Prozess um Sixtina-Chor: Gänswein als Zeuge vernommen
Der langjährige Privatsekretär von Benedikt XVI., Erzbischof Georg Gänswein, wurde fast eine Stunde lang in der zweiten Verhandlung des Prozesses um die Verwaltung von Geldern des Chores der Sixtinischen Kapelle vernommen. Bei dem Prozess geht es um das Verhalten der früheren Verantwortlichen des Chores. Die nächste Anhörung ist am 26. Juli.
Erzbischof Georg Gänswein war am Montag der einzige Zeuge, der im Strafverfahren vor dem Vatikan-Gericht verhört wurde. Angeklagt sind der Salesianer Massimo Palombella und der Laie Michelangelo Nardella. Zum Zeitpunkt der Ereignisse, die Gegenstand des Gerichtsverfahrens sind, war Palombella Chorleiter und Nardella Finanzdirektor des Chors. Beide Angeklagten waren im Gerichtssaal anwesend. Die dritte Angeklagte, Nardellas Frau Simona Rossi, war am Montag abwesend. Alle drei sind wegen Veruntreuung, Geldwäsche und Betrug angeklagt. Die Anschuldigungen stehen am Ende der fünfjährigen Untersuchung, die 2018 auf Geheiß des Papstes „zu den wirtschaftlich-administrativen Aspekten des Chors“ eingeleitet wurde.
Die für 16.30 Uhr angesetzte Anhörung begann mit genau einer Stunde Verspätung, weil das Richtergremium unter dem Vorsitz von Gerichtspräsident Giuseppe Pignatone zunächst in der Ratskammer zusammentrat, um über den weiteren Prozessverlauf zu diskutieren.
Befragung Gänsweins
Nach der Verlesung des Beschlusses, den Prozess fortzuführen, begann um 17.54 Uhr die Vernehmung von Erzbischof Georg Gänswein. Die Vernehmung der beiden Angeklagten war ebenfalls vorgesehen, aber Richter Pignatone bat darum, sich zunächst auf die Vernehmung des Erzbischofs zu konzentrieren, der „bald im Ausland sein wird“.
Der deutsche Kurienerzbischof bestätigte, was er bereits am 2. Oktober 2018 gegenüber dem vatikanischen Kirchenanwalt (Justizpromotor) gesagt hatte. In einem langen Verhör erklärte er, dass er als Präfekt des Päpstlichen Hauses und damit Vorgesetzter von Palombella und Nardella nie einen Verdacht gehabt habe, bis er 2014 Beschwerden von den Eltern der „pueri cantores“, den jungen Sängern des Kinderchors der Musikkapelle, erhielt. Diese hätten über „eine unhöfliche und übermäßig harte Behandlung von Monsignore Palombella gegenüber den Jungen“ geklagt. Gänswein habe die Vorgesetzten alarmiert und sei angewiesen worden, „Nachforschungen“ anzustellen. Er habe dann „mit Palombella gesprochen und ihm geraten, nicht zu übertreiben“.
2016 hätten sich die Beschwerden wiederholt, diesmal aber auch von Erwachsenen, die sich an Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin gewandt hätten. Auch sei der damalige Substitut im Staatssekretariat, Kardinal Angelo Becciu, eingeschaltet worden. Weitere Beschwerden seien im Jahr 2017 hinzugekommen, so Erzbischof Gänswein, immer „mit dem gleichen Vorwurf“. Daher kam es dann zur Entscheidung des Papstes für eine apostolische Visitation.
