Staat gegen Gefühl – Das Ende der inneren Freiheit
Hausdurchsuchungen wegen Hass – Willkommen im Gesinnungsstaat
Es galt einmal als allgemeiner Konsens in allen Demokratien und Rechtsstaaten, dass die Gefühle der Bürger den Staat nichts angehen – und zwar überhaupt nichts. 35 Jahre nach der Wiedervereinigung ist dieser Grundkonsens völlig zerstört. Die Denkweise, die sich heute durchsetzt, erinnert mehr an die der ehemaligen DDR. Zwar muss man hinzufügen, dass selbst die DDR nach den totalitären Anfangsjahren in der Regel nur dann an den Gefühlen ihrer Bürger interessiert war, wenn diese sich offen gegen den Staat richteten. Heute aber genügt es oft schon, einen falschen Ton im Netz zu äußern – und der Staat steht vor der Tür.
Der heutige Staat geht noch weiter. Er möchte nicht nur wissen, was Sie denken, sondern auch, wie Sie fühlen. Genauer gesagt: Ob Sie zu sehr hassen. Denn dann rückt die Polizei an – mit einer Hausdurchsuchung. Um sechs Uhr morgens.
Am Dienstag durchsuchte die Polizei im Rahmen eines „Aktionstags gegen Hass“ über 170 Wohnungen in ganz Deutschland. Der Vorwurf: Hasspostings. Nicht Gewalt. Nicht Terror. Nicht Morddrohungen. Sondern: Gefühle.
Natürlich heißt es offiziell anders. Es gehe angeblich um Volksverhetzung, Beleidigung, um digitale Brandstiftung. Aber wer sich die tatsächlich veröffentlichten Inhalte anschaut, erkennt schnell: Hier wird nicht gegen Täter ermittelt, sondern gegen eine Stimmung.
Welche Sätze genau die Auslöser für die Einsätze waren, ist nicht bekannt – öffentlich werden nur besonders extreme Beispiele genannt. Aber wir können logisch schlussfolgern: In der Vergangenheit reichte es bereits aus, so etwas zu sagen wie: „Merkel gehört vor ein Tribunal.“ Keine Gewaltandrohung, kein Aufruf zur Tat – und doch Anlass für staatsanwaltliches Interesse.
Solche Formulierungen sind zugespitzt, polemisch, ja, wer will, darf sie auch als geschmacklos bezeichnen – aber sie fallen auch unter das Recht auf freie Meinungsäußerung. Zumindest war das früher so. Heute genügt es oft schon, einen falschen Ton zu treffen, einen emotionalen Ausbruch zu äußern, ein bisschen zu viel Wut zu zeigen – und die Schwelle zur sogenannten „Hasskriminalität“ ist überschritten.
In einer gesunden Demokratie würde man solche Sätze mit Argumenten entgegnen. Oder mit Spott. Oder mit Verachtung. Aber nicht mit Polizei. Nicht mit dem BKA. Nicht mit Hausdurchsuchungen, weil jemand „falsch fühlt“.
Das BKA sieht das anders. Es verzeichnete 2024 über 10.000 Fälle von „Hasspostings“. Ein Anstieg um 34 Prozent! Die Ermittlungsansätze werden immer präziser, der Filter für das „Falsche“ immer feiner.
So entsteht ein Klima der Angst, das man aus Diktaturen kennt – in dem sich immer mehr Menschen nicht mehr trauen, ihre Meinung zu äußern – obwohl genau das der Wesenskern einer freiheitlichen Demokratie ist.
Gerade diejenigen, die sich als vermeintlich „bürgerlich“ und konservativ verstehen, wie der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul, wirken als willige Vollstrecker dieses rot-grünen Kulturkampfes. Der vermeintlich bürgerliche Politiker nennt die Betroffenen „digitale Brandstifter“. Ein Begriff, der alles sagen kann – und zugleich nichts bedeutet. Denn Worte brennen nicht. Gefühle sind kein Sprengstoff. Gedanken keine Brandsätze.
Was man früher unter „Volksverhetzung“ verstand? Hetze in Fußballstadien, Fackelaufmärsche, Mordaufrufe auf Flugblättern. Heute reicht ein geschmackloser Kommentar auf X (ehemals Twitter), um unter Verdacht zu geraten.
Und so landen wir wieder bei der DDR. Auch dort konnte ein falscher Satz ausreichen, um den Staat auf den Plan zu rufen. Doch damals sprach man nicht von „Hasskriminalität“. Man war ehrlicher: Es ging um Staatsfeindlichkeit. Heute gibt man sich moralischer.
Noch absurder wird die Situation, wenn man sich vor Augen führt, dass an anderer Stelle die Justiz kaum noch funktioniert, wenn es um echte Straftäter geht. Während hunderte Beamte für Online-Kommentare mobilisiert werden, kommen verurteilte Mörder und Kinderschänder frei, weil Fristen versäumt wurden, Protokolle fehlen oder Verfahren verschleppt werden (siehe auch meinen aktuellen Artikel hierzu). Der Staat ist auf dem einen Auge überempfindlich – dem, mit dem er auf die Gesinnung seiner Bürger schaut. Und auf dem anderen Auge ist er blind – dem, mit dem er auf echte Kriminelle blickt. Vor allem, wenn diese einen bestimmten Hintergrund haben.
Doch das Ergebnis ist dasselbe: Die Meinung zählt nicht mehr – sondern ihre Gesinnung.
Vielleicht passt es da nur allzu gut, dass der „Aktionstag“ genau an George Orwells Geburtstag stattfand – jener Orwell, der in seinem Roman 1984 einst vor einem totalitären Überwachungsstaat warnte. Heute wird Orwell von den selben Institutionen zitiert, die Meinung überwachen, Gefühle bestrafen und Dissens kriminalisieren. Aus einer Warnung wurde eine Gebrauchsanweisung.