Der erste Kreuzzug1
DER ERSTE KREUZZUG
„ Deus lo vult – Gott will es!”, so hallte es vor dem Osttor der Stadt Clermont am 27. November 1095 aus unzähligen Kehlen. Wenige Tage zuvor hatte Papst Urban II. auf dem Konzil zu Clermont bekannt gegeben, er wolle eine öffentliche Sitzung abhalten, um eine hochwichtige Ankündigung zu machen. Da die riesige Menschenmenge, die sich versammelte, um die Worte des Papstes zu hören, nicht in die Kathedrale passte, wurde der päpstliche Thron kurzerhand auf ein freies Feld vor der Stadt gestellt. Leider sind die genauen Worte Urbans nicht überliefert, die Chronisten lassen uns jedoch wissen, dass der Papst zunächst die Leiden der östlichen Christenheit schilderte: Die Heiden drangen in die christlichen Gebiete ein und misshandelten die Gläubigen und entweihten die heiligen Stätten. Nicht nur sollte dem Hilferuf aus Byzanz nachgekommen werden, es galt Jerusalem für die christlichen Pilger zurückzugewinnen. Er versprach jedem, der Gottes Werk verrichtete und dabei in der Schlacht sein Leben liess, die Vergebung aller Sünden. Jeder könne sein geplagtes Leben zurücklassen und im Heiligen Land als wahrer Freund Gottes ein gedeihliches Leben führen. Die Reaktion der Menge war überwältigend. Immer wieder wurde seine Rede von frenetischen Rufen unterbrochen. Gemeinsam mit Adhemar von Monteil, dem Bischof von Le Puy, drängten Hunderte vor den Thron des Papstes, fielen auf die Knie und baten, sich dem heiligen Zug anschliessen zu dürfen.
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Die Kreuzzugsidee war geboren – eine Idee, die das Denken und die Politik Europas in den folgenden Jahrhunderten nachhaltig prägen sollte. Dabei war die Idee vom Heiligen Krieg nicht gänzlich neu. Etwa 40 Jahre zuvor hatte Papst Alexander II. allen die Vergebung ihrer Sünden versprochen, die gegen die Muslime in Spanien kämpften, und die Verschmelzung Frömmigkeit und Krieg unter päpstlicher Führung , hatte dort auch schon zu Erfolgen geführt. Doch nun war das Ziel Palästina. Gott hatte durch seine körperliche Anwesenheit; in Christus dieses. Land geheiligt. Jerusalem war das heilsgeschichtliche Zentrum – der Nabel der Welt. Die Stadt stand allegorisch für das Himmlische Königreich und die Einheit der katholischen Kirche. Die andauernde Herrschaft der; Heiden und die Unzugänglichkeit für Pilger waren den Christen des Abendlandes zum Ende des 11. Jahrhunderts unerträglich geworden.
Beginn und Ursachen
Was waren die politischen Beweggründe Urbans, ein solch gewaltiges Unternehmen in die Welt zu setzen? Zu Zeiten seines Vorgängers Gregor VII. war das Verhältnis des westlichen Papsttums zum byzantinischen Kaiserreich so schlecht wie noch nie; politische und theologische Streitigkeiten hatten die römischen und griechischen Christen mehr und mehr entzweit. Während Urbans Pontifikat verbesserte sich die Beziehung wieder, und Kaiser Alexios hoffte diesen Umstand militärisch nutzen zu können, da sein Reich an allen Grenzen bedroht wurde. In Kleinasien war die direkte Gefahr durch die Seldschuken zwar bereits abgewehrt, jedoch fehlte es an den nötigen Truppen für den vernichtenden Schlag. Seinen notorischen Bedarf an Soldaten gedachte Kaiser Alexios mithilfe des römischen Papstes mit Rittern aus dem Westen zu decken, und so schickte er im Frühjahr des Jahres 1095 eine Gesandtschaft mit einem Hilfegesuch zum päpstlichen Konzil nach Piacenza.
