tod zur täglichen Ordnung erhoben war, entzündete sich für einen Augenblick eine Flamme des Mutes und der Liebe – durch die Entscheidung einer Frau, die nicht zu den Kindern gehörte, die für den Transport bestimmt waren.
Ottla Kafka, die Schwester des Schriftstellers Franz Kafka, hatte von Theresienstadt aus ein anderes Schicksal vor sich. Doch als sie sah, dass eine Gruppe von Kindern zur Deportation vorgesehen war, handelte sie in einer Weise, die bis heute über das bloße Geschehen hinausstrahlt. Sie meldete sich freiwillig, um diese Kinder zu begleiten. Niemand zwang sie. Niemand forderte es. Sie tat es aus freiem Willen – im klaren Bewusstsein, dass dies den sicheren Tod bedeutete.
In Auschwitz gab es kein Erbarmen. Ein einziger Befehl genügte, und Ottla, wie auch die Kinder, wurden ohne Aufschub in die Gaskammer geschickt. Dort endete ihre irdische Reise. Doch das, was sie tat, ist nicht ausgelöscht.
Sie konnte das Schicksal der Kinder nicht wenden, sie konnte die mörderische Maschinerie nicht aufhalten. Aber sie konnte Mensch sein – und menschlich bleiben. Sie konnte die Angst lindern, Wärme schenken, ein Herz neben den Herzen jener Kinder schlagen lassen. Im Angesicht des Unmenschlichen entschied sie sich für das Größte, was ein Mensch geben kann: Trost, Nähe, Liebe – bis zuletzt.
So wurde Ottla Kafka zu einem Symbol, das weit über den Ort und die Zeit hinausweist. In einem Raum, der jede Menschlichkeit zerstören sollte, lebte sie Menschlichkeit. Sie schenkte den Kindern nicht Rettung, aber sie schenkte ihnen Würde. Sie veränderte nicht den Lauf der Geschichte, aber sie setzte in die Geschichte einen unauslöschlichen Punkt des Mitgefühls.
Für uns Tempelritter ist dieses Zeugnis nicht bloß Erinnerung, sondern Mahnung. Denn was Ottla tat, war ein ritterlicher Akt im tiefsten Sinne – ein Akt selbstloser Hingabe, geboren aus Liebe, nicht aus Pflicht. Rittertum zeigt sich nicht allein in Kämpfen, nicht allein in großen Taten auf offenem Feld. Es zeigt sich in der Entscheidung, den Schwächsten beizustehen, auch wenn der Preis das eigene Leben ist.
Ottla Kafka, ohne Schwert, ohne Rang, ohne äußere Macht, hat mit ihrer Tat ein Banner aufgerichtet, das uns noch heute leuchtet: das Banner des Mutes, des Mitgefühls, der Treue zu den Schwächsten.
Mögen wir aus dieser Geschichte die Kraft schöpfen, in unserer Zeit nicht zu schweigen, wo Liebe gefordert ist. Mögen wir lernen, dass wahres Rittertum dort beginnt, wo wir den Schwächsten nicht allein lassen – auch wenn uns dies selbst etwas kostet.
So bleibt Ottla Kafka ein stilles, doch gewaltiges Beispiel: ein Lichtstrahl in der tiefsten Finsternis des 20. Jahrhunderts.
