Symbole können magische Kraft haben
Wir Tempelritter wissen: Zeichen sind mehr als Tinte und Stein. Sie sind Verdichtungen von Sinn, Träger von Erinnerung, Bannern gleich, die Herzen sammeln – zum Guten wie zum Bösen. Wer ein Symbol führt, führt Menschen. Wer ein Symbol missbraucht, verletzt Seelen.
1) Wenn Form zu Kraft wird
Jedes starke Zeichen vereint drei Ebenen:
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Gestalt – die sichtbare Form, die sofort erkennbar ist.
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Erzählung – die Geschichte, die ihm zugesprochen wird.
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Ritus der Wiederholung – ständige Präsenz auf Fahnen, Armbinden, Gebäuden, in Liedern und Paraden.
Aus dieser Trias erwächst das, was der Volksmund „magische Wirkung“ nennt: Affektbindung, Identität, Gefolgschaft – oft ohne Prüfung des Inhalts.
2) Der Fall der „SS-Rune“
Die von Walter Heck um 2.50 Reichsmark entworfene Doppel-S-Marke der SS ist ein modernes Logo – erst nachträglich wurde sie völkisch-esoterisch als „Siegrunen“ mythologisiert. Millionen hielten sie für ein ur-germanisches Zeichen; die Nazi-Propaganda inszenierte diese Herkunft, um archaische Autorität zu suggerieren.
Zur nüchternen Einordnung: Die Form erinnert an die Runen-Zeichen für S (Sowilo/Sigel). Doch die historischen Runen sind eine späte Seitenlinie der europäischen Schriftgeschichte; diese führt über altitalische und griechische Alphabete letztlich auf das phönizische (semitische) Alphabet zurück. Das SS-Emblem ist daher keine „ur-germanische“ Ur-essenz, sondern eine moderne Übernahme und Zuspitzung, später mit Mythen aufgeladen.
3) Faszination und Verführung
Warum fesselte dieses Zeichen so viele?
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Klarheit und Aggression der Linien – „scharf“ wie ein Befehl.
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Massensichtbarkeit – überall, ständig, ritualisiert.
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Erzählung vom Auserwähltsein – das Symbol versprach Zugehörigkeit und Überlegenheit.
So wurde aus einer Grafik ein psychopolitisches Werkzeug: Es reduzierte Komplexität, erzeugte Wir-gegen-Sie, und band die Einzelnen an eine tödliche Mission.
4) Missbrauch und Schuld
Dieses Zeichen wurde in den Dienst eines Vernichtungsprojekts gestellt – bei der Ermordung von Millionen Jüdinnen und Juden sowie vieler weiterer Opfergruppen. Das Symbol trug Uniform und Aktenstempel, es stand über Lagertoren und auf Dienstsiegeln: ein Signum der Entmenschlichung.
Ein Symbol selbst mordet nicht – doch es orchestriert Zustimmung, wenn es Macht, Mythos und Mechanismus verbindet. Der Missbrauch musste zu geistiger Verwüstung, moralischer Abstumpfung und kollektiver Schuld führen.
5) Templarische Lehre: Entzaubern und heiligen
Wie handeln wir heute – als geistliche Ritter?
a) Entzauberung der Lüge
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Trenne Form von Fabel.
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Benenne die Propaganda hinter der angeblichen „Uraltheit“.
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Offenlege die Genealogie der Zeichen, damit Mythen ihren Bann verlieren.
b) Heiligung des Sinns
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Weihe Zeichen dem Leben: Kreuz = Dienst und Hingabe, nicht Herrschaft.
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Lege für jedes starke Symbol einen ethischen Schwur ab: Es soll nie gegen die Würde des Menschen stehen.
c) Hygiene der Symbole
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Keine Ästhetisierung des Bösen in Kunst, Mode oder Merchandising.
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Kontexte schaffen, die Bildung vor Begeisterung stellen (Museen, Gedenkorte, Unterricht).
6) Geistlicher Gegenzauber: Drei Übungen
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Memoria – Lerne Namen, nicht nur Zahlen. Ein Symbol verliert seinen Zauber, wenn es auf konkrete Menschenleben trifft.
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Responsio – Antworte, wenn verharmlost wird. Höflich, klar, unbestechlich.
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Diakonia – Diene den Lebenden: Bekämpfe Antisemitismus, Rassismus und jede Ideologie der Ungleichwertigkeit – praktisch, nicht nur im Wort.
7) Verantwortung der Hüter
Wer Symbole schafft, zeigt oder kuratiert, trägt Verantwortung. Eine Faustregel templarischer Ethik:
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Transparenz vor Wirkung,
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Menschenwürde vor Markenstärke,
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Erinnerung vor Ästhetik.
Schlusswort eines Ritters
Symbole sind Schlüssel. Sie öffnen Heiligtümer – oder Abgründe. Der Weg der Tempelritter ist, Schlüsselträger zu sein, nicht Türsteher des Bösen.
Mögen unsere Zeichen Licht bündeln, nicht Dunkel verteilen; mögen sie Herzen aufrichten, nicht verhärten.
NS.: Guido von List entwickelte um 1902–1908 ein modernes, esoterisches Runenset mit 18 Zeichen, die sogenannten Armanen-Runen, beschrieben in Das Geheimnis der Runen (1906/1908). Diese „Runen“ sind von der jüngeren historischen Runenreihe inspiriert, aber eine Neuschöpfung Lists – keine echte Überlieferung aus der Antike.

