Was glaubt Österreich?
Indifferente Religionsfreundlichkeit im Wandel
Einleitung: Der religiöse Wandel in Österreich
Österreich, traditionell katholisch geprägt, erlebt seit Jahren einen tiefgreifenden Wandel im religiösen Selbstverständnis seiner Bevölkerung. Die religiöse Landschaft ist von zunehmender Pluralisierung, Entkonfessionalisierung und Migration geprägt. Der klassische katholische Überbau, der lange Zeit das religiöse Leben dominierte, bröckelt sichtbar. Gleichzeitig ist Religiosität nicht verschwunden, sondern hat sich in individualisierte, oft diffuse Formen transformiert. Der Glaube ist persönlicher, flexibler und weniger an Institutionen gebunden. Dieser Artikel beleuchtet die zentralen Trends und Herausforderungen des gegenwärtigen religiösen Feldes in Österreich.
1. Fragmentierung und Individualisierung der Religiosität
Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Nur noch 22% der Österreicher glauben explizit an Gott oder eine göttliche Wirklichkeit, während knapp 36% an ein höheres Wesen, eine höhere Energie oder geistige Macht glauben. Gleichzeitig lehnen 22% jede Form von Transzendenzvorstellung ab, und 15% wissen nicht, was sie glauben sollen.
Das Motto: „Etwas Höheres wird es schon geben“
Viele Österreicher stehen religiösen oder spirituellen Fragen offen gegenüber, aber oft auf eine vage und unspezifische Art. Der Glauben folgt weniger einem klar definierten Dogma, sondern orientiert sich an individuellen Bedürfnissen und persönlichen Erfahrungen.
Religiöse und spirituelle Selbstverortung
- 27% verstehen sich als „religiös“
- 24% als „spirituell“
- 11% sehen sich als sowohl religiös als auch spirituell
- 29% lehnen beide Selbstverständnisse ab
Interessant ist, dass religiöse und spirituelle Selbstzuschreibungen keineswegs synonym verwendet werden, sondern unterschiedliche Facetten der Transzendenzsuche abbilden.
2. „Believing without Belonging“: Eine fragwürdige These
Die Idee von „Believing without Belonging“, also einem Glauben ohne institutionelle Bindung, scheint in Österreich nur bedingt haltbar. Ohne religiöse Praxis und eine Verbindung zu Institutionen verdunstet der Glaube an Gott zunehmend. Während in muslimischen Gemeinschaften der Glaube an Gott stabil bleibt (über zwei Drittel Zustimmung), nimmt er in der katholischen Mehrheitsbevölkerung stetig ab.
3. Diffuse Religiosität: Schicksal, Universum und Allverbundenheit
Neben klassischen Transzendenzvorstellungen gewinnen alternative Glaubenskonzepte an Bedeutung:
- 38% glauben an ein vorherbestimmtes Schicksal
- 37% an die Kraft des Universums (29% teilweise)
- 37% glauben, dass alles mit allem verbunden ist (34% teilweise)
Diese Vorstellungen sind nicht zwingend an religiöse Institutionen gekoppelt, erfüllen aber dennoch ähnliche Funktionen: Sinnstiftung, Trost und Bewältigung von Unsicherheiten.
Der Schicksalsglaube: Hoffnung und Belastung zugleich
41% derjenigen, die an ein Schicksal glauben, empfinden es als positiv („Das Schicksal hat einen guten Plan für mich“), während 15% von der Vorstellung belastet sind, nichts an ihrem Schicksal ändern zu können.
4. Ritualpraktiken: Individuell und selektiv
Rituale spielen weiterhin eine Rolle, allerdings stark individualisiert und oft losgelöst von kirchlichen Kontexten:
- Beten und Meditation: 40% der Befragten praktizieren sie, meist allein.
- Wünsche an das Universum schicken: 46% praktizieren dies zumindest gelegentlich.
- Atem- und Körperübungen: Über 50% nutzen sie als Vorbereitungsrituale.
- Besuch religiöser Orte: 40% halten daran fest.
Rituale sind nicht mehr fest in Alltagspraktiken verankert, sondern werden je nach persönlicher Lebenssituation und Bedürfnislage punktuell angewendet.
5. Religiöse Unsicherheit: Glauben im Zweifel
Ein bemerkenswerter Teil der Bevölkerung zeigt Unsicherheit im Umgang mit Glaubensfragen:
- 19% sind sich nicht sicher, ob sie religiös sind.
- 27% sind sich nicht sicher, ob sie spirituell sind.
- 15% wissen nicht, ob sie an Gott oder eine göttliche Wirklichkeit glauben.
Diese Unsicherheit ist jedoch nicht gleichbedeutend mit Desinteresse. Viele wünschen sich durchaus, an etwas Höheres glauben zu können.
6. Religion als Coping-Strategie
In einer immer komplexer und unsicherer werdenden Welt wird Religion zunehmend als „Coping-Strategie“ genutzt. Der Glaube dient vor allem als Bewältigungsmechanismus, um persönliche Krisen und Herausforderungen zu meistern.
„Hauptsache, es wirkt“
Religiöse oder spirituelle Praktiken werden häufig danach bewertet, ob sie psychische Entlastung bieten oder ein Gefühl von Sinn vermitteln. Der Anspruch an innere Stringenz oder rationale Konsistenz tritt dabei in den Hintergrund.
7. Gegenläufige Trends bei der jungen Generation
Junge Menschen zwischen 14 und 25 Jahren zeigen teilweise gegenläufige Entwicklungen:
- 30% glauben an Gott oder eine göttliche Wirklichkeit.
- 30% glauben an ein höheres Wesen oder eine geistige Macht.
- 19% lehnen jeglichen Glauben ab.
Migrationseffekte spielen hier eine Rolle, aber auch eine veränderte Offenheit gegenüber religiösen Themen. Junge Menschen nähern sich religiösen Fragen weniger belastet von traditionellen Konflikten.
8. Fazit: „Anything goes“ – Glauben in einer pluralisierten Gesellschaft
Das religiöse Feld in Österreich zeigt sich fragmentiert, individualisiert und hochgradig flexibel. Die traditionellen Strukturen und Glaubenssysteme haben ihre verbindende Kraft verloren, aber Religion ist nicht verschwunden. Stattdessen tritt ein bunter Flickenteppich individueller Sinnkonstrukte hervor.
Wesentliche Trends zusammengefasst:
- Der traditionelle christliche Glaube verliert an Bedeutung.
- Alternative Transzendenzvorstellungen nehmen zu.
- Religion erfüllt vor allem psychische und individuelle Bedürfnisse.
- Rituale sind selektiv und individualisiert.
- Junge Menschen nähern sich religiösen Fragen neu und offener an.
Die Zukunft des Glaubens in Österreich bleibt spannend: Wird es neue Formen gemeinschaftlicher Religiosität geben oder wird die individuelle „Patchwork-Religiosität“ weiterhin dominieren? Fest steht: Das religiöse Feld bleibt in Bewegung – und das Motto lautet weiterhin: „Etwas Höheres wird es schon geben.“