Der Wert eines Templer-Rituals
Der Wert eines Templer-Rituals
Ob wir es erkennen oder nicht, Ritual ist ein konstanter Faktor in unserem Leben. Betrachten wir nur das jährliche „Programm” vom Aufgang und Niedergang der Sonne, und unseren eigenen persönlichen Rhythmus von Aufwachen, Arbeiten in einer mehr oder weniger geordneten Reihenfolge und Schlafen.
Für manche ist das Wort „Ritual” gleichbedeutend mit Langeweile, mit unbedeutsamen Zeremonien oder mit eintönigen Routinetätigkeiten, die man durchstehen muß, die aber nicht notwendigerweise fröhlich ausgeführt werden. Was wir für Ritual halten kann diese Nebenbedeutungen haben, wenn wir es so wollen. Wenn wir das aber tun und dabei verfehlen, das Ritual in seinem wahren Licht zu betrachten als ein geistiges Werkzeug, untergraben wir eine wertvolle Kraft für unseren eigenen Fortschritt.
Geistige Lehren sagen uns, daß die Wiederholung ein wesentlicher Faktor für die Entwicklung und Vergeistigung des Lebensleibes ist. Das Schlüsselwort des Lebensleibes ist Wiederholung. Das ist leicht einzusehen, wenn wir in Betracht ziehen, daß der Lebensleib zwar die Kraft hat, den physischen Körper zu bewegen, aber solche Bewegungen sich nur aus wiederholten Impulsen derselben Art ergeben. Der Lebensleib muß lernen, die Bewegungen des physischen Körpers mit dem Willen des Geistes zu koordinieren.
Das Kind kann noch nicht vollkommen gehen nach seinen ersten Gehversuchen, auch der geschickte Musiker kann sein Instrument nicht vollkommen spielen nach der ersten Lektion. Wiederholung ist nötig, bevor die Füße oder Finger so bewegt werden können, wie der Geist es will.
Die okkulten Schulen aller Jahrhunderte haben sich an die Veränderung des Lebensleibes gewendet, indem sie mit dessen Grundton, der Wiederholung, arbeiteten.
Es gibt Menschen, die beklagen, daß ein formalisierter, ständig wiederholter Aufbau irgendeines Anbetungsdienst es monoton ist, daß das Hören oder Sprechen von immer wieder denselben Dingen die Teilnehmer nicht anregt. Diese verstehen aber nicht, daß es der Begierdenleib ist – den wir als unser emotionales Wesen spüren, der immer nach etwas Neuem sucht. Das unbeständige Begierdenwesen wird leicht ins Schwanken gebracht, von einer Emotion nach der anderen
ergriffen, und das wirkt möglicherweise zerstörend, wenn es unkontrolliert geschieht.
Gottesdienste, in denen flammende und hypnotische Reden oder andere Appelle an die Sinne und das Gefühl den Platz von wohlgesetzten liturgischen Formen einnehmen, sind besonders anziehend für das Begierdenwesen der Gottesdienstteilnehmer. Diese reagieren auf den Emotionsgehalt des Gottesdienstes und werden augenblicklich fortgerissen zu etwas, was sie für die Flügel religiöser Begeisterung und Inbrunst halten. Die Wirkung ist jedoch bloß vorübergehend, und der nächste Appell an ihr Gefühlswesen wird den Zustand der Hingabe durch gänzlich andere Gefühle ersetzen. So hat der nichtrituelle Gottesdienst bei all seiner Neuheit und Andersartigkeit keine dauerhafte Wirkung auf die Teilnehmer.
Die wiederholte Wirkung der rituellen Form eines Gottesdienstes, die an dem stabileren Lebensleib wirkt, ist dauerhaft. auch wenn sie auf den Beter nicht einen so dramatischen äußeren Eindruck macht.
Im atlantischen Mysterientempel, bekannt als die Stiftshütte in der Wüste, wurden gewisse Rituale beachtet, die von dem göttlichen Wesen vorgeschrieben worden waren, das damals der geistige Lehrer war. Gewisse Riten wurden an Wochentagen ausgeführt, andere am Sabbat und wieder andere zu Zeiten des Neumondes, Vollmondes, der Sonnenwenden und Tagund-Nacht-Gleichen. Kein Priester oder sonstiger Funktionär der Stiftshütte durfte von diesen fest eingesetzten rituellen Formen abweichen; ein Verstoß stand unter Todesstrafe. Andere alte Völker wie die Hindus, Chaldäer und Ägypter verwendeten ebenfalls göttlich verordnete Rituale in ihren Gottesdiensten.
Die Kapellen- und Tempeldienste der Templer sind auch nach ritualistischen Gesichtspunkten organisiert.
Auch hier werden ganz bestimmte Formen des frommen Bemühens eingehalten, während der täglichen Riten, während der Sonntagsfeiern und während der besonderen Mond- und Sonnendienste; zusätzlich wird einmal wöchentlich ein vorgeschriebener Heilungsdienst durchgeführt, wenn der Mond in einem Kardinalzeichen ist.
Die Enthüllung des Emblems der Templer ist ein Hauptteil des sonntäglichen Kapellen- und Tempeldienstes am Hochsitz gewesen von Anbeginn seines Bestehens.
