✠ ASTO-Blog ✠

Herzog von Berry Stundenbuch

SEPTEMBER

Wie schon erwähnt, hinderte ein widriges Geschick die Brüder
Limburg daran, ihr unvergleichliches Werk zu vollenden. Das
Kalenderblatt des Monats September stammt wohl im Entwurf,
in der Vorzeichnung und im fertig gemalten Teil des Hintergrundes
von ihrer Hand; die Darstellung des Weinberges hingegen,
mit all den Winzern, Maultieren und Ochsenkarren, hat
erst annähernd siebzig Jahre später ein anderer Künstler gemalt.
Wie so oft im Leben kann man aber auch hier dem Übel eine gute
Seite abgewinnen; ist es doch, als würde uns durch die Gegenüberstellung
der beiden Malweisen die unübertreffliche Leistung
der Limburgs in ihrem vollen Ausmass bewusst. Der
Unterschied in der künstlerischen Ausführung ist auch allzu
krass. Paul von Limburg besass jene begnadete Gabe, die Dinge
dieser Welt nicht bloss zu malen, sondern sie schöpferisch stets
aufs neue erstehen zu lassen. Seine künstlerische Handschrift
bleibt im Feinsten noch klar und deutlich; sie fasst die reichste
Vielfalt zur lebendigen Einheit zusammen und wird im leuchtendsten
Glanz ihres farbigen Ausdruckes niemals grell. Der
Künstler, der die Weinlese gemalt hat, ist sicherlich kein Stümper,
aber seinem Pinsel fehlt die Zartheit, seinem Geist jenes
Schöpferische, das Himmel und Erde miteinander verbindet;
sein Blick erhascht das Grelle, und je kleiner die Dinge werden,
die er zu malen hat, um so weniger genau nimmt er es mit der
Wiedergabe. Paul von Limburg hätte beispielsweise die rebengefüllten
Körbe so gemalt, dass man die einzelnen Trauben unterscheiden
könnte, der Maler, der diesen Bildteil ausführte, fühlte
sich kaum bemüssigt, uns das Wachstum der Weinstöcke, ihre
vegetative Ausbreitung im Gerank von Zweigen und Blättern
zu veranschaulichen. Das Schloss hingegen ist ein Juwel der
Architekturmalerei. Jede Kleinigkeit verrät das Genie Paul von
Limburgs. Ein kristallines Gebilde von Türmen, Mauern, Dächern
und Spitzen taucht in das Blau des Himmels. Unübersehbar
scheint das Gewirr der Kamine, Zinnen, Windfahnen und sonstiger
Zieraten zu sein, und doch bannt ein souveräner Geist
diese hundertfältigen Erscheinungen in das einzige Bild einer
festgefügten Ordnung. Ein solches Schöpfertum beglückt unsere
Sinne. Dieses Schloss ist Saumur, steht also in einer Gegend, wo
noch heutzutage ein bekannt guter Wein gedeiht.

Schreibe einen Kommentar