Dies kam Urban nicht ungelegen. In der Vergangenheit hatte die Kriegslust des Adels, insbesondere in Frankreich, immer wieder für blutige Fehden gesorgt. Die Bemühungen der Kirche, das Vergiessen christlichen Blutes durch Kriegsverbote und Mahnungen, den sogenannten „Gottesfrieden”, einzudämmen, zeigten nur geringe Wirkung. In der Ausrufung des Kreuzzuges sah er die Möglichkeit, die Kriegslust in Europa in gottgefällige Bahnen zu lenken. Was für einen Stein Urban am 27. November ins Rollen brachte, dürfte ihm zu diesem Zeitpunkt selbst nicht klar gewesen sein. Offenbar war es sein Ziel, in Südfrankreich ein kleines Ritterheer zur Unterstützung der christlichen Kirche im Osten auszuheben. Was sich daraus entwickelte, war eine europaweite Kreuzzugs-Hysterie.
Jeder Mann, der das Kreuz nahm, das heisst sich ein rotes Stoffkreuz auf die Schulter seines Mantels nähte, verpflichtete sich somit unter Androhung des Kirchenbannes zum Kreuzzug. Zu Maria Himmelfahrt des folgenden Jahres sollten die christlichen Heere dann gen Konstantinopel aufbrechen. Adhemar de Monteil, Bischof von Le Puy sollte als päpstlicher Legat die Führung des Feldzuges übernehmen, jener Mann, der sich in Clermont im November 1095 so überzeugend in Szene gesetzt hatte.
Urban reiste bis zum Aufbruch vornehmlich durch Frankreich, um mit kirchlichen und weltlichen Fürsten die Vorbereitungen für das Unternehmen zu treffen. Die Werbung für den Kreuzzug liess eine Vielzahl bedeutender Fürsten aus ganz Europa das Kreuz nehmen, unter ihnen Graf Raimund von Toulouse, Robert II. von Flandern, Herzog: Robert von der Normandie und Gottfried von Bouillon.
Die Volkskreuzzüge
Dem einfachen Wanderprediger Peter von Amiens, später bekannt als „Peter der Einsiedler”, gelang es auf seinen Reisen durch Frankreich und Deutschland eine Menge von bis zu 40000 Menschen um sich zu sammeln. Seine Armee bestand überwiegend aus einfacher Landbevölkerung, ganzen Familien, die trotz aller Gefahren hofften, ihrem Leben in Armut zu entfliehen und im Heiligen Land ihr Glück zu finden.
In mehreren Wellen machte sich das Heer von Köln aus – noch vor dem päpstlich festgelegten Termin – auf den Weg. Den ersten Teil der Armee führte der Franzose Walter ohne Habe, den zweiten Peter selbst, der den Rittern im Heer auf der war bedacht, die Kreuzfahrer zügig über den Bosporus nach Kleinasien zu verschiffen. Dort drangen die Kreuzfahrer plündernd und mordend ins Landesinnere vor. Aufgrund der mangelnden militärischen Erfahrung, zu grossem Übermut und nicht zuletzt Zwist in den eigenen Reihen zwischen Deutschen und Franzosen, wurde gesamte Streitmacht von dem taktisch überlegenen Seldschuken-Heer des Sultans Kilidsch Arslan ibn- Suleiman vernichtet
Nachfolgende Wellen der Volkskreuzzüge gingen vor allern mit grausamen Massakern in jüdischen Gemeinden in die Geschichte ein. Die Meinung machte sich breit, man müsse sich doch nicht bis ins Heilige Land begeben, um gegen die Ungläubigen zu kämpfen, wenn die Juden doch in direkter Nachbarschaft lebten. Dabei kam es insbesondere im Rheinland und entlang der Donau zu den bis dahin schlimmsten Judenpogromen der Geschichte. In einzelnen Gruppen zogen die Ritter und Bauern durch Mitteleuropa, getrieben von Judenfeindlichkeit und Geldgier. Die Versuche von einheimischen Christen, die Juden vor den mordenden Haufen zu schützen, unter anderem durch die Bischöfe von Speyer, Worms und Köln, blieben oftmals vergeblich. In Ungarn schliesslich wurden die meisten dieser Kreuzfahrer gestoppt und vom ungarischen König aufgerieben. Die Volkskreuzzüge nahmen ein Ende, ohne dass einer von ihnen jemals das Heilige Land erreichte.