Das wiederholte Lesen des Tempeldienstes, der auch am Sonntagmorgen in der Kapelle gelesen wird während das Emblem enthüllt und beleuchtet wird, hat eine tiefe, geistige Bedeutung. Dieses schöne und in seiner Art allumfassende Emblem „spricht” zu dem Aspiranten, der ernsthaft darüber meditiert, es sendet einen ermutigenden und inspirierenden Impuls aus. Es wird eine Kraft erzeugt, die von denen, deren geistige Augen geöffnet sind, gesehen werden kann als ein schöner, milder blauer Dunst, der von dem Emblem ausgesendet wird.
Mitglieder, die nicht am Hochsitz anwesend sein können, die aber für sich in ihrem Heim den Dienst vor einem enthüllten Emblem lesen, werden in ähnlicher Weise geistig erhoben. Wir haben erfahren, daß sich in einigen Fällen dabei Heilungen vollzogen haben, und daß in vielen Fällen Mitglieder getröstet, beruhigt, belebt wurden durch das persönliche Ausführen des Rituals des Tempeldienstes.
Die wesentliche Botschaft des Tempeldienstes ist göttliche, unpersönliche Liebe, die Art von Liebe, die auf Erden zuerst von Jesus ausgesprochen wurde; diese Liebe ist der Grundton des esoterischen Christentums und das Ziel jedes geistig Strebenden. Kraftgeladene Abschnitte aus dem 1. Johannesbrief, aus dem Brief an die Philipper und besonders aus der herrlichen Lobrede auf universale Liebe, 1. Korinther 13, werden in der Lesung zitiert. Der aufmerksame Teilnehmer an
diesem Ritual wird wiederholt durchtränkt mit dem Impuls selbstloser Liebe, was wiederum den Lebensleib stärkt und die Fähigkeit zum Dienen vermehrt.
Die täglichen Morgen- und Abenddienste in der Kapelle des Ordens sind auch Rituale. Sie sind dazu bestimmt, das Individuum in seiner täglichen Arbeit für Gott zu stärken und am Ende des Tages ihm zu helfen, vielleicht irgendwelche aufgetauchten mißtönenden Schwingungen wieder in Harmonie zu bringen und seine Gedanken von der Arbeit in der materiellen Welt ab und wieder zu Gott hin zu wenden. Beide Dienste beginnen mit einem Bibeltext, der durch den Leser ausgewählt wird, es folgt ein Gebet, in dem unserem himmlischen Vater für das Vorrecht, Ihm zu dienen und für Seine göttliche Liebe gedankt wird. Dann folgt eine Konzentration auf das erleuchtete Leitwort; „Gott ist Licht.
Wenn wir wandeln im Licht, wie er im Licht ist, haben wir Gemeinschaft miteinander.” Der Morgendienst schließt mit! einer Mahnung, den ganzen Tag über zum Dienst bereit zu sein und mit dem Singen der Lobpreisung; und der Abenddienst schließt mit dem ausgesprochenen Wunsch, den Dienst auch außerhalb des Körpers in der kommenden Nacht fortzusetzen, und mit einer Zeit der schweigenden Meditation über dieses Ziel.
Bevor ein Ritual seine höchste Wirkung haben kann, müssen diejenigen, die dadurch wachsen sollen, darauf eingestimmt werden. Das schließt Arbeit am Lebensleib ein, denn dieser Träger ist noch in der Entwicklung.
Der Lebensleib, der im 7. Lebensjahr eines Menschen geboren wird, befindet sich bis zu dieser Zeit noch in der Entwicklung. Die Rituale (und auch alle guten und schlechten Gewohnheiten), denen das Kind regelmäßig ausgesetzt ist während der ersten sieben Jahre, hinterlassen einen unzerstörbaren Eindruck auf sein Wesen. Die Schwingungen von Gebeten, Liedern oder anderen liturgischen Ausdrucksformen, die regelmäßig in Gegenwart des Kindes während dieser Periode wiederholt werden, werden, ob das Kind sie versteht oder nicht, in seinen Lebensleib eingeprägt und bleiben ihm das ganze Leben hindurch erhalten.
Die katholische Kirche, deren gleichbleibende rituelle Form des Gottesdienstes die Quelle ihrer Macht gewesen ist im Verlauf ihrer Geschichte, hat diese Wahrheit schon lange erkannt und arbeitet dementsprechend mit Kindern. In ähnlicher Weise können Rituale verwendet werden, um die Grundsätze der westlichen Weisheitslehren den Kindern in früher Jugend einzuprägen. Eine so gebaute Grundlage wird dem so behandelten Kind bleiben. Eine solche Grundlage wird dann später, ungeachtet der möglichen Abweichungen vom Pfad in der Jugend und in den darauf folgenden Jahren, für das Ego als ein sicherer Hafen vorhanden sein, wenn es einmal reif genug geworden ist, zu erkennen, daß sein materialistisches, leidenschaftliches oder in anderer Weise weltliches Herumwandern zerstörend ist, und wenn es dann zur richtigen und geistigen Lebensweise zurückzukehren wünscht.