Das Leben des 4. Templer-Grossmeisters

Bernardus de Tremelay. 1152(?)-16. August 1153

Nachdem Ebrardus des Barres den Orden verlassen hatte, rückte
nicht der Seneschall des Ordens an seine Stelle. Es wurde ein homo novus
gewählt, der — soweit wir wissen — vorher kein Amt im Orden bekleidet
hatte. Seine Wahl wird man in engem Zusammenhang mit dem Regierungswechsel
in Jerusalem sehen. Zum ersten Mal entschied ein politisches
Faktum die Wahl des Großmeisters.

Der junge König Balduin III. wünschte, die Herrschaft im Königreich
allein zu übernehmen und seine Mutter und ihren übermächtigen Ratgeber
Manasses de Hierges daraus zu verdrängen. Bald nach Ostern,
dem 30. März 1152, ging er „unter der Krone”, um seinen Anspruch zu
demonstrieren. Die Geistlichkeit und die weltlichen Berater der Königin
Melisende setzten zunächst eine Reichsteilung durch, aber der junge
König vertrieb sie mit Waffengewalt aus Nablus und Jerusalem, was ihr
erst überlassen war. Balduin III. übernahm die Regierung allein. Der
Seneschall des Ordens, fr. Andreas de Montbard, war der Königin in
ihrem Witwenstand vor allen zu Rat und Beistand empfohlen worden.
Um den König nicht von vornherein gegen den Orden einzunehmen,
wählten die Ordensritter nicht ihn, sondern Bernardus de Tremelay aus
der Freigrafschaft Burgund. Seine Familie, die auch Tramelay oder
Dramelay genannt wird, gehörte zu den petits nobles comtois, die das
Gefolge des Pfalzgrafen Rainalds III. und später des Pfalzgrafen Otto
bildeten. Mit den Pesmes, Longwy, Montmoro, Monnet, Coligny und
Laubepin werden die Tremelay erst zu Ende des 11. oder zu Beginn des
12. Jahrhunderts genannt. In der folgenden Generation gelangt die
Familie durch Amadeus de Tremelay, Erzbischof von Besancon (1194—
1229), zu höchstem Ansehen; er war wohl ein Neffe des Großmeisters.

Bernardus war mit Stiftungen an der Gründung der Zisterzienserabtei
Rosieres (Roseriae) beteiligt, die 1135 geweiht wurde. Im selben Jahr
unterzeichnete er eine Urkunde Rainalds III. für die Kanoniker von
St. Etienne in Dijon6). Ein Bruder Bernhards Guillelmus, frater Bemardi
de Tramelay, beschenkt 1168 die Abtei Rosieres. Diese Angaben sind
vage — die Größe des Familienbesitzes ist nicht bekannt —, lassen aber
doch vermuten, daß Bernardus derselben sozialen Schicht angehörte wie
sein Amtsvorgänger: auch er ist der erste, der den Namen einer Familie
jungen Adels berühmt machte. Wann er in den Templerorden trat, ist
nicht bekannt.

Mit andern Templern war Bernardus vielleicht am Bau der Burg Gaza
beteiligt, die in diesen Jahren auf den Trümmern der antiken Stadt zum
Schutz gegen Ägypten errichtet wurde. Als sie fertiggestellt war, wurde
sie (1150) „auf allgemeinen Beschluß für immer den Brüdern der Templerritterschaft”
übergeben, „die als tapfere und waffengeübte Männer das
ihnen Übergebene bis zu diesem Tag auch getreu und besonnen gehütet
haben” (WvT 17,12). Die ägyptische Wachmannschaft von Askalon
wurde wegen der großen Bedeutung dieses Vorpostens alle sechs Wochen
ausgetauscht. Außerdem wurde Askalon von Kairo mit Lebensmitteln
und andern Gebrauchsgütern beliefert. Es gelang den Templern, diese
Zufuhren aus Ägypten auf dem Landwege zu sperren, nachdem sie wiederholt
reiche Beute gemacht hatten, indem sie die Transporte abfingen und
plünderten. Nun wurde Askalon auf dem Seeweg versorgt, was schwieriger
war, da es keinen geeigneten Hafen besaß. Die Verteidigungsmauern
auf der Landseite waren so stark, daß die Stadt uneinnehmbar schien.
Dennoch zog König Balduin mit dem Patriarchen, drei Erzbischöfen,
zwei Bischöfen, einigen Äbten und den beiden Großmeistern — Bernardus
wird hier zum ersten Mal genannt —, sowie weltlichen Fürsten Ende
Januar oder Anfang Februar 1153 zur Belagerung vor die Stadt (WvT
17,21). Die Beteiligung der geistlichen Fürsten hier wie bei fast allen
Unternehmungen im Heiligen Lande zeigt, daß diese Eroberungsfeldzüge
als heiliger Krieg verstanden worden sind. Ein vorausgegangenes, für
die Christen glücklich ausgegangenes Gefecht hatte sie zum Zug gegen
Askalon ermutigt. Die Ermordung des ägyptischen Kalifen und seines
Großvezirs im April 1153 begünstigte ihr Vorhaben. Dennoch dauerte
die Belagerung ein halbes Jahr, bis es gelang, einen kleinen Teil der Befestigungsanlage
zum Einsturz zu bringen. Der Templergroßmeister
drang am 16. August mit etwa 40 Rittern durch die schmale Bresche ein
und bis zu den Straßen der Stadt vor. Aber diese waren eng; die Templer
wurden von allen Seiten angegriffen; sie konnten kaum ihre Waffen gebrauchen.
Die Verteidiger waren übermächtig; alle Templer kamen
um. Doch die Templer hatten mit ihrem Durchbruch erreicht, daß
drei Tage später die Stadt eingenommen werden konnte. Ihr Opfer war
nicht umsonst gewesen. Wilhelm von Tyrus, der 10 Jahre später ins Land
kam und 30 Jahre nach der Eroberung von Askalon seine Geschichte
schrieb, tadelt die Habgier der Templer, die gerechtermaßen auf diese
Weise bestraft worden sei, da sie niemanden sonst einzudringen gestattet
hätten. Das Recht, die Kriegsbeute in violenter effraetis urbibus zu behalten,
von dem Wilhelm berichtet, war allen Kämpfern Verlockung und
Versuchung, wenn auch den Templern persönliches Eigentum verboten
war. Für den Orden Beute zu machen war ihnen in dem päpstlichen
Privileg von 1139 ausdrücklich gestattet worden. Hugo de Paganis
hatte seine Ritter beruhigen müssen: nur der Teufel nenne es Habgier,
wenn sie — wie es rechtens wäre — Beute machten. So hatten sich in
diesen etwa 50 Jahren, vom Beginn des Ordens bis zu der Zeit, wo Wilhelm
schrieb, die Anschauungen oder die Menschen geändert. Uns scheint,
daß es nur jemand, dem das Leben nichts gilt, wagen kann, mit einer
kleinen Schar durch eine einzige Öffnung in eine gut verteidigte mittelalterliche
Stadt zu dringen — 100 Jahre später sollte sich dasselbe in
Mansüra in Ägypten wiederholen —; an Beute war in einem solchen
Augenblick nicht zu denken.

Der Schreiber des Kalendariums trug Bernardus’ Namen, während er
an der Arbeit war, zusammen mit den Namen der Heiligen ein: XVII
kal. sept. obiit Bernardus magister templi IIII; es ist der einzige nicht
nachgetragene Eintrag. Nur Wilhelm von Tyrus fand Worte des Tadels
für eine Waffentat, die die Eroberung von Askalon zur Folge hatte.