Weissrussische Olympia-Sportlerin soll nach vereitelter Zwangsrückführung Asyl in Polen erhalten
Die weissrussischen Behörden wollten die Athletin Kristina Timanowskaja gegen ihren Willen aus Japan ausfliegen, weil sie Sportfunktionäre kritisiert hatte. Am Flughafen erhielt sie Schutz von der japanischen Polizei. Sie soll jetzt Asyl in Polen bekommen.
Die Olympischen Spiele werden plötzlich politisch. Die weissrussische Sprinterin Kristina Timanowskaja hat in Tokio Sportfunktionäre ihres Landes kritisiert. Sie wehrte sich dagegen, als blosse Verschiebemasse behandelt zu werden. Ohne ihr Wissen sei sie der 4-mal-400-Meter-Staffel zugeteilt worden, nur weil andere Athletinnen nicht genügend Dopingtests absolviert hatten. Dabei habe sie für diese Disziplin und die Strecke überhaupt nicht trainiert. «Es zeigt sich, dass unsere grossartigen Chefs wie immer alles für uns entscheiden», schrieb sie auf Instagram. Sie hätte nie derart harsch reagiert, wenn man ihr die Situation einfach erklärt hätte und nicht einfach hinter ihrem Rücken entschieden hätte, gab sie später bekannt.
Timanowskaja war am Freitag in einer 100-Meter-Qualifikation der Frauen gelaufen und hätte am Montag in einem Qualifikationslauf über 200 Meter antreten sollen.
Die Reaktion des Regimes von Präsident Alexander Lukaschenko liess nicht auf sich warten. Sie wurde aufgefordert, die Spiele in Tokio sofort zu verlassen und nach Weissrussland zurückzukehren. Der Cheftrainer persönlich habe ihr zu verstehen gegeben, dass dies auf Befehl von oben verordnet worden sei.
Da sie nicht freiwillig zurückreisen wollte, seien am Sonntag Funktionäre des weissrussischen Olympia-Teams in ihrem Zimmer erschienen und hätten sie angewiesen, ihre Sachen zu packen. Diese Betreuer hätten sie unter Zwang zum Flughafen Haneda in Tokio gebracht. Dort wandte sich die 24-Jährige am Abend an die japanische Polizei. Die japanischen Behörden bewahrten sie vor der sofortigen Rückschaffung nach Minsk in einer bereitstehenden Maschine der Turkish Airlines.
Dieser Befehl aus Minsk löste eine Eigendynamik aus und brachte die zuvor wenig bekannte Athletin unvermittelt auf eine Bühne der Weltpolitik. Die Sportlerin wandte sich noch am Sonntagabend auch an das Internationale Olympische Komitee (IOK): «Es wird Druck auf mich ausgeübt. Sie versuchen, mich ohne meine Erlaubnis aus dem Land zu bringen. Ich bitte das IOK, sich einzuschalten», erklärte Timanowskaja in einem Video, das eine oppositionelle Athletenvertretung, die Weissrussische Stiftung für Sportsolidarität, auf Telegram veröffentlichte. Die Gruppe unterstützt Sportler, die wegen ihrer politischen Ansichten verfolgt werden. Dem Onlinemedium By.tribuna.com sagte die Sprinterin: «Ich habe Angst, dass man mich in Weissrussland ins Gefängnis stecken könnte.»
Die Nacht auf Montag verbrachte Timanowskaja in einem Hotel am Tokioter Flughafen, in einer «sicheren Umgebung», wie ein Sprecher des IOK sagte. Die Sportlerin befinde sich in den Händen der Behörden. Man habe vom Olympischen Komitee Weissrusslands einen schriftlichen Bericht eingefordert. Derzeit würden die genaueren Hintergründe und Einzelheiten des Vorfalls geprüft.
Das offizielle Weissrussland schildert den Vorfall völlig anders. Das weissrussische Nationale Olympische Komitee teilte mit, die Läuferin könne wegen ihrer «emotional-psychischen Verfassung» an keinen weiteren Wettkämpfen teilnehmen. Timanowskaja bezeichnete das auf Instagram als Lüge. Sie sei gar nicht untersucht worden. Der Leiter des weissrussischen Olympischen Komitees ist Wiktor Lukaschenko, der älteste Sohn des Staatschefs.
Der olympische Albtraum endete am Montagvormittag in der polnischen Botschaft in Tokio. Hier hat sie ein humanitäres Visum erhalten. Timanowskaja könne in Polen Asyl beantragen und dort ihre sportliche Karriere fortsetzen, wenn sie dies wolle, erklärte Vizeaussenminister Marcin Przydacz auf Twitter. Die Sportlerin soll laut Medienberichten am Mittwoch von Tokio nach Warschau fliegen. Polen hat im letzten Jahr schon Tausenden von weissrussischen Oppositionellen Schutz geboten. Auch Timanowskajas Ehemann ist nach eigenen Angaben aus Weissrussland geflohen und hielt sich am Montag in der Ukraine auf. Er will offenbar ebenfalls nach Polen weiterreisen.
Auch zahlreiche andere Staaten hatten der Sportlerin Asyl angeboten, beispielsweise Tschechien oder Frankreich.