Verdächtigungen
Zwischen April und Mai 2018 sei Gänswein nach einer fälschlichen Mitteilung Nardellas an eine Ärztevereinigung angewiesen worden, „aktiv zu werden“. So habe Erzbischof Gänswein mit Nardella gesprochen, der „stets abgestritten“ habe, der Urheber der Mitteilung gewesen zu sein. In diesem Zusammenhang habe er „verschiedene fadenscheinige Gründe wie den Diebstahl seines Computerpassworts“ genannt. Nach diesem Vorfall wurde Nardella suspendiert. Angesichts dieser Vorfälle, so Erzbischof Gänswein, „begann ich, an der Aufrichtigkeit und Rechtschaffenheit dieser Person zu zweifeln.“ Deshalb habe er sich mit der vatikanischen Finanzaufsichtsbehörde in Verbindung gesetzt, „um den Sachverhalt zu melden.“
Vom stellvertretenden Staatsanwalt Roberto Zannotti darauf angesprochen, präzisierte Erzbischof Gänswein, dass er in der Tat „einen Verdacht gegen beide“ gehabt habe: „Ich hatte keine Beweise, aber einen Verdacht. Das ist jetzt sechs Jahre her, genauer kann ich nicht sein.“
Zahlungen und Quittungen
In den Aussagen Gänsweins wird auch erwähnt, dass es im Haushalt der Präfektur ein Kapitel über „Sonderzahlungen“ der Sixtinischen Kapelle zur Bezahlung von Sängern und Musikern gegebern habe. Die Zahlungen erfolgten demnach über das vatikanische Bankinstitut IOR. Was wiederum die Einnahmen betraf, so der Erzbischof, „handelte der Chor in völliger Autonomie“: „Bei einigen Konzerten und künstlerischen Darbietungen gab es Spenden und Geschenke, aber nichts ging an die Präfektur. Wir hatten nie eine Liste der Veranstaltungen, an denen die Sixtinische Kapelle Jahr für Jahr teilnahm. Wir haben nur Zahlungsaufforderungen erhalten, die Einnahmen aber nie gesehen. Wir wussten, dass sie im Ausland oder in Italien waren, aber über alles, was hereinkam, hatten wir keine Informationen.“
Haushaltspläne
Als Präfekt des Päpstlichen Hauses habe er alle von der Sixtinischen Kapelle vorgelegten Haushaltspläne unterzeichnet, erklärte Gänswein weiter. In diesem Zusammenhang fragte die Verteidigungsanwältin Sgrò, warum er in vier Jahren vor 2018 nie ein Fehlverhalten beanstandet habe und ob ihm bei der Durchsicht der Jahresabschlüsse irgendwelche Auffälligkeiten aufgefallen seien. „Nach den ersten Beschwerden ist einige Zeit vergangen“, stellte der Zeuge klar. „Wir haben intern gesprochen und dann gesagt, es ist Zeit, zu schreiben und um eine Verbesserung des Verhaltens zu bitten.“ Was die Budgets betreffe, so erklärte er, dass ein Laienexperte, der mit der Präfektur zusammenarbeite, Luca Vittori, die Kontrollen durchführte.
Spenden und Projekte
Anschließend wurden Erzbischof Gänswein einige Dokumente gezeigt, die in einem von der Verteidigung Nardellas bei Gericht eingereichten Schriftsatz enthalten waren und alle von ihm unterzeichnet waren. „Die Unterschriften stammen von mir“, bestätigte er. Dazu gehörte ein Schreiben, in dem sich Gänswein selbst für den Erhalt von 30.000 Euro von einigen Wohltätern bedankte, und ein anderes Dokument, in dem es um die Renovierung einer neuen Bühne im Petersdom ging. Der Zeuge sagte, dass er das letztgenannte Projekt zwar genehmigt, aber nicht weiterverfolgt habe: „Ich habe es zur Kenntnis genommen, weil Palombella es mir gesagt hatte; was die Kosten angeht, hat er mir versichert: ,Ich kümmere mich darum’. Ich habe zugestimmt, weil auch die Dombauhütte eine Stellungnahme abgegeben hatte. Es gab grünes Licht dort, grünes Licht auch von mir, mehr weiß ich nicht… Ich habe zugestimmt, aber es war nicht mehr meine Verantwortung.“
Nächste Anhörung
Auf direkte Nachfrage von Richter Pignatone erklärte Erzbischof Gänswein, dass er nicht wisse, wer diese Beträge ausgezahlt habe oder woher sie stammten, und dass er keine Beschwerden über „administrative und finanzielle Unregelmäßigkeiten“ innerhalb des Chors erhalten habe.
Die Anhörung endete gegen 18.30 Uhr. Die nächste Anhörung ist für den 26. Juli um 10 Uhr mit der Vernehmung der drei Angeklagten angesetzt.