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Der heilige „Mörder“

Johann von Capistran, geboren am 24. Juni 1386 in Capestrano, Italien, und gestorben am 23. Oktober 1456, ist eine der umstrittensten Gestalten der Kirchengeschichte. Trotz seiner bedeutenden Rolle in der katholischen Kirche und seiner Heiligsprechung im Jahr 1690 bleibt seine Biografie von seinen vehementen antijüdischen Aktivitäten überschattet. Besonders auffallend ist das Denkmal vor der Stephanskirche in Wien, das seine problematische Vergangenheit in Erinnerung ruft.

Frühes Leben und Ordenszugehörigkeit
Johann von Capistran wurde in Capestrano, einer kleinen Stadt in der italienischen Region Abruzzen, geboren. Er studierte Recht und wurde 1412 als Anwalt in Perugia tätig. Doch seine Karriere als Jurist endete abrupt, als er während eines politischen Konflikts gefangen genommen wurde. Nach seiner Freilassung im Jahr 1416 trat Johann in den Franziskanerorden ein und begann ein Leben in Armut und Buße. Er wurde ein Schüler des heiligen Bernhardin von Siena und übernahm dessen Eifer für Reformen und missionarische Tätigkeiten.

Predigt und Mission
Johann von Capistran wurde zu einem der bedeutendsten Prediger seiner Zeit. Er reiste durch Europa und predigte gegen Häresie, Unglauben und moralische Verfehlungen. Seine Redekunst zog Tausende von Zuhörern an, und er spielte eine zentrale Rolle bei der Wiederbelebung des katholischen Glaubens in vielen Regionen. Doch seine Predigten hatten auch eine dunkle Seite: Sie waren oft von heftigem Antisemitismus geprägt.

Antijüdische Aktivitäten
Johann von Capistrans Predigten waren nicht nur gegen Häretiker gerichtet, sondern auch gegen Juden. Er beschuldigte sie des Ritualmordes, der Hostienschändung und anderer Verbrechen, was zu Pogromen und Gewaltakten gegen jüdische Gemeinden führte. Besonders berüchtigt sind die Vorfälle in Breslau (dem heutigen Wrocław) im Jahr 1453, wo seine Hetzreden zu schweren Ausschreitungen führten. Zahlreiche Juden wurden getötet oder gezwungen, zum Christentum zu konvertieren, und viele weitere wurden aus der Stadt vertrieben.

Teilnahme am Kreuzzug gegen die Osmanen
Ein weiteres markantes Kapitel in Capistrans Leben war seine Teilnahme am Kreuzzug gegen die Osmanen. Im Jahr 1456 spielte er eine wichtige Rolle bei der Verteidigung Belgrads gegen das Osmanische Reich. Seine Predigten motivierten viele Christen, sich dem Widerstand anzuschließen, und er selbst kämpfte an der Seite der Truppen. Diese militärische Leistung trug wesentlich zu seinem Ruhm und seiner späteren Heiligsprechung bei.

Heiligsprechung und Verehrung
Johann von Capistran wurde 1690 von Papst Alexander VIII. heiliggesprochen. Seine Heiligsprechung basierte vor allem auf seinen missionarischen Erfolgen und seiner Rolle in der Verteidigung Belgrads. Die Kirche ehrte ihn als unermüdlichen Verteidiger des Glaubens und als Vorbild christlicher Tugend. Doch seine Rolle in den antijüdischen Ausschreitungen wurde dabei weitgehend ignoriert.

Das Denkmal in Wien
Vor der Stephanskirche in Wien steht ein Denkmal zu Ehren Johann von Capistrans. Dieses Monument erinnert an seine Predigttätigkeit und seine Rolle in der Verteidigung des christlichen Europas. Doch es ist auch ein Symbol für die komplexe und oft problematische Beziehung der Kirche zur Geschichte. In jüngerer Zeit wurde das Denkmal zunehmend kritisiert, da es die dunklen Aspekte seines Wirkens nicht reflektiert.

Kritische Betrachtung und historische Aufarbeitung
In der heutigen Zeit wird Johann von Capistran zunehmend kritisch betrachtet. Historiker und Theologen hinterfragen seine Heiligsprechung und fordern eine umfassende Aufarbeitung seiner Taten. Seine antijüdischen Aktivitäten und die daraus resultierenden Pogrome werfen einen dunklen Schatten auf sein Erbe. Die Diskussion um sein Denkmal in Wien spiegelt die breitere Debatte über den Umgang mit historischen Persönlichkeiten wider, deren Handlungen nicht mehr den heutigen ethischen Standards entsprechen.

Johann von Capistran bleibt eine kontroverse Figur in der Geschichte der katholischen Kirche. Seine Heiligsprechung und das Denkmal in Wien erinnern an seine bedeutenden Beiträge zur Verteidigung und Verbreitung des christlichen Glaubens. Gleichzeitig mahnen sie uns, die dunklen Kapitel der Geschichte nicht zu vergessen und die Taten der Vergangenheit kritisch zu hinterfragen. Die Auseinandersetzung mit seiner Biografie bietet eine Gelegenheit, über Toleranz, Gerechtigkeit und die Verantwortung der Kirche im Umgang mit ihrer eigenen Geschichte nachzudenken.

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