Lächeln, Sie werden überwacht:
Bayerns neuer „Big Brother“
Gesichtserkennung im Freistaat: Mehr Sicherheit oder übertriebene Kontrolle?
Ah, Bayern – das Land der strengen Sitten und braven Bürger. Doch in diesen unsicheren Zeiten ist es nicht mehr nur die Weißwurst, die überwacht werden muss. Nein, Innenminister Joachim Herrmann hat Größeres im Sinn: Live-Gesichtserkennung, die uns auf Schritt und Tritt verfolgt. Warum? Natürlich, um uns vor den bösen Buben zu schützen, die sonst womöglich das traute Miteinander auf dem Oktoberfest stören könnten. Oder etwa nicht?
Aber beginnen wir von vorne. Die Idee klingt ja verlockend: Hochmoderne Kameras, bestückt mit künstlicher Intelligenz, die in Echtzeit unsere Gesichter analysieren und sofort Alarm schlagen, wenn sie einen gesuchten Verbrecher entdecken. So könnte man sich zumindest den perfekten Polizeistaat vorstellen. Doch Herrmann und seine Mitstreiter haben sich das alles natürlich nur zum Wohle des Bürgers ausgedacht – und nicht etwa, um uns alle unter Generalverdacht zu stellen. Wer würde denn so etwas Böses denken?
Klar, da gibt es den einen oder anderen Miesepeter, der auf die Einhaltung von Grundrechten pocht. Datenschutz hier, Privatsphäre da – diese ewigen Nörgler! Innenminister Herrmann sieht das ganz anders. „Die Polizei braucht dringend mehr Möglichkeiten“, tönt es aus dem Innenministerium. Dass da ab und zu mal ein falsches Gesicht erkannt wird – sei’s drum. 98 Prozent Trefferquote sind doch schon mal was! Dass bei dieser Quote hunderte Menschen zu Unrecht von der Polizei herausgezogen werden könnten? Kleinliches Gezeter! Wer sich nichts zuschulden kommen lässt, hat schließlich auch nichts zu befürchten, nicht wahr?
Und dann wäre da noch das kleine Problem mit der Polizei selbst. Man muss sie doch glatt bewundern – oder muss man sie doch eher bemitleiden? Sie ist schon jetzt so überlastet, dass sie teilweise kaum noch dazu kommt, Verbrechen so zu verfolgen, wie sie das sollte. Und wollte. Jetzt soll sie, obwohl sie ohnehin auf dem Zahnfleisch daherkommt, auch noch jede vermeintliche Übereinstimmung, die der „Big Brother“ an der Bahnhofstür ausspuckt, nachprüfen. Dass dabei dann noch viel weniger Zeit bleibt, um sich um tatsächliche Verbrechen zu kümmern? Solche Kritik ist kleinlich. Hauptsache, Innenminister Herrmann kann den Bürgern vormachen, dass er wieder was Neues für ihre Sicherheit gemacht hat. Und dass er den Datenschutz nicht ganz über Bord geworfen hat! Schließlich werden die Bilder der Unschuldigen ja gelöscht – wenn auch erst nach dem zweiten oder dritten Blick auf das Gesicht.
Dass solche Überwachungssysteme nicht nur bei uns, sondern auch in anderen Ländern erfolgreich eingesetzt werden – das ist ein Argument, das Herrmann gerne bringt. Schließlich war es ein kanadischer Journalist, der geschafft hat, woran unsere Polizei seit vielen Jahren scheiterte – eine versteckte RAF-Terroristin zu enttarnen! Unsere Polizei dürfte so etwas zwar gar nicht, aber warum kleinlich sein? Am Ende wird das alles schon seine Ordnung haben. Auch wenn das Gesetz, das die Live-Gesichtserkennung bundesweit einführen soll, noch ein wenig auf sich warten lässt, Herrmann ist sich sicher: Mit dem richtigen Einsatz von Technologie kann man jedem Bösewicht das Handwerk legen. Auch wenn sich die Frage stellt: Was bringt es, wenn etwa Vergewaltiger und Kinderschänder, solange sie den „richtigen“ Hintergrund haben, eh schnell wieder auf freien Fuß kommen.
Und wenn die großen Pläne danebengehen? Wenn es nichts bringt? Tja, dann haben wir wenigstens gelernt, uns unter den wachsamen Augen der Kameras ein bisschen besser zu benehmen. Immer schön lächeln: Sie werden gefilmt!
Und so bleibt uns nichts anderes übrig, als entweder bei den Wahlen ein Machtwort zu sprechen – was irreal klingt – oder uns an diese neue Realität zu gewöhnen. Denn eines ist sicher: Ob wir wollen oder nicht, die bayerische Regierung sorgt dafür, dass unser aller Leben ein klein wenig sicherer – oder zumindest interessanter – wird. Also, Freunde, immer schön lächeln, denn man weiß ja nie, wer gerade zusieht. (Reitschuster)