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Herzog von Berry Stundenbuch

NOVEMBER:

Diese zum Schicksalsblatt gewordene Miniatur lenkt unsere
Gedanken auf jenes, für den künstlerischen Werdegang des
Stundenbuches so einschneidende Ereignis, auf den Tod des
hohen Auftraggebers. Als der Herzog von Berry 1416 starb, war
es fast leer. Nur die halbkreisförmige Überhöhung, die symbolhafte
Darstellung des Himmelsgewölbes mit dem Sonnenwagen
und den Tierkreiszeichen, war noch von den Limburgs verfertigt
worden. Man hat wiederholt herumgerätselt, welches Sujet wohl
für die Novemberminiatur geplant gewesen war, und glaubte
mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit annehmen zu dürfen,
sie hätte der Abbildung des Hotel de Nesles dienen sollen, jenes
bedeutenden herzoglichen Wohnsitzes, der in der Bilderfolge
noch fehlte. Lange nachher war es dem recht tüchtigen, aber keineswegs
genialen Jean Colombe vorbehalten, das Wunderwerk der
«Tr&s riches heures» zu vervollständigen. Aus Dokumenten
wissen wir, dass dies in den Jahren 1485 bis i486, und zwar im
Auftrage Karls I . von Savoyen, geschah. Jean Colombe sparte
weder Mühe noch Fleiss, seiner Arbeit jenen Wert zu verleihen,
der nötig war, um neben der Leistung der Limburgs bestehen zu
können. Aber vieles war inzwischen anders geworden, es fehlte
jedwede Voraussetzung, um diese erhabene Bildschrift im ursprünglichen
Geiste und Sinne weiterzuführen, und so wurde die
Illustration des spätherbstlichen Monats zugleich zu einem Symbol:
Mit der erschlaffenden Kraft der Jahreszeit senkte auch der
Genius, der dieses Werk behütete, müde die Schwingen. Es ist
November. Ein Schweinehirt schleudert einen Prügel in das
Geäst der Eichen und schlägt die Eicheln herab. Bieder in der
Art und in der Darstellung ist der Hund, der wachsamen Blikkes
die Herde beobachtet. Etwas derb und nicht weniger bieder
wirkt sein Herr, der allerdings nicht ohne Schwung gemalt wurde.
Merkwürdig ist die ornamentale Struktur des Pinsels, die das Gras
der Wiesen nicht anders wie die Borsten der Schweine behandelt.
Obgleich auch noch den Farben jene leuchtende Transparenz
fehlt, die uns an den Miniaturen der Brüder Limburg so entzückt,
und der Entwurf die Tiefen der Weltschau vermissen lässt,
haben wir doch ein gelungenes Bild vor uns. Es ist nur das künstlerische
Schicksal Jean Colombes, seine Arbeiten in die Reihe
jener unerreichbaren Meisterwerke gefügt zu haben.

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