Die Fehlbarkeit des Menschen: Eine essentielle Erzählung
Am Anfang der Erzählung des Menschen steht die Fehlbarkeit. Adam und Eva verlieren die süße, paradiesische Unschuld, weil sie eine Verfehlung begehen. Damit ist nicht die „Ursünde“ in die Welt gekommen, sondern der fehlbare Mensch. Diese Erzählung der Fehlbarkeit ist zutiefst menschlich und verankert in den Grundtexten unserer Kultur. Sie markiert den Beginn der menschlichen Erfahrung und Selbstreflexion.
An dieser Fehlbarkeit erkennen wir uns selbst und unterscheiden uns von anderen Wesen. Ein programmiertes System folgt in der Regel der ihm eingegebenen Vorschrift. Es ist determiniert. Wir hingegen befolgen zwar auch Vorschriften, doch wir haben die Fähigkeit, uns kritisch zu ihnen zu verhalten, uns von ihnen zu distanzieren, Fehler zu begehen, an unseren Prinzipien und Vorhaben zu scheitern, aber wiederum daran zu wachsen und uns weiterzuentwickeln.
In der heutigen Zeit scheint der Drang zur Perfektion allgegenwärtig zu sein. Der ständige Druck, besser, schneller und effizienter zu sein, hat uns bereits ganz eingenommen. Der Druck, jung, glatt, dünn sein zu müssen, lässt kaum Raum für Fehler oder Schwächen, für den natürlichen Gang des Lebens. Doch wohin mit all den Schwächen, wohin mit den Narben und Wunden, mit den Falten und Widersprüchen?
Wenn wir den Menschen als fehlerloses, optimierbares Objekt betrachten, verlieren wir den Blick für das Wesentliche: die Einzigartigkeit jedes Einzelnen. Das Gebet scheint mir eine Rebellion gegen diesen Perfektionswahn zu sein. Denn wenn ich mich im Gebet Gott hinhalte, dann stehe ich ohne Masken, ohne Gehabe da. Ich halte mich mit all meinen Schwächen hin. Religiöse Traditionen betonen die Bedeutung der menschlichen Fehlbarkeit und schützen unsere Menschlichkeit. Sie bewahren uns davor, uns selbst in einem endlosen Streben nach Perfektion zu verlieren.
Die Idee, den Menschen zu optimieren und zu perfektionieren, verstellt ihn, macht den Menschen unsichtbar, unsichtbar hinter all den Masken. Es entstellt das wahre Wesen des Menschseins und verwehrt uns den Zugang zu unserer eigenen Menschlichkeit. Wir müssen uns der Frage stellen, was es heißt, ein Mensch zu sein. Ist es nicht gerade unsere Fehlbarkeit, die uns zu einzigartigen Individuen macht? Ist es nicht die Akzeptanz unserer Unvollkommenheit, die uns authentisch und menschlich macht?
Indem wir unsere Schwächen und Fehler anerkennen, bewahren wir unsere Menschlichkeit und schützen das, was uns als Menschen auszeichnet. Die Erzählung von Adam und Eva erinnert uns daran, dass Fehlbarkeit kein Makel ist, sondern ein wesentlicher Bestandteil unseres Menschseins. Sie ermutigt uns, unsere Schwächen zu akzeptieren und aus unseren Fehlern zu lernen. In einer Welt, die immer mehr nach Perfektion strebt, sollten wir den Mut haben, unsere Menschlichkeit zu bewahren und uns selbst und anderen mit Mitgefühl und Verständnis zu begegnen. Denn letztlich ist es unsere Fehlbarkeit, die uns zu dem macht, was wir sind: Menschen.