Der Zug nach Jerusalem
In fünf Heeren unter der Führung grosser französischer, normannischer und flämischer Fürsten brach eine wohlorganisierte Streitmacht im August 1096 auf. Es war ein für damalige Verhältnisse, gewaltiges Heer: Schätzungen schwanken: zwischen 30.000 und 70.000 Bewaffneten und rund 30.000 Unbewaffneten. Zwischen Spätherbst und Frühjahr 1097 trafen die Kontingente in Konstantinopel ein. Kaiser Alexios liess die Heerführer den Lehnseid schwören und verschiffte die Armee über den Bosporus. In Kleinasien kam es bald zu Kämpfen um die Stadt Nikäa. In einer offenen Feldschlacht besiegten die Lateiner das Heer, des Sultans Kilidsch Arslan. Bald darauf konnten die Kreuzfahrer den Sultan erneut in der Schlacht von Doryläum schlagen. Balduin von Boulogne spaltete sich mit seinen Gefolgsleuten vom Hauptheer ab und gründete in Edessa 1098 den ersten Kreuzfahrerstaat.
Unter Hitze und Durst zog das Hauptheer im Spätsommer 1097 weiter nach Antiochia. Sieben entbehrungsreiche Monate belagerten die Kreuzfahrer die Stadt, bis im Juni 1098 ein grosses muslimisches Entsatzheer aus Mossul kurz vor Antiochia stand. Um nicht auf offenem Feld aufgerieben zu werden, griffen die Lateiner die Stadt an. Christliche Bewohner öffneten den Belagerern von innen ein Tor der Stadtmauer, durch das die Kreuzfahrer die Stadt stürmten und somit schnell die neuen Herren in Antiochia wurden. Jedoch rückte das Seldschukenheer weiter vor, und die Christen waren nun selbst die Belagerten. Die durch die Belagerung erschöpften Nahrungsvorräte brachten das Heer an den Rand der Verzweiflung, als ein gewisser Petrus Bartholomäus durch eine Vision des Heiligen Andreas zu wissen glaubte, wo sich in der Stadt die Heilige Lanze befände, jene Reliquie, mit der Christus am Kreuz die Seite durchbohrt worden war. Tatsächlich wurde bei Grabungen in der Peterskirche in Antiochia eine Lanze zu Tage gefördert, jedoch äusserten schon die Zeitgenossen, unter ihnen der päpstliche Legat Adhemar, Zweifel an der Echtheit des Fundes. Nichtsdestotrotz entschied man sich mit neuem Mut zu einem Ausfall und siegte gegen, die Seldschuken im Zeichen der Heiligen Lanze.
Noch ehe das Heer im Januar nach Jerusalem aufbrechen konnte, kam es in Antiochia zu einem Seuchenausbruch, dem auch Bischof Adhemar zum Opfer fiel. Auf etwa 20.000 Mann dezimiert, zog das Heer weiter nach Jerusalem. Die Stadt war gut befestigt, und ein erster Angriff am 13. Juni 1099 scheiterte. Nachdem über den Hafen in Jaffa englische und genuesische Versorgungsgüter herangeschafft worden waren, konnten die Christen Belagerungstürme für einen erneuten Angriff bauen. Inspiriert von der Vision eines Klerikers, dem der verstorbene Adhemar erschienen war, zog das gesamte: Heer in barfüssiger Prozession dreimal um die Mauern der Stadt, bevor es in der Nacht vom 13. auf den 14. Juli mit dem Sturm begann. Nach über einem Tag des Kampfes gelang es schliesslich den Christen, die Mauern zu überwinden. Die Kämpfer drangen in die Stadt ein und begannen die muslimische und jüdische Bevölkerung zu massakrieren.
Ein Blutbad
Die Eroberung Jerusalems durch die Christen wird sowohl in christlichen als auch islamischen Quellen als regelrechtes Blutbad beschrieben. Die historische Forschung sieht in der Tötung von Frauen und Kindern einer Stadt, die die Kapitulation verweigert, keine Verletzung der damaligen militärischen Gepflogenheiten: Die Chronisten orientierten sich in ihren grausamen Darstellungen unter anderem an der alttestamentlichen Eroberung Jerichos. In dieser Tradition verstanden sich die Kreuzfahrer, als neues Volk Israel. Dies ändert natürlich nichts daran, dass sich die Greuel der Eroberung Jerusalems durch die Christen 1099 in das Gedächtnis der jüdischen und islamischen Welt einbrannten.
Palästina war nun in christlicher Hand. Die meisten Ritter sahen ihre Aufgabe – die Befreiung des Heiligen Landes – als erfüllt an. Einige jedoch blieben, um die Herrschaft der Christen zu festigen und mit dem Aufbau der Kreuzfahrerstaaten zu beginnen.