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Frauenmystik: Eine gefährliche Reise ins eigene Innere

Über Jahrhunderte hinweg waren im Christentum nahezu alle Frauen, die theologische Texte verfassten, Mystikerinnen. Doch der Grund dafür hatte weniger mit einer natürlichen Neigung zur Mystik zu tun als vielmehr mit den Machtstrukturen der Zeit. Frauen war es untersagt, theologisch zu lehren oder öffentlich zugängliche Texte zu schreiben, denn die Töchter Evas galten gemeinhin als geistig minderbemittelt und moralisch wankelmütig. Es galt als mehr als gefährlich, Frauen das Schreiben zu erlauben.
Den Frauen blieb jedoch eine Möglichkeit offen. Sie konnten sich auf besondere mystische Erfahrungen berufen: Wenn Gott den Frauen im Inneren auf mystische Weise begegnete, dann waren ihre Erlebnisse es wert, aufgeschrieben und theologisch interpretiert zu werden. So entstanden die Texte der sogenannten Frauenmystik. Diese enthielten kein obskures Sonderwissen, sondern waren theologisch reflektierte und kreative Reaktionen auf das eigene Erleben.
Die große spanische Mystikerin Teresa von Avila zeichnete etwa die Seele als eine große Burg mit vielen Zimmern. Sie lud die Frauen ihrer Ordensgemeinschaft ein, in der Lektüre die Zimmer zu betreten und so ihr eigenes Inneres zu durchwandern – auf der Suche nach Gott, den sie als Bräutigam, als Geliebten imaginierte.
Dennoch blieben diese Frauen gefährlich. Denn es war eine Revolution zu behaupten, dass Gott im Inneren erfahren wurde – unabhängig vom Klerus und von der Institution Kirche. Es war vermessen zu behaupten, dass Frauen ein „Wissen“ zu bieten hatten, das nicht aus theologischer Gelehrsamkeit stammte. Einige, wie Marguerite Porete, bezahlten dies mit ihrem Leben. Andere, wie Teresa von Avila, wurden später zu Kirchenlehrerinnen erhoben. Doch gefährlich blieben ihre Texte bis heute. Denn wann wäre eine Reise ins eigene Innere je ohne Risiko gewesen?
Die Frauenmystik bleibt eine bedeutende und oft übersehene Strömung in der christlichen Tradition. Ihre Texte sind nicht nur Zeugnisse individueller Glaubenserfahrungen, sondern auch herausfordernde Manifeste der Selbstbestimmung und spirituellen Erkenntnis. Sie erinnern uns daran, dass die Suche nach Gott nicht an äußere Autoritäten gebunden ist, sondern im Inneren eines jeden Menschen stattfindet – unabhängig von Geschlecht, Stand oder theologischer Bildung. Und sie mahnen uns, dass die Reise ins eigene Innere, auch heute noch, nicht ohne Risiko ist, sondern Mut und Entschlossenheit erfordert.

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