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Pietro de Rotis „de Bononia/de Boulogne“

Ein Templer zwischen Ruhm und Anklage

Die Gestalt des Pietro de Rotis, auch bekannt als Petrus de Bononia, nimmt im dramatischen Schicksal des Templerordens eine besondere Stellung ein. Lange Zeit war er der Forschung lediglich aus den düsteren Prozessakten bekannt – als einer jener Brüder, die in den Kerkern Frankreichs den Anklägern gegenüberstanden. Erst neuere archivalische Forschungen erhellen sein Leben, seine Herkunft und seine Rolle als Generalprokurator des Ordens. So tritt uns das Bild eines Mannes entgegen, der sowohl juristisch gebildet, tief im städtischen Leben Bolognas verwurzelt als auch ein standhafter Verteidiger des Templerordens war.

Herkunft und frühe Jahre

Pietro entstammte der Bologneser Familie Rota/de Rotis, einer angesehenen, wenngleich nichtadligen Linie, die in Verwaltung und Stadtpolitik Bolognas Einfluss ausübte. Urkunden belegen, dass Familienmitglieder als Notare oder Magistratsbeamte tätig waren. Pietro selbst war Priester, vermutlich an der berühmten Universität von Bologna im Kirchenrecht ausgebildet, und trat um 1282/83 – also etwa im Alter von 15–20 Jahren – in den Templerorden ein.

Die ältere Forschung stritt lange über seine Herkunft: französische Historiker sahen in ihm einen Sohn der Stadt Boulogne-sur-Mer, italienische Gelehrte hielten ihn für einen Lombarden. Erst die Arbeit moderner Archivforscher stellte klar, dass er tatsächlich ein Bologneser war.

Generalprokurator des Ordens

Bereits 1298 weist ihn ein Schreiben Papst Bonifatius VIII. als Generalprokurator des Templerordens an der Kurie aus. In dieser Funktion vertrat er die Interessen des Ordens im komplexen Geflecht der römischen und europäischen Kirchenpolitik.

Auch in Bologna blieb er aktiv: Nach einem Krieg mit Modena setzte er sich 1305 als Vermittler für den Ausgleich der Schäden ein. In den Dokumenten erscheint er stets als „frater Petrus de Rotis, generalis procurator“. Dies zeigt, dass er sowohl als Jurist wie auch als Diplomat von höchster Bedeutung für den Orden war.

Verhaftung und Anklage

Im Herbst 1307, während König Philipp IV. von Frankreich den Schlag gegen die Templer führte, befand sich Pietro de Rotis in Paris. Mit dem Großmeister Jacques de Molay und anderen hohen Brüdern wurde er in den Kerkern des Temple eingesperrt.

Unter Druck und inmitten der seelischen Zermürbung gab er wie viele andere Geständnisse ab, die den bekannten Anklagepunkten entsprachen: die symbolische Verleugnung des Kreuzes bei der Aufnahme, dreifache Küsse, die Erlaubnis zu „unnatürlichen Sünden“. Zugleich aber betonte er immer wieder, dass er selbst niemals derartige Handlungen begangen habe und sie als schwere Sünde verurteile. Schon hier zeigt sich ein Mann, der zwischen Zwang, Loyalität und dem Ringen um die Wahrheit stand.

Verteidiger des Ordens

Das Jahr 1310 brachte eine Wende. Gemeinsam mit drei weiteren Brüdern wurde Pietro von den Gefangenen in Paris zum Vertreter vor der päpstlichen Generalkommission ernannt.

Seine Verteidigungsrede, die in den Protokollen überliefert ist, gehört zu den eindrucksvollsten Zeugnissen des Widerstands gegen die falschen Anklagen:

  • Er verwarf alle Aussagen, die unter Folter, Täuschung oder Angst erzwungen wurden.

  • Er forderte, dass Prozesse gegen Brüder des Ordens ohne Laien und fragwürdige Personen stattfinden sollten.

  • Er bezeichnete jene Templer, die unter der Qual standhaft blieben und starben, als Märtyrer Christi.

  • Er erklärte die Anklagepunkte für verlogen, absurd und von Habgier und Neid motiviert.

  • Er erinnerte daran, dass der Orden gegründet sei zur Ehre Gottes, zur Verteidigung der Kirche und des Heiligen Landes.

Dies war ein mutiger Auftritt – vielleicht der letzte Moment, in dem der Orden in Frankreich noch eine Chance auf Gerechtigkeit gehabt hätte.

Flucht und Rückkehr

Kurz nach den Hinrichtungen von Sens im Oktober 1310 zog Pietro seine Verteidigung zurück, wiederholte sein Geständnis – und verschwand aus den Pariser Gefängnissen. Die Protokolle vermerken nüchtern: er habe „den Kerker zerbrochen und sei entflohen“.

Lange vermutete man, er sei von den Feinden des Ordens ermordet worden. Doch Urkunden beweisen: Pietro de Rotis gelang die Rückkehr nach Bologna. Dort schloss er sich nach der päpstlichen Aufhebung des Templerordens den Johannitern an.

Sein Tod ist für das Jahr 1329 belegt. Die Grabplatte, die einst in der Kirche Santa Maria del Tempio in Bologna lag, zeigte ihn im Messgewand mit Kelch – nicht mit dem Kreuz der Johanniter, sondern mit einem allgemein priesterlichen Zeichen. Die Inschrift ehrte ihn als einen, der „auf dem Gewand wie in der Seele das Kreuz getragen“ habe.

Bedeutung

Pietro de Rotis verkörpert die Zerrissenheit der Templer in den letzten Jahren ihres Bestehens:

  • Er war ein gebildeter Priester und Jurist, der die Interessen des Ordens an höchster Stelle vertrat.

  • Er wurde Opfer der Inquisition und ihrer Methoden, gestand unter Druck und widerrief.

  • Er war ein Verteidiger der Wahrheit, der in Paris für die Unschuld des Ordens sprach.

  • Er fand nach dem Zusammenbruch des Ordens einen Weg in die Kirche zurück und blieb bis zu seinem Tod ein Diener des Kreuzes.

Seine Geschichte zeigt, wie schwer es ist, im Angesicht von Angst und Gewalt standhaft zu bleiben – und doch, wie selbst unter den Schatten jener Zeit die Ehre des Ordens bewahrt wurde.

Schlusswort

Für uns Templer von heute ist Pietro de Rotis nicht nur eine historische Figur, sondern ein Zeuge: für den Mut, den Orden öffentlich zu verteidigen, für die Würde, die er trotz aller Demütigungen bewahrte, und für die Kraft, in der Heimat als Priester und Bruder zu enden. Sein Name möge uns daran erinnern, dass die Wahrheit und das Kreuz stärker sind als die Intrigen der Mächtigen.

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