Was ist Narzissmus?
„Narzisst“ – ein Begriff, der in den letzten Jahren oft leichtfertig als Beleidigung verwendet wird. Aber wer ist wirklich ein Narzisst, und sind Menschen mit narzisstischen Zügen tatsächlich die Bösewichte, für die sie oft gehalten werden? Um diese Frage zu beantworten, ist es wichtig, zwischen gesundem und krankhaftem Narzissmus zu unterscheiden.
Drei Hauptkennzeichen von Narzissmus
Psychologen sehen Narzissmus als Persönlichkeitsmerkmal, das wie Intelligenz oder Körpergröße innerhalb der Bevölkerung normal verteilt ist. Dies bedeutet, dass die meisten Menschen einen moderaten Grad an narzisstischen Eigenschaften haben, während extreme Ausprägungen selten sind. Ein weitverbreiteter psychologischer Fragebogen erfasst drei zentrale Kennzeichen des Narzissmus:
- Autoritätsanspruch und Führungsdenken: Menschen mit narzisstischen Zügen neigen dazu, sich als geborene Anführer zu sehen.
- Selbstdarstellung: Narzissten stehen gern im Mittelpunkt und genießen es, bewundert zu werden.
- Ausbeuterisches Verhalten: Sie nutzen andere aus und manipulieren ihre Mitmenschen, um eigene Vorteile zu erlangen.
Ein wenig Narzissmus kann sogar von Vorteil sein. Menschen mit einem gesunden Selbstbewusstsein sind oft psychisch stabiler und erfolgreicher im Leben. Moderat narzisstische Personen wirken charismatisch und ziehen andere durch ihre Begeisterungsfähigkeit in ihren Bann.
Wann wird Narzissmus problematisch?
Problematisch wird Narzissmus dann, wenn er das gesamte Leben einer Person bestimmt und sowohl für die Betroffenen als auch für ihr Umfeld eine Belastung darstellt. In diesen Fällen sprechen Psychiater von einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Diese Menschen haben ein übersteigertes Bedürfnis nach Bewunderung und Anerkennung. Sie verlangen ständig Komplimente und glauben, dass ihre Bedürfnisse wichtiger sind als die der anderen. Das führt oft dazu, dass sie ihre Mitmenschen manipulieren und ausnutzen, um sich selbst besser zu fühlen.
Narzissten: Gesellig, aber unverträglich
Interessanterweise verbirgt sich hinter der Fassade des Selbstbewusstseins häufig Unsicherheit. Narzissten haben einen hohen, aber instabilen Selbstwert, der stark von der Bestätigung durch andere abhängt. Kritische Bemerkungen oder sogar berechtigte Kritik können bei ihnen zu starken emotionalen Reaktionen führen – oft in Form von Wutausbrüchen. Dieser Charakterzug, den Psychologen als „sozial unverträglich“ bezeichnen, führt dazu, dass Narzissten im zwischenmenschlichen Bereich Schwierigkeiten haben.
Männer häufiger diagnostiziert – aber Narzissmus betrifft auch Frauen
Statistisch gesehen wird bei Männern häufiger eine narzisstische Persönlichkeitsstörung diagnostiziert. Das liegt teils an Geschlechterklischees, die das Bild des Narzissten eher mit einem Mann in Verbindung bringen. Frauen zeigen narzisstische Züge häufig in einer anderen Form. Statt offensiv und aggressiv zu sein, äußert sich ihr Narzissmus oft subtiler und introvertierter, was sie schwerer erkennbar macht. Dieser „vulnerable Narzissmus“ ist durch eine versteckte Anspruchshaltung gekennzeichnet: Die Betroffenen erwarten eine Sonderbehandlung, auch wenn sie nach außen hin unsicher oder depressiv wirken.
Was sind die Ursachen von Narzissmus?
Die Ursachen des Narzissmus sind nicht vollständig geklärt, aber es gibt zwei Theorien. Die eine besagt, dass spätere Narzissten in ihrer Kindheit übermäßig verwöhnt wurden und nie gelernt haben, mit Enttäuschungen umzugehen. Die andere Theorie sieht den Ursprung in frühen Verletzungen und Kränkungen, bei denen das Bedürfnis des Kindes nach Anerkennung missachtet wurde. Hier entwickelt sich Narzissmus als Selbstschutz, um die fehlende Zuwendung zu kompensieren.
Aktuelle Forschung zeigt jedoch, dass genetische Faktoren eine bedeutende Rolle spielen. Rund 50 Prozent des Narzissmusrisikos scheinen erblich bedingt zu sein, was Narzissmus zu einer der am stärksten genetisch beeinflussten Persönlichkeitsstörungen macht.
Behandlung und Therapie von Narzissmus
Häufig sind es nicht die Narzissten selbst, die unter ihrer Persönlichkeitsstörung leiden, sondern ihr Umfeld. Viele Narzissten erkennen ihre Probleme nicht und sehen keinen Handlungsbedarf. Es kommt jedoch vor, dass Betroffene in Krisensituationen – etwa nach einer Trennung oder einer beruflichen Niederlage – depressiv werden und Hilfe suchen. In solchen Fällen kann eine Psychotherapie helfen, das gestörte Selbstbild zu korrigieren und den Umgang mit anderen Menschen zu verbessern.
Der therapeutische Ansatz besteht darin, die verletzliche Seite des Narzissten zu erreichen, die hinter seiner Fassade verborgen ist. Betroffene lernen, wie sie ihre Bedürfnisse auf eine sozial verträglichere Weise ausdrücken und sich besser in andere hineinversetzen können.
Fazit
Narzissmus ist ein komplexes Phänomen, das sich sowohl in gesunden als auch in pathologischen Formen zeigen kann. Während ein gewisses Maß an Selbstliebe durchaus gesund ist, kann exzessiver Narzissmus für Betroffene und ihr Umfeld zu ernsthaften Problemen führen. Eine narzisstische Persönlichkeitsstörung erfordert oft professionelle Hilfe, und obwohl Fortschritte in der Therapie gemacht wurden, bleibt die Behandlung eine Herausforderung – insbesondere, weil viele Narzissten ihre Problematik nicht erkennen.