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Erziehung: Ein lebenslanger Prozess des Wachsens

In den letzten Tagen habe ich Sie auf eine Reise durch das Thema des Erwachsenwerdens eines Kindes mitgenommen. Ein so komplexes und facettenreiches Thema, dass es noch lange nicht erschöpft ist. Zum Abschluss möchte ich einige lose Gedanken aus meinen Notizen mit Ihnen teilen – kleine Reflexionen über Erziehung, die mich im Laufe der Jahre begleitet haben.

Was bedeutet Erwachsensein?
Ist Erwachsensein wirklich der Endpunkt eines Entwicklungsprozesses? Oder sollte es nicht eher so sein, dass wir ein Leben lang wachsen, lernen und uns weiterentwickeln? Das Wort Erwachsensein suggeriert einen abgeschlossenen Zustand, etwas, das erreicht wurde. Doch wäre es nicht viel schöner, das Leben als einen nie endenden Wachstumsprozess zu begreifen? Kinder überschreiten oft Grenzen – das ist Teil ihres Wachstums. Eltern hingegen müssen Grenzen setzen, um den Raum für dieses Wachstum zu schaffen. Doch auch wir Erwachsenen sollten uns die Freiheit geben, weiter zu wachsen und zu lernen, anstatt in starren Rollenbildern oder Erwartungen zu verharren.

Der ungute Satz: „Jetzt reiß dich mal zusammen!“
Ein Satz, den ich Kindern gerne ersparen würde, ist der allzu oft gebrauchte: „Jetzt reiß dich mal zusammen!“ Natürlich braucht es in der Erziehung Disziplin und eine respektvolle Haltung. Aber bei dieser Aufforderung sehe ich bildlich vor mir, wie im Inneren des Kindes an etwas gezerrt wird, vielleicht an seinen Nervenbahnen, seiner Seele oder seinem Selbstbewusstsein. Dieses ruckartige „Reißen“ hinterlässt oft Spuren – eine Zerrung, eine Verspannung, die langfristig Schaden anrichten kann. Wie anders wäre es, wenn wir statt zu fordern, dass Kinder sich „zusammenreißen“, nach Wegen suchen, ihre Emotionen zu verstehen und in Worte zu fassen. Was könnte man stattdessen sagen? Vielleicht einfach: „Ich sehe, dass es dir gerade schwerfällt. Was brauchst du?“ Das öffnet einen Raum für Verständnis und Dialog, anstatt das Kind unter Druck zu setzen.

Freundlichkeit als Grundlage der Erziehung
Schlechtgelaunten Teenagern oder anderen ruppigen Weggefährten gegenüber kann man den Dalai Lama zitieren: „Sei freundlich, wann immer es möglich ist. Es ist immer möglich.“ Diese einfache Weisheit hat mich oft daran erinnert, dass Freundlichkeit eine Kraft besitzt, die oft unterschätzt wird – gerade in der Erziehung. Es geht nicht nur darum, Kindern Freundlichkeit zu lehren, sondern auch darum, als Eltern und Erziehende Freundlichkeit zu leben, selbst in den schwierigsten Momenten. Freundlichkeit erzeugt Vertrauen, und Vertrauen ist die Grundlage einer gesunden Erziehung.

Vertrauen und die Macht des Vorbilds
Ein guter Lehrer bleibt ein guter Lehrer. In meiner eigenen Schulzeit war ich bis zur Matura eher rebellisch und hatte oft schlechte Noten. Doch ich hatte das Glück, in der Oberstufe auf zwei Lehrer zu treffen, die mich verstanden und mir Vertrauen entgegenbrachten. Diese Lehrer haben nicht nur mein Wissen erweitert, sondern mich als Mensch ernst genommen – und das machte einen riesigen Unterschied. Vertrauen und Interesse sind in der Erziehung und Bildung essenziell. Als ich einen dieser Lehrer nach 30 Jahren wiedersah, war es, als hätte sich nichts verändert. Der Vertrauensvorschuss, den er mir damals gab, war immer noch spürbar, und unsere Augenhöhe war unverändert.

Dieses Vertrauen ist etwas, das Kinder und Jugendliche ein Leben lang prägt. Wenn Erziehende – seien es Eltern, Lehrer oder andere Bezugspersonen – den Kindern echtes Interesse und Vertrauen entgegenbringen, ist das ein Geschenk fürs Leben. Es gibt ihnen die Sicherheit, dass sie gesehen und verstanden werden, selbst wenn sie Fehler machen oder schwierige Phasen durchlaufen.

Erziehung als gemeinsames Wachsen
Erziehung ist ein Balanceakt zwischen Geben und Nehmen, zwischen Grenzen setzen und Freiraum lassen, zwischen Fordern und Fördern. Und sie ist kein Einbahnprozess: Auch wir als Erwachsene lernen ständig dazu. Vielleicht ist es das, was Erziehung im Kern ausmacht – das gegenseitige Wachsen, das gemeinsame Lernen und die Fähigkeit, sich immer wieder neu aufeinander einzulassen. Kinder verändern uns, ebenso wie wir sie verändern. Sie halten uns einen Spiegel vor, durch den wir nicht nur ihre, sondern auch unsere eigenen Grenzen und Möglichkeiten erkennen.

Die Frage ist nicht, wie wir unsere Kinder perfekt erziehen, sondern wie wir ihnen den Raum geben, sich selbst zu entdecken und zu entfalten – mit all ihren Stärken und Schwächen. Und genauso müssen auch wir uns erlauben, nicht perfekt zu sein, sondern uns gemeinsam mit ihnen auf das Abenteuer des Lebens einzulassen.

Ein Fazit: Erziehung ist Beziehung
Am Ende lässt sich Erziehung auf ein Wort reduzieren: Beziehung. Die Beziehung, die wir zu unseren Kindern aufbauen, ist die Basis für alles andere. Sie ist geprägt von Vertrauen, Respekt und dem Wunsch, dass das Kind sich entfalten kann. Diese Beziehung ist dynamisch, sie verändert sich mit der Zeit, und sie verlangt von uns, dass wir flexibel bleiben, dass wir zuhören und lernen.

Das vielleicht Wichtigste, was wir unseren Kindern mit auf den Weg geben können, ist die Fähigkeit, sich selbst zu vertrauen und mit Offenheit und Neugier durchs Leben zu gehen. Das gelingt am besten, wenn wir ihnen das Vorbild sind, das wir uns selbst gewünscht hätten – voller Geduld, Freundlichkeit und dem Mut, immer wieder neu zu wachsen.

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