Was verleiht Liebe Dauer?
Im zweiten Buch seiner „Ars amatoria“ widmet sich Ovid der Frage, wie die Liebe Bestand haben kann. Für den römischen Dichter ist klar: Ohne körperliche Nähe gibt es keine wahre Liebe. Dabei spielt äußere Schönheit eine untergeordnete Rolle. So ist Odysseus nicht für sein Aussehen bekannt, dennoch sehnt sich die Nymphe Calypso nach ihm. Wichtiger sind für Ovid Eigenschaften wie Witz, Zärtlichkeit und gegenseitige Fürsorge. Er betont, dass die Freude an der Liebe von beiden Partnern gleichermaßen geteilt werden sollte:
„Was uns erfreut, das sollen Mann und Frau zu gleichen Teilen genießen. Ich verabscheue Beischlaf, der nicht beide erlöst.“
Diese Sichtweise legt nahe, dass Ovid die Liebe als eine partnerschaftliche Verbindung versteht, in der beide Seiten gleichermaßen profitieren und Freude empfinden. Seine Betonung auf gegenseitige Befriedigung und emotionale Verbindung zeigt ein Verständnis von Liebe, das über bloße körperliche Anziehung hinausgeht.
Die Frage, ob Ovids Ansichten als „testosterongesteuert“ abgetan werden können, erscheint vor diesem Hintergrund unbegründet. Seine Schriften legen vielmehr nahe, dass er die Komplexität der menschlichen Beziehungen erkannte und die Bedeutung von emotionaler Intimität und gegenseitigem Respekt hervorhob. In einer Zeit, in der patriarchale Strukturen vorherrschten, betonte Ovid die Wichtigkeit der Zufriedenheit beider Partner, was als fortschrittlich angesehen werden kann.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Ovid in seiner „Liebeskunst“ die Grundlagen für eine dauerhafte Liebe in der gegenseitigen Wertschätzung, emotionalen Nähe und dem gemeinsamen Erleben von Freude sieht. Seine Ansichten zeugen von einem tiefen Verständnis für die Dynamik zwischenmenschlicher Beziehungen und der Bedeutung von Gleichberechtigung in der Liebe.