⚔️ Gedanken am 16. Oktober
»Verletze nicht.« – Das Dilemma der Tierversuche
Das Gebot »Verletze nicht« klingt einfach und klar. Doch sobald wir es auf die Wirklichkeit anwenden, zeigt sich, wie komplex und widersprüchlich das Leben sein kann. Ein Beispiel sind die Tierversuche.
Wer würde es nicht als Grausamkeit empfinden, wenn Kaninchen, Mäuse oder Hunde für den Test eines neuen Haarsprays leiden müssen? Hier scheint die Sache eindeutig: Eitelkeit und Profit rechtfertigen kein Leid. Doch was, wenn es um einen Impfstoff gegen AIDS oder eine Therapie gegen eine tödliche Krankheit geht? Plötzlich kippt die Perspektive. Das, was eben noch wie ein Skandal erschien, wird nun als notwendiges Übel verteidigt.
Das Universum zieht selten eine klare Grenze zwischen Gut und Böse. Es gibt kaum eine Entscheidung, die nicht zugleich Heil und Verletzung in sich trägt. Gerade deshalb wird der Templer aufgefordert, wachsam und verantwortlich zu handeln – und sich immer wieder neu zu fragen, welche Konsequenzen sein Tun für das Ganze hat.
Die ethische Gratwanderung
Die Frage nach den Tierversuchen zeigt uns die Tragik der menschlichen Existenz: wir verletzen, auch wenn wir es nicht wollen. Der Arzt, der Leben retten will, fügt Tieren Leid zu. Der Aktivist, der Tiere schützt, gefährdet vielleicht das Leben von Menschen, die auf ein Heilmittel hoffen.
Die Templer wussten: Der Kampf zwischen Licht und Dunkelheit findet nicht nur »da draußen« statt, sondern in unserem Inneren. Wer »nicht verletzen« will, muss lernen, mit Ambivalenz zu leben. Absolute Reinheit im Handeln gibt es in dieser Welt nicht – aber es gibt das ständige Ringen um das kleinere Übel, um die Entscheidung, die dem Leben dient.
Tägliche Templerarbeit
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Verweile für einige Minuten im Gebet der Sammlung oder in der Shamatha-Vipassana-Meditation.
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Stelle dir diese Situation vor: Du bist Mutter oder Vater von zweijährigen Zwillingen, die an Hämophilie leiden. Jeder Sturz kann verheerend sein, Gelenkblutungen verursachen unerträgliche Schmerzen. Nur durch Forschung – und damit Tierversuche – könnte in einigen Jahren Heilung möglich werden.
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Versetze dich dann in die Lage eines Laboraffen, der in einem sterilen Raum auf seine nächste schmerzhafte Prozedur wartet.
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Stelle dir danach einen Aktivisten vor, der überzeugt ist, dass jedes Tierleben unverletzlich ist und bereit ist, alles – sogar Gewalt – einzusetzen, um das Leid zu beenden.
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Schließlich: Lasse all diese Stimmen miteinander reden – die Eltern, die Kinder, den Affen, den Forscher, den Aktivisten. Suche nicht nach der »einen richtigen Antwort«, sondern spüre das Gewicht der Verantwortung, die in jeder Entscheidung liegt.
Schlussgedanke
»Nicht verletzen« heißt nicht, ein Leben in naiver Reinheit zu führen. Es bedeutet, jede Handlung mit Bewusstsein und Demut zu treffen – wissend, dass selbst die beste Entscheidung Opfer verlangt. Der Templer trägt dieses Paradox nicht als Last, sondern als Auftrag: das Licht immer wieder neu zu wählen, auch wenn der Weg durch die Schatten führt.
