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Sind wir Christen jetzt in der Minderheit?

Was sagt die Religionssoziologie
„Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen“ – mit diesen Worten beginnt die Präambel des deutschen Grundgesetzes. Die Formulierung macht klar: Deutschland versteht sich als ein Land in christlich-jüdischer Tradition. Die religionssoziologischen Daten, die jetzt veröffentlicht worden sind, stellen Anfragen an diese Setzung des Grundgesetzes. Der Zensus des Statistischen Bundesamtes, also die aktuelle Volkszählung, sagt: Christen seien eine Minderheit in Deutschland.

Nur noch 48 Prozent sind Katholiken oder Protestanten. Stimmt das so? Und warum ist es so? Diese Fragen haben wir unserem Kollegen Michael Hermann gestellt.

An den Daten der Statistiker lässt sich zunächst einmal nicht rütteln. 25 % der Menschen in Deutschland sind Mitglieder der katholischen Kirche. Weitere 23 % gehören der evangelischen Kirche in Deutschland an. Das sind 48 % in Summe, und das ist weniger als die Hälfte. Über die Zugehörigkeit zu anderen Religionen, wie insbesondere dem Islam, sagt der Zensus nichts. Das hat damit zu tun, dass es den Islam als Körperschaft des öffentlichen Rechts nicht gibt und damit auch die Meldeämter nicht sagen können, wie viele Muslime und Musliminnen es in Deutschland gibt. Hier ist man auf Schätzungen angewiesen. 4 bis 5 Millionen Muslime sollen es sein. Das gleiche gilt für eine ganze Reihe weiterer Religionen und Konfessionen.
Sind die Ergebnisse des Zensus denn überraschend?
Da sind sie gar nicht. Die Zahlen spiegeln die bekannte Entwicklung der Mitgliederzahlen der beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland. Und bekanntlich treten mehr Menschen aus oder versterben, als neue Mitglieder hinzukommen. Im vergangenen Jahr gaben bekanntlich 402.000 Katholiken und 380.00 Protestanten ihre Mitgliedschaft auf.

„Einiges spricht dafür, dass religiöse Bindungen nicht im gleichen Maße zurückgehen wie die Mitgliederzahlen“

Kann man dann auch sagen, dass die christlichen Grundlagen in Deutschland verloren gehen?
Das ist dann doch komplizierterer. Die jetzt vorgestellten Zahlen beziehen sich zunächst ja nur auf die formale Mitgliedschaft. Mitglieder treten aus unterschiedlichen Gründen aus der Körperschaft Kirche aus: Das kann mit den Missbrauchsskandalen zu tun haben oder aber auch mit den Kirchensteuern, also den Mitgliedsbeiträgen der Kirchen, die der Staat für diese einnimmt. Das sind immerhin 8 % der Einkommenssteuer, die der Einzelne bezahlen muss. Es kann freilich auch mit einer nachlassenden religiösen Bindung des einzelnen zu tun haben. Das muss aber nicht so sein.

Heißt das, dass religiöse Bindungen nicht im gleichen Maße zurückgehen wie die Mitgliederzahlen?
Ja, hierfür spricht einiges. Grundsätzlich leben wir in einer Phase, in der vielerorts starke Säkularisierungsprozesse wirken. Und auf längere Sicht ist hier auch keine wirkliche Veränderung zu erwarten. Religiös oder gläubig sind aber sicherlich mehr Menschen, als dies die Mitgliederzahlen erwarten lassen. Was vor allem zurückgeht, ist die Akzeptanz religiöser Autoritäten, also vor allem der katholischen und der evangelischen Kirche. Auch das hat mit einem gesamtgesellschaftlichen Trend, mit Individualisierung, zu tun. Und auch dieser Trend ist recht stabil.

Gibt es diese Entwicklung weltweit?
Zunächst ist das eine spezifische Entwicklung in Mitteleuropa. Der Religionssoziologie wird deshalb auch zuweilen vorgeworfen, einen eurozentristischen Blick zu haben. Sie nehme nicht deutlich genug wahr, dass es in anderen Regionen der Welt auch andere Entwicklungen gibt, lautet der Vorwurf.

„Zunehmende religiöse Pluralisierung im christlichen Spektrum, aber auch außerhalb“

Bedeutet das, dass Menschen, die aus der Kirche austreten, ihren Glauben sozusagen aufgeben?
Das bedeutet das nicht. Religiöse Praxis findet dann mitunter verstärkt im Privaten statt. Und nicht wenige Menschen wenden sich neuen religiösen Angeboten, zum Bespiel Freikirchen, zu. Die Entwicklung ist also auch vor einer zunehmenden religiösen Pluralisierung im christlichen Spektrum, aber auch außerhalb, geprägt.

Ist die Entwicklung in Deutschland gefährlich?
Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., hat bereits 1969 formuliert, dass die Kirche zu einer kleineren Kirche, zu einer “Kirche des Glaubens” werde. In ökonomischer Hinsicht löst eine solche Kirche der kleinen Schar sicher Sorgen aus. Die Bistümer machen sich schon jetzt intensive Gedanken, wie sie ihre seelsorgerischen und karitativen Angebote unter diesen Bedingungen aufrechterhalten können.

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