⚔️ Gedanken am 24. Mai
Die Welt ins Dasein schauen – Dankbarkeit als schöpferischer Akt
Das griechisch-orthodoxe Christentum ist eine der reichsten spirituellen Traditionen Europas. In seinem Herzen lebt ein tiefer Sinn für Ehrfurcht, Schönheit und Dankbarkeit. Der Mensch ist darin kein bloßes Geschöpf, sondern ein Mittler zwischen Schöpfer und Schöpfung – ein lebendiger Spiegel, der das göttliche Licht aufnimmt und zurückstrahlt.
Die östlich-orthodoxe Sicht auf das Dasein ist geprägt von einer feinfühligen Wahrnehmung der Welt als heiliger Raum, erfüllt von Gottes Gegenwart. In der Ikone, im Licht der Kerze, im Duft des Weihrauchs, in der Tiefe des Gebets wird erlebbar:
Dankbarkeit ist nicht Reaktion – sie ist schöpferische Teilhabe.
Beobachter und Wirklichkeit – Ein geistiges Paradox
Diese Haltung erinnert an ein faszinierendes Phänomen der modernen Physik: das quantenmechanische Beobachterparadoxon. Es besagt, dass ein Ereignis – zum Beispiel das Umfallen eines Baumes im Wald – nicht eindeutig bestimmt werden kann, wenn kein Beobachter zugegen ist.
Ist etwas wirklich geschehen, wenn niemand es wahrgenommen hat?
Die Quantenphysik zeigt: Beobachter und Beobachtetes sind untrennbar verbunden.
Wirklichkeit entsteht erst durch Beziehung – durch das bewusste, fühlende, mit Sinn erfüllte Wahrnehmen.
Was die Physik andeutet, lehrt die griechisch-orthodoxe Mystik seit Jahrhunderten:
Der Mensch ist nicht passiver Zuschauer, sondern Mitschöpfer.
Indem wir schauen, lieben, staunen und danken, helfen wir mit, die Welt ins Dasein zu rufen.
Tempelarbeit: Dankbarkeit als Welterschaffung
Göttliche Geliebte, lasse mich Deine Augen und Ohren sein, Deine sanfte Berührung, Deine Emotionen.
Indem ich klar sehe,
indem ich tief empfinde,
indem ich achtsam in das Leben eintauche,
verspüre ich Dankbarkeit und Freude.
Indem ich Deine Werke bewundere und voller Dankbarkeit betrachte,
helfe ich, sie ins Dasein zu überführen –
nicht mit Macht, sondern mit liebevoller Gegenwärtigkeit.
Kontemplative Übung: Den Himmel fühlen
-
Zentriere dich um deinen Atem.
Atme langsam ein – und sanft aus.
Lass den Lärm der Gedanken abklingen, wie sich aufgewühltes Wasser glättet. -
Werde still.
Es gibt nichts zu erreichen.
Du bist einfach da – wie ein klarer, unbestechlicher Spiegel. -
Blicke in den Himmel.
Ob blau oder bewölkt, ob bei Tag oder in der Nacht:
Lass deine Augen nicht nur sehen – fühle.
Spüre die Weite. Die Farben. Die Tiefe. Die Bewegung.
Lass dich berühren von der unaussprechlichen Schönheit, die sich dir zeigt.
Bleibe in dieser Haltung, bis du merkst:
Du bist mit dem Himmel verbunden – nicht als Beobachter, sondern als Teilhaber.
Dein stilles Staunen, deine Dankbarkeit sind eine Form des Gebets.
Und dieses Gebet lässt die Welt lebendig sein.
Fazit: Dasein als geistiger Dienst
Die griechisch-orthodoxe Tradition hat uns einen Schatz hinterlassen: das Wissen darum, dass Wahrnehmung ein heiliger Akt ist. Dass der Mensch durch sein liebevolles Erkennen Gott widerspiegelt – und dadurch die Schöpfung ehrt, stärkt und mitgestaltet.
Wenn du heute durch die Welt gehst – sei wie ein stiller Spiegel.
Sieh, fühle, danke.
Und werde dir bewusst: Du hilfst mit, dass die Welt ist.