Ein Selfie mit dem toten Papst
Zeichen der Zeit oder pietätlose Grenzüberschreitung?
Als Papst Franziskus – einer der prägendsten Pontifikate unserer Zeit – im Petersdom zur letzten Ehre aufgebahrt wurde, versammelten sich Tausende Gläubige und Neugierige, um Abschied zu nehmen. Die Stille der Andacht, das Flackern der Kerzen und die schwere Atmosphäre des Moments standen jedoch in einem merkwürdigen Kontrast zu dem, was sich dazwischen abspielte: Menschen zückten ihre Smartphones. Sie fotografierten den Leichnam. Einige hielten ihre Gesichter neben den verstorbenen Papst und machten: ein Selfie.
Sakrales Selfie – erlaubt oder entgleist?
Es ist ein Bild, das polarisiert. Für manche ist es ein moderner Ausdruck der Trauer – eine letzte persönliche Erinnerung. Für andere ist es ein respektloser, narzisstischer Akt in einem Moment, der eigentlich von Würde und Stille geprägt sein sollte.
Die Kirche selbst hat bislang zurückhaltend reagiert, doch unter Gläubigen, in sozialen Netzwerken und Feuilletons flammt eine Debatte auf: Ist ein Selfie mit einem Toten – noch dazu mit dem Heiligen Vater – ein Ausdruck der Gegenwartskultur? Oder einfach nur geschmacklos?
Die Macht der Inszenierung
Wir leben in einer Welt der Selbstdarstellung. Was nicht dokumentiert wird, scheint nicht wirklich stattgefunden zu haben. Social Media hat unser Verhältnis zu Tod, Trauer und Privatsphäre tiefgreifend verändert. Früher schrieb man Beileidskarten. Heute postet man Trauer auf Instagram – mit Schwarzweißfilter und Hashtag.
Doch wie weit darf diese Inszenierung gehen? Darf der Tod eines Papstes zur Kulisse für ein persönliches Andenken werden, das womöglich gar nicht für das eigene Herz, sondern für Follower bestimmt ist?
Bin ich einfach nur zu alt geworden?
Diese Frage mag sich mancher still stellen, wenn er die Bilder sieht. Wer mit Stille, Kerzenlicht und ehrfürchtigem Schweigen aufgewachsen ist, empfindet das Zücken eines Handys vor einem Leichnam womöglich als Verirrung. Aber ist das nur ein Generationskonflikt?
Möglicherweise. Vielleicht aber ist es mehr: ein Hinweis darauf, dass wir als Gesellschaft die Fähigkeit verlieren, einfach nur da zu sein – ohne Kamera, ohne Spiegelung, ohne Bühne.
Würde kennt keine Likes
Der Tod ist eine der letzten Erfahrungen, die sich nicht beschleunigen oder inszenieren lässt. Er verlangt Respekt – nicht nur vor dem Verstorbenen, sondern auch vor den Trauernden und vor dem Raum der Stille. Wer ein Selfie mit einem toten Papst macht, hat möglicherweise nicht „böse“ gehandelt, aber etwas Wesentliches übersehen: Dass es im Leben – und im Tod – Momente gibt, die uns übersteigen. Und denen wir uns ohne Linse nähern sollten.
Fazit
Ein Selfie mit dem toten Papst ist keine Frage des Alters. Es ist eine Frage der Haltung. In einer Zeit, in der alles dokumentiert wird, braucht es umso mehr Mut, nicht zu fotografieren – sondern einfach nur da zu sein.