Dachten die meisten Leute, die Templer seien schuldig?
Im Herbst 1307 erging in Frankreich ein Befehl, der die Welt erschütterte: König Philipp IV. der Schöne ließ die Tempelritter verhaften – wegen Ketzerei, Sodomie und Verschwörung. Ein ungeheurer Vorwurf, der in einem sieben Jahre dauernden Prozess mündete. Doch was dachten die Zeitgenossen? Glaubten die Menschen wirklich, dass die Templer schuldig waren?
Kritisches Denken im Mittelalter
Es wird oft angenommen, die Menschen des Mittelalters seien naiv und leichtgläubig gewesen. Doch das ist ein Irrtum, eine Projektion der viktorianischen Geschichtsschreibung. Schon damals gab es kluge und gebildete Stimmen, die Ereignisse kritisch hinterfragten – wenn auch stets im religiösen Weltbild ihrer Epoche.
Die Wahrheit ist: Die Meinungen gingen auseinander. Während manche die Anklagen glaubten oder sie als Strafe Gottes interpretierten, zweifelten andere offen am Vorgehen des französischen Königs.
Italienische Zweifel an Philipp dem Schönen
Besonders in Italien begegnete man den Vorwürfen mit Skepsis.
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Der Schriftsteller Cristiano Spinola äußerte schon kurz nach der Verhaftung Zweifel an den Motiven Philipps.
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Auch der große Dichter Dante Alighieri sprach die Templer frei von Habgier, warf jedoch dem König selbst Habgier vor. In der Göttlichen Komödie schrieb er, Philipp habe „seine gierigen Segel gesetzlos in den Tempel selbst gebracht“.
Giovanni Villani: Die Templer als Märtyrer
Der florentinische Chronist Giovanni Villani deutete die Katastrophen, die das französische Königshaus nach 1307 heimsuchten, als Strafe für die Zerschlagung des Ordens.
Als er von der Hinrichtung des letzten Großmeisters Jacques de Molay und seiner Gefährten erfuhr, bezeichnete er sie als Märtyrer. Für Villani war klar: König Philipp hatte nicht nur ein Verbrechen an Menschen, sondern auch an Gott begangen.
Boccaccio: Vom Glücksrad der Geschichte
Der berühmte Schriftsteller Giovanni Boccaccio, der Verfasser des Decameron, war selbst noch nicht geboren, als die Verhaftungen geschahen. Doch sein Vater lebte damals in Paris, und so interessierte ihn das Schicksal der Templer sehr.
Für Boccaccio war es ein klassisches Beispiel des Glücksrads: Aufstieg, Reichtum, Macht – und dann der Sturz ins Verderben. Zwar glaubte er, dass der Reichtum die Ideale der Templer korrumpiert haben könnte, doch ihre Vernichtung sah er als tragisches Sinnbild menschlicher Vergänglichkeit.
Raymond Llull: Vom Befürworter zum Gegner
Der Philosoph Raymond Llull aus Mallorca war ein leidenschaftlicher Befürworter kirchlicher Einheit. Er wollte Templer und Johanniter zu einem einzigen Orden verschmelzen – doch die Templer lehnten dies kategorisch ab.
Aus Enttäuschung wechselte Llull die Seiten: Er begann, den französischen König in seiner Kampagne gegen den Orden zu unterstützen. Für ihn waren die Templer nicht nur ein überflüssiger, sondern ein störender Einfluss. Ihr Untergang erschien ihm als „heilsame Notwendigkeit“.
Fazit
Die öffentliche Meinung über die Schuld oder Unschuld der Templer war gespalten. Manche betrachteten die Anklagen als gerechtfertigt, andere erkannten darin den machtpolitischen Schachzug eines gierigen Königs.
Fest steht: Schon im 14. Jahrhundert gab es Zeitgenossen, die die Templer als Märtyrer sahen – ein Bild, das sich bis heute gehalten hat.
